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Ausgabe:

1942

Spalte:

94-95

Kategorie:

Neues Testament

Autor/Hrsg.:

Willing, Karl

Titel/Untertitel:

Die älteste Quellenschrift unserer Evangelien 1942

Rezensent:

Büchsel, Friedrich

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sias bezogen ist, wird v. 7 der König „mein Sohn" von
Gott genannt. Vgl. meine ausführliche Untersuchung des
in Betracht kommenden Materials im Dtsch. Pfarrerblatt
1940, 238 ff. u. 250 f. Auch ü. Unterscheidung von
Messias und Menschensohn ist nicht durchführbar. Im
äthiop. Henoch ist der Menschensohn sichtlich Weltrichter
, d. h. Messias. Wenn G. hier vom Anklingen inessia-
nischer Züge redet, so ist das eine Abschwächung des
klaren Tatbestandes im Texte. Ganz unmöglich ist G.
Behandlung von Mk. 8, 28ff.; er behauptet (54f), Jesus
lehne dort das ihm entgegengebrachte Messiasbekenntnis
ab. Indessen Mk. 8, 30 ist nicht, wie G. will, ein Verbot
der Aussage: Du bist der Messias, sondern ein Verbot
der Weitergabe dieser Aussage. Daß dies allein für
Mk. der Sinn von 8, 30 ist, erhellt aus dem Wortlaut von
8,30 und aus 14,62, wo Jesus sich in entscheidender
Stunde als Messias bekennt, und aus 10, 47 f., wo Jesus
Umgebung dem, der Jesus öffentlich als Davidssohn
d. h. Messias ausruft, Schweigen gebietet. Daß Jesu
Voraussage des Leidens und der Verwerfung des Menschensohns
im Gegensatz zu dein Messias-Bekenntnis
stunde, wie G. will, ist unverkennbar gegen Mk., der ja
13,26; 14,62 den Messias Menschensohn nennt und an
den von seinem Volk Verworfenen und Gekreuzigten
als den Messias glaubt Wenn man einmal Mk. 14,62 als
ungeschichtlich ablehnt, kann mau nicht 8,28 30 als
Beweis dafür, daß Jesus das Messiasbekenntnis abgelehnt
habe, festhalten. Selbstverständlich hat Jesus den
überkommenen Messiasgedanken bis in seine Tiefe umgestaltet
und auf der Grundlage der at. Weissagung aus
seiner besonderen Gottesgemeinschaft heraus einen neuen
Messiasbegriff gebildet. Jedoch das kann G. nicht zugestanden
werden, daß ein leidender Messias nicht im Bereich
der palästinischen (besser: jüdischen) Möglichkeiten
lag (55). Denn das messianische Verständnis von
Jsj. 53, das im Targum vorliegt, ist zur Zeit Jesu schon
ebenso wohl möglich gewesen. Vgl. Strack-Billerbeck I
481 ff. Mit dem Begriff des Freudenboten von Jsj. 52,7;
61, 1- 2 den des Messias Jesus gegenüber zu ersetzen
51 ff., gelingt G. nicht. Denn Jesus ist zugleich Verkünder
des Gerichts, der zur Umkehr aufruft, d. h. zur tathaft
die Sünde eingestehenden Abwendung von ihr. Die
starke Endgerichtserwartung, die die Evangelien durchpulst
, ist nicht ein Stück wieder eingedrungenen Judentums
, sondern etwas von dem Eigensten Jesu, von seiner
Himmelreichserwartung. Für G. freilich gilt Gottes
Gericht nur dem, der „Gottes Liebe an sich geschehn
läßt, selbst aber nicht zu solcher Liebe bereit ist" (106).
Dies Gericht Gottes zieht G. für die Pharisäer in Betracht
. Davon, daß Jesu Wort alle Menschen zu solcher
Liebe, wie Gott sie an ihnen übt und deshalb von ihnen
verlangt, nicht bereit findet, daß es allen zur Enthüllung
des Gerichts Gottes, dem sie verfallen sind, wird, von
von dieser für die Weltbedeutung Jesu entscheidenden
Tatsache schweigt G. Jesu Urteil über die Menschen:
»die ihr böse seid" Mt. 7,11 und: „bei den Menschen
ist es unmöglich" „errettet zu werden" Mk. 10,26 f.,
erhält in G. Buch nicht seine gebührende Würdigung.
Die Folge davon ist, daß auch die Aussagen G. uber
Jcsu Tod (157) und seine Auferstehung (164) recht blaß
bleiben.

