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Ausgabe:

1942

Spalte:

42

Kategorie:

Ökumenik, Konfessionskunde

Titel/Untertitel:

Verzeichnis der Gemeinden und Register der evangelischen Deutschen in Brasilien 1942

Rezensent:

Heckel, Theodor

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Theologische Literaturzeitung 1942 Nr. 1/2

42

von Chomiakow besteht darin, mit präziser Klarheit die
Lehre der Orthodoxie über die unfehlbare Lehrinstanz
der Kirche wieder in den richtigen Blickpunkt gerückt
zu haben. Nach der Lehre der russisch-orthodoxen Kirche
ist die Sobornostj eines der wesentlichen Merkmale
der Kirche. Die Sobornostj kann im weitesten und allgemeinsten
Sinne verstanden werden als die gnadenvolle
mystische Verbindung und lebendige geistige Gemeinschaft
aller Teile und Glieder der Kirche untereinander
und mit dem göttlichen Haupt der Kirche in der Freiheit
und in der Liebe. Der allgemeinen kirchlichen Einsicht
des ganzen rechtgläubigen Volkes und der allgemeinen
Einsicht der ganzen orthodoxen Kirche in ihrer Eigenschaft
als Hüterin und Trägerin der Evangelienverkün-
digung und der apostolischen Überlieferung kommt eine
innere gnadenvolle Unfehlbarkeit zu. Die Unfehlbarkeit
der Kirche ergibt sich also nicht aus der Unfehlbarkeit
der ökumenischen Konzilien, sondern umgekehrt diese
aus jener. Die Heilsamkeit und wahrhafte Sobornostj
dessen, was ein Kirchenkonzil beschlossen hat, wird
erst durch die Annahme (Rezeption) dieses Beschlusses
seitens der ganzen rechtgläubigen Kirche, seitens des j
ganzen Leibes der Kirche bezeugt und beglaubigt gemäß ;
den Worten der Apostelgeschichte 15/23: „Es gefällt
dem heiligen Geist und uns." Chomiakow hat dies in sei-
Her berühmten Schrift „L'eglise est une" („Die Kirche
ist eine") (entstanden 1840, erstmals veröffentlicht zu j
Moskau 1864) sowie in seinen übrigen theologischen
Arbeiten (Gesammelte Werke in 8 Bänden, Moskau j
1900 ff., theologische Schriften daselbst im 2. Band) ein- j
gehend auseinandergesetzt. Damit ist für die orthodoxe
Theologie klargestellt, da(5 von einer kirchlichen Hierar- I
chie oder dem Gesamtepiskopat als Träger kirchlicher
Erkenntnis, wie dies früher orthodoxe Theologen gelehrt
haben, nicht die Rede sein kann. Chomiakow geht auch
den pneumatischen Gesetzen des inneren mystischen Lebens
der Kirche nach. Die Kirche ist für ihn das große
tragende Element, der Gemeinschaftsstrom des Lebens.
„Wir wissen, wenn einer von uns fällt, so fällt er allein.
Aber niemand wird allein erlöst. Wer erlöst wird, wird
erlöst in der Kirche, wie ihr Glied, in Einheit mit den j
anderen Gliedern. Glaubt jemand, so ist er in der Ge-
meinschaft des Glaubens, liebt jemand, so ist er in der
Gemeinschaft der Liebe, betet jemand, so ist er in der
Gemeinschaft des Gebetes."

Die andere bekannte theologische und gleichzeitig
slawophile Konzeption Chomiakows geht dahin, daß nur |
die Orthodoxie als die unmittelbar mystische Erfassung
der von Gott geoffenbarten inneren und heiligen Wahr- I
heit und nur das russische Volk als ihr einziger Hüter
die Grundsätze der reinen christlichen Kirche unverfälscht
bewahrt haben. Das wahre Christentum wird gekennzeichnet
durch die Freiheit des in sich einigen Geistes
. Der Katholizismus ist für Chomiakow Einheit ohne
Freiheit, der Protestantismus Freiheit ohne Einheit und i
nur in der Orthodoxie, speziell in der russisch-orthodoxen
Kirche, herrscht Freiheit in der Einheit und Einigkeit
in der Freiheit. Diese bedeutsamen und gerade
heute, wo Europa wieder mit der Orthodoxie in nähere
Beziehungen gelangt, besonders interessanten Fragen
sind in der verdienstlichen Schrift von Baron eingehend
behandelt und vom katholischen Standpunkt aus beleuchtet
und kritisiert (I. Chomiakow und seine Umwelt.
H. Chomiakow als Mensch. III. Chomiakow als Slawo-
Phile. IV. Chomiakow als Theologe. V. Natur und Kennzeichen
der Kirche nach Chomiakow. VI. Die Einheit der
Kirche bei Chomiakow. VII. Die Katholizität der Kirche
nach Chomiakow.) Auch wer gegenüber dem katholischen
Standpunkt Barons die Theologie Chomiakows
selbst für richtiger hält, wird an der Schrift Barons als
der neuesten und bisher eingehendsten theologischen
Untersuchung der Werke des großen russischen Reli-
gionsphilosophen nicht vorbeigehen können.

