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Ausgabe:

1942

Spalte:

146-148

Kategorie:

Religionswissenschaft

Autor/Hrsg.:

Nestle, Wilhelm

Titel/Untertitel:

Vom Mythos zum Logos 1942

Rezensent:

Bultmann, Rudolf

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wicht Heimdall, z. B. als Robbe; wir möchten hinzufügen,
vielleicht doch auch als Widder. Wichte sind manchmal
längst verstorbene Großbauern, der Wicht der Oötter
kann auch ihr Stammvater sein, eine Art Stammvater der
himmlischen Welt; so erklärt sich der Eingang der
Völuspa: heigar kindir, mögo Heimdallar bezieht sich auf
die Asen, Wanen, Alben. Die Völva spricht vor den
Göttern! Heißt er auch heimskastr allra asa, so bedeutet
das nicht ,dumm' oder ,einfältig', sondern „mehr daheim
als die andern Asen". Keine Sagengestalt ist dieser Gott,
die mit dem Leben der Menschen verknüpft wäre, er gehört
der Welt der Götter an; an sie, ihren Hof, ihre
Siedtlungen ist er gebunden.

Ich stehe nicht an zu erklären, daß hier die einleuchtendste
, weil zeitgemäßeste, Deutung dieses Gottes gegeben
worden ist; die vielen anderen, früneren, die auch
ihm schon widerfahren waren, führt uns der Verfasser
noch einmal vor, um sie, manchmal etwas überflüssigerweise
, zu widerlegen. An Snorri Sturluson übt er mehrfach
Kritik. An ihm selber wäre zu kritisieren, daß er
zweimal sozusagen aus der Methode fällt. In Heimdallar
hliod sieht er nicht das Giallarhorn, sondern, in Abhängigkeit
von christlicher Ausdrucksweise, die vox Arcli-
angeli und Heimdalls wunderbare Geburt erklärt er
„naturalistisch", seine neun Mütter seien die Disen in
Gestalt von Meereswellen. Das mögen Verlegenheiten
sein oder auch Beweise besonnener Sachlichkeit, die ihre
Methode nicht zu Tode hetzen will; auf jeden Fall sind
es zwei kleine Schönheitsfehler in seiner sonst — noch
weit über die oben angedeuteten Einzelzüge hinaus —
so tapfer durchgeführten Erklärungsweise.

Bonn a. Rh. Hans N a n in a n n

Menschin g, Gustav, Prof. Dr.: Der Kampf der Religionen am
Rhein. Bonn : Bonner Univ. Ruclirlr. 1040. (35 S.) 8° = Kriegsvorträge
d. Rhein. laiedrich-Wilhelms-Univ. Bonn a. Rh. H. 31. RM —50.
Wiederholt schon ist die politische und wirtschaftliche
Bedeutung des Rheinlandes behandelt worden; wie
bedeutungsvoll aber dieses Gebiet gerade auch für die
Auseinandersetzung der Religionen in den ersten Jahrhunderten
unserer Zeitrechnung gewesen ist, das hat
in lichtvoller Weise der Bonner Religionshistoriker G.
Mensching in seinen beiden Vorträgen ,Der Kampf
der Religionen am Rhein' verlebendigt. Dabei verdient
besondere Beachtung, worauf G. Mensching schon in
seiner klärenden Studie ,Volksreligion und Weltreligion'
(1938) hingewiesen hat, daß die hier am Rhein sich berührenden
Religionen von verschiedener Struktur sind:
„den Volksreligionen (germanische, römische, keltische
Religion)" stehen auf der anderen Seite „Universalreligionen
(orientalische Mysterienkulte und Christentum)"
gegenüber. Dieses „Sich-berühren, Beeinflussen, Verdrängen
, Unterdrücken der Religionen, das Wiederaufleben
uralter Tendenzen, das Siegen und auch das Sterben
der Religionen" stellt zweifellos „eines der eindruckvollsten
Schauspiele in der Geistesgeschiclite" der Menschheit
dar. In prägnanter Weise schildert G. Mensching
nun die typischen Eigenarten dieser einzelnen Religionen
, um sodann die Grundformen religiöser Auseinandersetzung
eingehender zu erörtern. Dabei ergeben sich
ihm zwei Problemkreise: „die wechselseitige Stellungnahme
der Volksreligionen zueinander" und sodann „die
Formen der Auseinandersetzung zwischen Volksreligion
und Universalreligion". Daneben ist den sich begegnenden
Volksreligionen eigentümlich, daß kein Kampf im Sinne
feindlicher Angriffe stattfindet, sondern lediglich eine
friedliche Beeinflussung, Angleichung und Durchdringung
überall zu beobachten ist; sie haben auch kein Bestreben
, sich gewaltsam auszubreiten. Wesentlich anders
jedoch gestaltet sich die Lage, wenn es zur Auseinandersetzung
zwischen Volksreligionen und Universalreligionen
kommt, wobei noch zu Beachten ist, ob letztere Wan-
dcrreligionen oder missionierende Religionen sind. Gegenüber
der Universalreligion erweist sich die Volksreligion
zumeist als die schwächere und an verschiedenen