Der zweite Gedanke von E. Hirsch, auf dem (i.
fußt, ist: die Stammbäume beweisen, daß Jesus nicht-
jüdischer Herkunft ist. Um dies zu erhärten, behandelt
G. eingehend das galiläische Problem (166 ff., 82 ff.).
Wir haben eine nur sehr beschränkte Kenntnis der Geschichte
Galiläas. Es hat zur Zeit Jesu sicher viele heidnische
Bewohner gehabt, und von denen, die jüdischer
Heligion waren, mögen viele heidnischer Abkunft gewesen
sein. Daß Galiläa um 150v.Chr. frei von Juden
"n eigentlichen Sinne gewesen ist (169), läßt sich freilich
aus 1. Makk. 5, 21-23, wenn man Josephus ant. 12,
332-334 vergleicht, nicht so einfach sicher stellen; und
die Vermutungen, die G. (85 f.) aus den Henochbüchern
»ber Galiläa schöpft, sind recht vage. Jedenfalls ist es

in keiner Weise beweisbar, daß die galiläischen Juden
zur Zeit Jesu im Wesentlichen Nachkommen von zwangsweise
beschnittenen Heiden sind. Denn daß das fruchtbare
Galiläa nach seiner Eroberung durch die Makka-
bäer Rück- und Zuwanderer jüdischer Abkunft angezogen
hat, kann keine Frage sein. Ob sie nun viele oder wenige
waren: niemand kann im Ernste bestreiten, daß Jesu
Vorfahren jüdischer Abkunft gewesen sein können.
Die Konstruktionen auf Grund der Stammbäume Jesu,
die G. z.T. von Hirsch übernommen hat, sind jedenfalls
gänzlich unhaltbar. Daraus daß 3 von den in Jesu
Stammbaum bei Mt. genannten 5 Frauen heidnischer Abkunft
waren (über Bathsebas Abkunft sagt das A.T. nur,
daß sie Tochter Ehams, nicht daß sie Heidin war), folgt
für die 5., Jesu Mutter, schlechterdings — nichts. Noch
weniger folgt aus der Tatsache, daß der Vater des Joseph
bei Mt. und Lk. verschiedene Namen trägt, daß
man sich seines Namens schämte, weil er nicht jüdisch
war. Was Epiphanius über Jesu Großvater Jakob sagt
ist nur, daß er den Beinamen, nicht daß er den Namen
Panther hatte. Doppelnamigkeit ist nun bei Juden jener
Zeit so häufig, daß sie nicht den geringsten Schluß auf
heidnische Abkunft gestattet, ganz abgesehen davon, daß
jene Notiz des Epiphanius schwerlich geschichtlich zuverlässig
ist. Aber die Frage der Abkunft Jesu lälu sich
überhaupt nicht mit der Untersuchung seiner Vorfahren
erledigen. „Der Glaube an Christus schließt die Gewißheit
ein, daß sein Leben als das des „Sohnes" nicht aus
den Zusammenhängen und Entwicklungsmöglichkeiten
der sündigen Menschheit begriffen werden kann. Seine
Geburt als Mensch ist also ein schöpferisches Wunder
Gottes". (Althaus, Dogmatik II 11932) 98). Nur wer die
Frage nicht bis in ihre Tiefe verfolgt und von der Herkunft
Jesu aus Gottes schöpferischem Wunder nichts
wissen will, hat Anlaß, nach nicht-jüdischen Vorfahren
Jesu auszuschauen.

Die Arbeit G. stellt wieder einmal vor die grundsätzliche
Frage nach dem Wert solcher Rekonstruktionen
des „historischen Jesus", wie sie nun seit mehr als
100 Jahren kommen und gehn. Ihre Beobachtung dürfte
2 Erkenntnisse erzeugt haben: 1) Die Gemeinde Jesu
hat von ihm berichtet, weil sie glaubte, daß der Gekreuzigte
doch der zur Rechten Gottes Erhöhte, der Heilder
Welt sei, daß sie durch ihn Teil am Himmelreich,
an der Vergebung der Sünden und dem ewigen Leben
erhalte. 2) Wenn man diese Glaubensstellung beiseite
läßt und die Evangelien als Material geschichtlicher
Kombination benutzt, um zu dem „historischen Jesus"
vorzudringen, bleiben nur 2 Möglichkeiten: a) man erkennt
, daß dieser vom Jesus des Glaubens der Gemeinde
verschiedene „historische Jesus" für uns unerkennbar
ist, oder b) man rekonstruiert ihn aus religionsgeschicht-
licbea Analogien und dergl., wodurch dann der Glaub«
der Gemeinde an Jesus mehr oder weniger zum Erzeugnis
mythenbildender Phantasie wird und die Frage nach
dem Anteil am ewigen Leben und der Vergebung der
Sünden zurückgeschoben wird, sodaß die Unbedingtheit
der Bindung an die Person Jesu sich verflüchtigt. Dann
gilt der Satz von J. Wellhausen: „Für das, was mit dem
Evangelium verloren geht, ist der historische Jesus, als
Grundlage der Religion, ein sehr zweifelhafter und ungenügender
Ersatz" (Einleitung in die 3 ersten Evangelien
115). Auch G. Rekonstruktion des „historischen
Jesus" aus dem Gegensatz gegen das Judentum und
der Analogie des „Charismatikers" (Otto) und gott-
innigen Menschen vermag dies Urteil eines unkritischer
Voreingenommenheit sicher unverdächtigen Theologen
nicht umzustoßen.
Kostuck p Büchs«!

Willing, Dr. Karl: Die älteste Quellenschrift unserer Evangelien
. Stuttgart: Tazzelwurm-Verlag (o. J.) (58 S.) RM 0.80.
Ein kurzer Abriß der Geschichte Jesu auf dem Hintergrund
einer Geschichte Israels, gewonnen aus der Geschichtenquelle
der Synoptiker, der Grundlage des Mk.