Berlin Werner H a u g g

Verzeichnis der Gemeinden und Register der evangelischen
Deutschen in Brasilien. Hrsg. vom Archiv d. Hansestadt Hamburg.
Hamburg: Friederichsen, de Gruvter & Co., 1Q41. (87 S.) 8° = Archiv
d. Hansestadt Hamburg. Bunte Reihe H. 2. RM 2.50.

Das vorliegende Heft ist für den Praktiker eine wertvolle
Hilfe zum Nachschlagen, für den Kenner ein Abriß
der Kultur- und Kirchengeschichte des Deutschtums
in Südamerika, für die Zukunft der Forschung eine wertvolle
Unterlage. Wer zu dieser verdienstvollen, sorgfältigen
Arbeit noch das Werk Dr. Schröders „Brasilien und
Wittenberg" hinzuliest, der wird diesem oft vergessenen
Kapitel deutscher evangelischer Volks-, Kultur- und Kirchengeschichte
mit Achtung und Liebe begegnen. Alan
kann nur wünschen, daß die weitere Auswertung der
1930 vom Archiv erhobenen Fragebogen uns weitere
gleich praktische Hilfe bringt.

Berlin Th. Heckel

SYSTEMATISCHE THEOLOGIE

Kam Iah, Wilhelm: Christentum und Selbstbehauptung. Hist.

u. philos. Untersuchgn. zur Entstelig. d. Christentums u. zu Augu-
stius „Bürgerschaft Gottes". Frankfurt a. m.: Klostennann 1940.
(473 s.) 8'. rm 14.50.

Das positive Ziel dieser ernsthaften und gründlichen
Untersuchung gilt einer Lehre von der adeligen Selbstbehauptung
(S. 5), die zwar religiös, aber nicht christlich
begründet werden soll. Der erste Teil entwickelt in
engein Anschluß an Bultmann eine Auffassung des Christentums
, die wesentlich eschatologisch bestimmt ist. Der
zweite Teil dient in Auseinandersetzung mit Augustins
„De Civitate Dei" der Veranschaulichung der Grund-
these von Kamiah, daß das Christentum zu einer politischen
Selbstbehauptung in scharfem Gegensatz steht. Dabei
wendet sich Kamiah gegen verschiedene Seiten: gegen
die liberale Theologie, die sich einem Zeitgeist jeweils
anzupassen versuchte, gegen den modernen Atheismus
in der ontologischen Forschung und gegen den
Geist der metaphysikfeindlichen Aufklärung. Er erstrebt
eine philosophische Ontologie, die zu einem politischen,
geschichtlichen und religiösen Seinsverständnis vordringt.
Was Kamlah persönlich am ineisten bewegt, hat er innerhalb
des zweiten Teils im 4. Kapitel über das Wesen
der Selbstbehauptung ausgeführt. Er grenzt diese mit
aller Entschiedenheit gegen jegliche Form der Egoität
ab. Im Kampf gegen eine solche Eigenmächtigkeit hat
sich das Christentum geradezu nach Kamlah verdienstvoll
hervorgetan. Die Selbstbehauptung begreift er als
gläubige Hingabe an das politische Wir zu dessen Selbsterhaltung
.

In den einleitenden Abschnitten wird zunächst das Wesen des
Geschichtlichen und des Politischen entwickelt. Da-; Wesen der Geschichte
versteht Kamlah vom Politischen her als die gemeinsame Behauptung
gegen das Fremde und als Teilhabe an dem heimisch Vertrauten
. Dieser Geschichtsbegriff ist nicht aus einer Kulturmorphologie
und auch nicht aus einer Soziologie gewonnen, sondern aus der
Existenz des Volkes. Nur diejenige Selbstbehauptung darf daher
politisch genannt werden, bei der das Wir ganz allein auf sich angewiesen
ist (S. 10). Die weiteren Näherbestimmungen der Geschichte
ergeben sich aus dieser völkischen Begründung. Zur Oeschichte gehören
die gültige und für die Selbstbehauptung einsichtige Tradition
und die leibliche Gemeinsamkeit gegenüber dem Fremden hinzu (S. 15).
Nach diesen Vorerwägungen kommt Kamlah zu der These, daß die
ursprüngliche Existenz politisch geschichtlicher Gemeinschaft zweifach
durchbrochen worden ist: durch die griechische Philosophie
und Aufklärung und durch das Christentum.

Kamlah versteht das Christentum als die Radikalisierung einer
im Judentum angelegten Tendenz auf Entgrenzung des Völkischen
und auf Vereinzelung des Einzelnen (S. 24 f.). Jesus gilt ihm als
der letzte Prophet der radikalen Entgrenzung (S. 20), die zur Ermächtigung
des Menschen zugunsten der Allmacht Gottes führt.
Die Steigerung des Gottesgedankens bei Jesus kommt einer Aufhebung
der menschlichen Macht gleich. In dieser Linie versteht er
auch Luthers Wort: „Mit unserer Macht ist nichts getan" (S. 35).
Wie bereits in anderen gegenchristlichen wissenschaftlichen Veröffentlichungen
der letzten Zeit (Heyse, Deutelmoser) wird auch
von Kamlah besonders gegen den zentralen Gedanken von der Gnade