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Ausgabe:

1942

Spalte:

160

Kategorie:

Neues Testament

Autor/Hrsg.:

Schlatter, Adolf

Titel/Untertitel:

Jesus und Paulus 1942

Rezensent:

Leipoldt, Johannes

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Seite 1

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169

Theologische Literaturzeitung 1942 Nr. 5/6

160

Liebe „Oesetz" oder „Evangelium"? — Oder: an dem
Wort wtoTdooEööai in Rom. 13, 1. 5; Tit. 3,1; 1. Petr. 2,
13 zeigt Eck mit Recht den engen sachlichen Zusammenhang
zwischen der Stellung des Untertanen zum Staat
und der Stellung der Frau zum Mann (Tit. 2,5; 1. Petr.
3,1. 5), des Kindes unter die Eltern (Luk. 2,51) und
anderer Ordnungen. Ist nun die dem Frau-Mann- und
dem Kind-Eltern-Verhältnis innewohnende Verpflichtung
„zwischenhineingekommen" im Sinn von Rom. 5, 20 oder
Gal. 3, 15. 19? Das heißt, um an die Kategorien aus
Matth. 19, 3—9 anzuknüpfen: wo und inwieweit entspricht
die „Ordnung" dem in der Schöpfungsordnung
Gegebenen und wo, inwieweit und von welchem Grenzpunkt
an steht sie in Gegensatz und Spannung zu jener?
Oder, um an Luther zu erinnern, auf den Eck sich mehrfach
meint beziehen zu können: wie kommt es, daß Luther
Kirche-Familie-Obrigkeit — wie Kattenbusch zeigte
— als „Hierarchien" koordinieren kann? Das heute fast
zu einer Generalformel gewordene Schema „Gesetz und
Evangelium", jedenfalls so, wie es angewendet zu werden
pflegt und auch von Eck angewendet wird, scheint
mir diesen Tatbestand ganz und gar nicht auszuschöpfen
, vielmehr die Gefahr in sich zu tragen, ihn zu vergröbern
und nach einer nicht-neutestamentlichen Seite
hin zu wenden.

Zum Wesen des Gesetzes gehört, im Unterschied von
aller echten Schöpfungsordnung, nach dem NT immer
ein nQbq ti'iv oxtaiQoxaQftfocv. Alles öesetz ist Regelung der
depravierten, nämlich in Sünde gefallenen, Situation der
schöpfungsmäßig angelegten und bestimmten Ur-Ord-
nung; so der Scheidebrief, Matth. 19, 7 gegenüber 19,8:
oW ö.Qyrq ab yiyovev outcoc- Des Gesetzes Folge ist,
daß an ihm und an der von ihm durchgeführten Regelung
die Sündigkeit der Situation erst ganz sichtbar wird.
Aber weder das Verhältnis von Frau und Mann noch das
von Kind und Eltern — beide wesenhaft, „von Anbeginn
" ein räoTäoGEoftai einschließend sind in diesem
Sinne „an sich" depraviert, und genau ebensowenig die
allem aus Gottes Schöpferhand kommenden Menschentum
wesenhaft innewohnende anti-atomistische Nötigung
zur organischen Gemeinschaft in Familie, Sippe, Volk
und volklich-staatlichem Organismus. Das Wort „Gesetz
" im biblischen Sinn — der dem griechischen vöuo?-
Bcgriff nicht gleich ist — ist kein gutes, jedenfalls kein
erschöpfendes Wort für diese Ordnungen, und es ist
sicherlich kein Zufall, daß Paulus es in unseren Zusammenhängen
niemals gebraucht. Paulus könnte unmöglich
parallel zu seinem: „Christus des Gesetzes Ende"
bilden: „Christus der Familie Ende" oder „Christus des
Staates Ende"; daran wird deutlich, wie es sich um Kategorien
grundsätzlich verschiedener und unvergleichbarer
Art handelt. Alle diese Ordnungen können sündig werden
und tun dies beständig, weil sie nie absolut (d. h.
„los-gelöst"), sondern immer nur an Menschen der
m!krQow%Qbia in die Erscheinung treten; wovon ja auch die
Hierarchie „Kirche" so wenig ausgenommen ist wie ihre
beiden „hierarchischen" Schwestern „Familie" und „Obrigkeit
". Es ist ein falscher, mindestens ein mißverständlicher
Satz, daß für den Christen „als Bürger des Gottesreiches
einerseits der Staat als Träger des für diese Welt
gültigen Gesetzes schon überwunden" sei (S. 128). Diese
schöpfungsmäßigen Ordnungen werden mit einem solchen
„einerseits... überwunden" vom Boden der biblischen
Haltung gelöst, weil damit die natürliche schöpfungsmäßige
Gegebenheit problematisiert und in einen
wesenhaften Dualismus einbezogen ist, der den biblischen
Schöpfungsgedanken in seinen letzten Konsequenzen zerstören
muß. Die neutestamentliche Problematik der Familien
- und obrigkeitlichen Ordnungen liegt nicht in
einem dualistischen Grundwesen — damit wird die Schöpfung
selbst unweigerlich dualisiert! —, sondern entsteht
immer in actu, in der Übertretung des Willens Gottes,
der von Gott gestellten Aufgabe, in der Verwischung der
Ordnung durch den Übergriff in ein fremdes Amt, damit
in der Aufhebung des dem Geschöpf gesetzten Gehorsams
. Hier allein ist der Punkt, an dem die christliche
Verneinung des Staates ihren Platz hat und im NT kräftig
geübt wird.

