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Ausgabe:

1942

Spalte:

149-151

Kategorie:

Altes Testament

Autor/Hrsg.:

Grether, Oskar

Titel/Untertitel:

Das Deboralied 1942

Rezensent:

Sellin, Ernst

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14!) Theologische Literal

Auf dem Hintergrund des durch Sophistik und Rhetorik
erregten Athen wird dann Sokrates charakterisiert.
Die Literaturgeschichte kann an ihm, der nichts geschrieben
hat, ja nicht vorübergehen, „weil er in den von ihm
ausgehenden Schulen eine gewaltige und sehr einflußreiche
Literatur ins Leben gerufen und weil er dieser
Literatur durch das Vorbild seiner eigentümlichen Lehrart
.. . eine neue Form, die des Prosadialogs, geschaffen
hat" (S. 219). Das Bild des Sokrates wird nach
Xenophon, der als zuverlässige Quelle gilt, gezeichnet.
Vorsichtig fügt der Verf. aber diesem Bilde doch den
Satz hinzu: „Vielleicht ist Sokrates noch mehr gewesen
- aber mindestens das, was er bei Xenophon ist (dieses
aber alles), muß er gewesen sein" (S. 270). Er arbeitet
den Zusammenhang des Sokrates mit der Sophistik und
seinen Gegensatz zu ihr heraus und zeigt, wie Sokrates
sachlich verwandt mit der älteren Tragödie — in der
Zeit der Auflösung der Normen eine religiöse Grundlegung
der Ethik und Politik erstrebt. Die historische
Begrenztheit ebenso wie die Bedeutung seines Wirkens
wird im Blick auf Piaton deutlich. Das alte Thema „Sokrates
und Christus" wird in Kürze würdig behandelt
(S. 1111'.), wie denn überhaupt der Hinweis auf das
Christentum hin und wieder Sinn und Tragweite der
Phänomene der griechischen Geschichte zum Bewußtsein
bringt.

Nach einem Abschnitt über den „Gefesselten Prometheus
", den der Verf. in eingehender Untersuchung dem
Aischylos abspricht, weil in ihm die Problematik der
Sophistik Gestalt gewonnen habe, folgt die große Darstellung
des Euripides. In ihrem Mittelpunkt steht die
ausführliche Analyse der einzelnen Dramen, der die zusammenfassenden
Abschnitte „Weltanschauliches in Euripides
' Dramen" und „Euripides als künstlerischer Gestalter
" folgen. Der erste dieser Abschnitte zeichnet
die problematische Gestalt des großen Dichters, der
einerseits in der durch die Sophistik hervorgerufeneu
Diskussion steht, und bei dem die theozentrischc Betrachtungsweise
von Welt und Leben, wie sie in der alten
Tragödie herrscht, der anthropozentrischen weicht,
und der andrerseits doch in scharfem Gegensatz gegen
das freche Übermenschentum der jüngeren Sophistik
steht und die gesunde attische Tradition bewahren will,
sodaß als das Ergebnis seines dichterischen Werkes
schließlich „die Rettung attischer Gesittung und Gesinnung
im Bereich des Hellenismus" bezeichnet werden
kann (S. 853).

Wohl könnte mau zum Einzelnen und zum Ganzen
manche Fragen stellen. So scheint mir die Darstellung
von der Erschütterung der Geltung des Mythos und
vom Verhältnis des Euripides zum Mythos nicht voll befriedigend
zu sein (vgl. bes. S. 310—312 und S. 701ff.),
insofern beim Verf. die Auseinandersetzung mit dem
Mythos wesentlich als „rationale Kritik vom Standpunkt
des sophistisch - individualistischen Lebenspraktizismus
aus" (S. 312) erscheint und nicht primär aus der inneren
Problematik der Polis-Religion verstanden wird. Aber
zu ausführlicher Diskussion ist hier nicht der Platz, und
einzelne kritische Anmerkungen sollen den Dank für die
reiche Ciabe nicht schmälern. So weise ich lieber noch
darauf hin, daß der Leser, zumal der theologische, reiche
Belehrung empfängt auch durch zahlreiche, meist in Anmerkungen
gegebene bedeutsame Hinweise auf die Geschichte
einzelner für die Geschichte der Ethik und der
Religion wichtiger Begriffe wie &ba und *6io$ &Qeri und
ootpla, i'iq i'Äi'M'., Ti'yi] usw. Und ich schließe mit dem Wunsche
, daß es dem Verf. vergönnt sein möge, den 4. Band
in Bälde vollenden zu können.