Beispielen zeigt der Verfasser auf, wie manche Vorstellungen
aus den orientalischen Mysterienkulten in
die einheimischen Religionen am Rhein eingedrungen
sind. Ein harter Kampf setzte ein, als das Christentum
„der bodenverwurzelten Elementarreligion mit ihrer ungeheuren
Kraft der Beharrung und der Ewigkeit der urreligiösen
Tendenzen und Bedürfnisse des Volkes" begegnete
; allenthalben aber läßt sich beobachten, daß es
nicht gelang, die volksreligiöse Elementarschicht auszurotten
(z. B. Flurumgänge, Tanz, Kultmahlzeiten und
Gelage, Matronenkultus); vielfach lebten sie in verweltlichter
Gestalt weiter. „Kampf der Religionen am Rhein
- ein bunter Wechsel in den Jahrhunderten um die
! Wende der Zeiten..: friedliche Durchdringung und Beeinflussung
, neue Offenbarungen und gewaltsame Unterdrückung
, alte Götter unter neuen Namen, neue Götter
und hohe Ideale auf dem Boden uralten Volksglaubens"
(S. 33).

München R. F. Merkel

Nestle, Prof. Dr. Wilhelm: Vom Mythos zum Logos. Die Selbst-
entfalümg des griechischen Denkens von Homer Iiis auf die Sophi-
stik und Sokrates. Stuttgart: Alfred Kröner 1940. (VIII, 572 S.)
gr. 8°. RM 15—; geb. RM IS—

Der Verf. setzt sich das Ziel, „zu zeigen, wie in einer
i überraschend kurzen Zeitspanne, im ö. und 5. Jahrh.

v. Chr., das mythologische Denken der Griechen Schritt
! für Schritt durch das rationale Denken ersetzt, ein Gebiet
um das andere für eine natürliche Erklärung und Erforschung
erobert und daraus die Folgerungen für das
praktische Leben gezogen wurden. Es handelt sich also
um die allmähliche Zersetzung der griechi-
j sehen Religion..." (Vorrede). Da der Verf. die
Entwicklung des rationalen Denkens bis zu seinem end-
1 gültigen Siege über das mythologische Weltbild zeich-
! nen will, ist es begreiflich, daß er die Darstellung mit
I Sokrates abschließt und die folgende Entwicklung bis
I zum Neuplatonismus zum Schluß auf nur 10 Seiten
skizziert. Durch die Zielsetzung ist es auch gegeben,
I daß er die vorsokratische Philosophie nur soweit einbezieht
, als sie für diesen Rationalisierungsprozeß bedeutsam
ist, der im übrigen an der Geschichte der Dichtung
; (Homer bis Euripides) und der Fachwissenschaften (besonders
Historie und Medizin) aufgezeigt wird. Das
Hauptgewicht fällt auf die Sophistik, der von den 548
Textseiten des Buches rund 200 Seiten — und wenn wir
das Kapitel über ihre Verbreitung und Wirkung mitrechnen
, etwa die Hälfte des Buches — gewidmet sind.

Dem Verf. liegt daran, „die Bedeutung der S o p h i -
I stik ins richtige Licht zu stellen", als einer Bewegung,
| die eine „wahrhafte Umwälzung des griechischen Geisteslebens
" bewirkt hat, und „deren Sinn einzig Nietzsche
in seiner ganzen Tiefe erfaßt hat" (Vorr.). Freilich
ist die Erkenntnis der positiven Bedeutung der
Sophistik, die sie auch für Denker wie Sokrates und Piaton
gehabt hat, heute nicht mehr neu. Auch kommt der
Sophistik diese Bedeutung im Grunde nicht vermöge der
Originalität und Kraft ihrer Gedanken zu — sie lebt ja,
wie auch die Darstellung des Verf. es nicht verkennt, im
wesentlichen von den Gedanken der ionischen Philosophie
und der Atomistik —; vielmehr hat sie ihre geschichtliche
Bedeutung als ein soziales Phänomen.
Gleichwohl liegt das Hauptverdienst des Buches in der
ausführlichen Darstellung dieser Bewegung, ihrer Vertreter
und ihrer Wirkung auf das politische und wissenschaftliche
Denken.

Die Darstellung ist klar und gut lesbar. Es überwiegt in vielen
Partien der referierende Bericht; besonders im Kapitel über die Sophistik
treten daneben untersuchende Ausführungen, die teils der Inter-
1 pretalion von Texten gewidmet sind (wie der des Homomcnsura-
Satzes S. 268 ff.), teils den Fragen der Datierung und der Quellen-
Verhältnisse gelten. Sie ordnen sieh der Gesamtdarstellung ohne
Bruch ein. Im ganzen hat das Buch den Charakter eines Kompendium«
und ist als solches vorzüglich. Kann man nicht sagen, daß es sich
durch besonders originelle Gedanken auszeichnet, so ist es doch
außerordentlich inhaltsreich und durchaus selbständig gearbeitet auf