Diese Überlegungen haben mit einem „philosophischplatonischen
Dualismus von Ideal und Wirklichkeit"
nichts zu tun (S. 128, Anm. 1), sind vielmehr nichts als
die Klarstellung eines einwandfrei biblischen Tatbestandes
, den gegenüber Einbrüchen aus theologischen Zeitmoden
, woher sie auch kommen mögen, unverdeckt zu
bewahren wir schon dem Andenken Adolf Schlatters
schuldig sind.
7.. Zt. Wien Gerhard Kittel

Schlatter, Adolf: Jesus und Paulus. Eine Vorlesung. Hrsg. v.
Theodor Schlatter. Stuttgart: VC'. Kohlhammer 1940. (III, 8S S.)
gr. 8Ü. RM 2.40.

Adolf Schlatter las 1906 in Tübingen einstündig über

J Jesus und Paulus. Sein Sohn Theodor Schlatter nahm

| die Vorträge in Kurzschrift auf und brachte sie jetzt zum
Drucke, zuerst in der Monatsschrift „Deutsche Theolo-

I gie" 1939 40, dann im vorliegenden Büchlein. An dem

I gesprochenen Texte wurde, nach der Angabe des Heraus-

i gebers, nur Unwesentliches geändert.

Die Frage Jesus und Paulus war schon 1906 einmal
aktuell. Es lohnt sich zweifellos auch für die Gegenwart,
auf die damaligen Erörterungen zurückzugreifen und dabei
Schlatters Stimme zu hören. Schlatter betont, daß
Jesus und Paulus durchaus zusammenstimmen, bei Paulus
aber öfters „ein Neues" zu Tage trete, schon deshalb,
weil die Aufgabe des Apostels eine andere sei. „Jesus
steht innerhalb einer Gemeinde, mit der er verbunden ist;
wir können darum die Denkarbeit Jesu beständig mit
Parallelen aus seiner Umwelt belegen." „Paulus hat
eine Gemeinde zu schaffen; wenn er hinauskommt auf
den griechischen Boden, so sind ihm hier nicht die Denkformen
bereits fertig" (S. 32) usw.

Natürlich stand die Wissenschaft in dem Mcuschcn-
alter seit 1906 nicht still. Heute finden wir bei Schlatter
schon manche systematisch klingende Überschrift auf-

: fallend: „Der Religionsbegriff bei Jesus und Paulus";
„Jesus und Paulus als Denker". Wichtiger ist, daß wir

! die Religionsgeschichte anders sehen. Schlatter schreibt
über Jesus und das Alte Testament: „Der alttestament-
liche Kanon ist göttliches Wort, rundweg bejaht, mit
vollem Gehorsam betätigt." An Stellen wie Mark. 7, 1 ff.

I und 10, 2 ff. wird nicht gedacht; überhaupt nicht daran,
daß das Alte Testament keine Einheit ist (S. 10). Vom
Griechentum sagt Schlatter (S. 20): „Wenn wir ins Grie-

| chentum hineinsehen oder in die spätere Geschichte der
Kirche, so sind es immer zwei Gedanken, durch welche
der Grieche mächtig den Fortgang der Geschichte beeinflußt
hat, auf der einen Seite der Tugendgedanke, auf

1 der anderen das Erkenntnisideal." Die Mysterien, dies
Kernstück griechischer Frömmigkeit, waren 1906 nur

' wenigen bekannt. Kein Wunder, daß bei Schlatter eine

| Erörterung der Sakramentsfrage fehlt.

Großpösna b. Leip/i^ Joh. L e i p o 1 d t

KIRCHENGESCHICHTE: ALTE KIRCHE

| Tertullian us, Q.S.Fl.: De Pallio. Kritische uitgave tuet veruüing
en commentaar door Alois O e r 1 o. Met een voorrede van Paul
van de W o e s t i j n e. I: Inleiding, tckst en vertaling (100 S.)
II: Commentaar (224 S.) gr. 8". Wetteren: De Meester 1940.

In nichtdeutschen Philologenkreisen nimmt das Interesse
für Probleme, die das historisch-philologische
Verständnis altchristlicher Literaturwerke fördern, erfreulicherweise
ständig weiter zu. Ich brauche nur auf
die Forschungen von Borleffs, Löfstedt, Mohrmann, Sa-
lonius, Schrijnen (f), Skard, Thörnell und Waszink hinzuweisen
, um /u /eigen, wie lebhaft die Mitarbeit zumal
in den Reihen niederländischer und nordischer Gelehrter