Marburg R- B u 1 t m a n n

ALTES TESTAMENT

0 r e t h e r, Dozent Lic. Oskar: Das Deboralied. Eine metrische Rekonstruktion
. Gütersloh: Bertelsmann 1941. (b7 S.) gr. 8° -= Beiträge
z. Förderg. christl. Theologie, Bd. 43, H. 2. RM 2.SO.

jrzeitung 1942 Nr. 5/6 150

Es ist sehr dankenswert, daß der Verf. einmal das
Interesse ganz speziell auf die metrische Form des
prächtigen, einzigen uns erhaltenen umfangreicheren altisraelitischen
Sicgesliedes hingelenkt hat. Dankenswert
ist schon seine Übersicht über die bisherigen Rekon-
struktionsversuchc, noch dankenswerter sein eigener Versuch
. Das Neue, was er bringt, ist nicht das, daß das
Lied aus 8 Strophen besteht, — das hatten auch schon
andere angenommen —, sondern daß diese 8 Strophen
vollständig gleichmäßig aus 10 Stichen, bezw. 5 Versen
aufgebaut, und daß von diesen die ungeraden Verse
Doppeldreier, die geraden, also jeweils der zweite und
vierte Vers Doppelvierer seien. Was ist zu diesem zunächst
verlockenden Ergebnis zu sagen? Wir müssen
unserer Antwort vorausschicken, daß zwei Beobachtungen
Grethers wohl bestimmt allmählich Allgemeingut werden
dürften, nämlich erstens, daß v. 18, der Preis Sebulons
und Naphtalis, ursprünglich unmittelbar hinter v. 13 bis
15 a, der Aufzählung der kriegswilligen Stämme, stand,
und zum andern, daß der ursprüngliche Platz von v. 23,
dem Fluch über Meros, vermutlich eine Siedelung oder
Landstrich in Naphtali, sich vor v. 15b—17 befand, jener
also einmal die Liste der Gaue einleitete, die dem
Rufe der Debora und des Baraq nicht gefolgt waren. Die
spätere Verschiebung jener beiden Verse läßt sich unschwer
teils aus einer Abschreibernachlässigkeit teils aus
beabsichtigter Heranrückung des Fluches an den Segen
in v. 24 erklären. Mit dieser Rekonstruktion werden nun
tatsächlich die 8 schon durch den Stoff gegebenen
Strophen annähernd gleich lang.

Aber stimmt die ürethersche Annahme, daß sie alle
genau aus 10 Stichen bestehn? Bei der Strophe VI (v. 19
bis 22), VII (v. 24 -27) und VIII (v. 28 30), die den

! Ausgangspunkt der Untersuchung bilden, läßt es sich
mit einiger Sicherheit behaupten, sobald mau nur v. 21b
und v. 24aß für spätere Zutat hält, was ja schon von
manchen früher vermutet war, auch bei Str. II (v. 68).
Aber bei Str. I (v. 2—5) ist es bereits bedenklich, weil

I hier die Annahme von v. 3 b ß, der metrisch vollkommen
korrekt ist, als einer Glosse kaum genügend motiviert

i ist, die Strophe also wahrscheinlich aus 11 Stichen be-

; steht. Und vollends muß bei Str. III (v. 12,9 -11),
IV (v. 13 -15a, 18) und V (v. 23,15b—17) die Hypothese
Grethers geradezu bestritten werden.

In Str. III streicht er den ganzen v. 9, während seine

i Motivierung, daß der v. unmöglich von dem Dichter von
v. 2 herrühre, nur von 9 b gilt, v. 9 a aber, wenn man
ihn an der jetzigen Stelle, d. i. vor v. 12 (im Unterschied
von Burneys Rekonstruktion) stehn läßt, ausge-

| zeichnet zu diesem nach v. 8 hinüberleitet, ürether
streicht auch den zweiten Stichos von v. 10 als Glosse
zu dem ersten und meint, es handle sich offenkundig
ursprünglich nur um den Gegensatz zwischen den Reitenden
und den Gehenden, d. l. den Vornehmen und den

! einfachen Leuten. Aber er hat das ™~ b? falsch gedeutet
. Dies ist hier, wie Rieht. 18,5; 1. Sam. 9,0 u. a.
zeigen, zu übersetzen: „die ihr geht wegen eines Geschäfts
, Vorhabens" u.dgl., steht also gerade im Gegensatze
zu denen, die auf den Teppichen der Wohnung
(1. "33 "r oder bnN) sitzen, so daß offenkundig
eine Dreiteilung in Reitende, daheim Sitzende und draus-
sen Gehende beabsichtigt ist. Daß hier Grethers Konstruktion
unrichtig ist, sieht man besonders auch daraus,
daß er den mit vorzüglicher Anadiplosis gebauten
v. Haß auseinanderreißen und nach diesem einen ausgefallenen
Stichos annehmen muß. In Wirklichkeit umschließt
diese Strophe II bezw. 12 Stichen, je nachdem
man es bei dem MT beläßt oder nach GB den Stichos:
„Wecke auf die Zehntausende des Volkes" einschiebt.

Ähnliches gilt von Str. IV. Auch hier wird in v. 15 a
ein Stichos, das 1?, einfach als Glosse gestrichen,

t während doch nach 4,10 vgl. 8,5 das T^p? mit „ihm
auf dem Fuße nach" zu übersetzen ist und 'mit seinem
Suffix deutlich auf Baraq zurückweist (I. also: „Und
Naphtali wurde durch Baraq aufgestellt"). Auch hier ist