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Ausgabe:

1942

Spalte:

30-31

Kategorie:

Neues Testament

Autor/Hrsg.:

Delling, Gerhard

Titel/Untertitel:

Das Zeitverständnis des Neuen Testaments 1942

Rezensent:

Grundmann, Walter

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2!)

Theologische Literaturzeitung 1942 Nr. 1/2

30

zeigt werden konnte, in mühseliger Kleinarbeit aus den
Hss. herauszuarbeiten. Angesichts dieser Tatsache ist
festzustellen: Tatians Einfluß kann sich nur auf einige
wenige Stellen der Vetus Latina erstrecken. Dabei bleibt
fraglich, wann und wie dieser Einfluß Tatians in die
Vetus Latina gelangt ist. Auch den Syriasmen, die der
Verf. anfuhrt, darf man nicht zuviel Wert beilegen. Vieles
, was der Verf. auf Grund seiner Stellung zur Vetus
Latina dann über den westlichen Evangelientext und
seine Beeinflussung durch das. Diat. behauptet, fällt somit
auch hin. Die Geschichte der Evangelienübersetzung
wird vom Verf. zu starr gesehen. Das wird an den Abschnitten
über diese Probleme besonders deutlich.

Daß man auch sonst zu manchen Ausführungen des Verf. ein
Fragezeichen machen muß, sei an dem Beispiel der Himmelgartner
Bruchstücke gezeigt. Von ihnen nieint IVers: Sie haben vereinzelt
als schlechthin einzige Zeugen des echten Tatiarotextes zu gelten. Das
ist angesichts der völligen Unsicherheit bezüglich des Umfanges des
Diat. durch nichts zu beweisen!

Im Schlußkapitel: Über die Originalsprache, die Quellen
, und den Aufbau der Harmonie, die Überlieferungsgeschichte
ihres Textes und die Persönlichkeit ihres Verfassers
gibt der Verf. kurze Hinweise dazu, wie er sich
die Lösung der in der Überschrift genannten Probleme
auf Grund der Einzeluntersuchungen denkt:

Jegliche Diat.-Überlieferung des Ostens und des Westens
, soweit sie nicht unmittelbar in syrischer Sprache
begegnet, führt auf syrische Textgestaltung zurück. Daher
war das Original ein sprachlich syrisches. Auf diesen
Schluß führt auch die Tatsache, daß Tatian bei der
Abfassung des Diat. das Hebräer-Evangelium als Quelle
und zwar als erste Quelle benutzt hat. Mit äußerster
Feinheit hat T. die Harmonie zusammengestellt. Im
Laufe der Entwicklung ist die mosaikartige Komposition
immci mehr vergröbert worden durch Angleichen an
Umfang und Textbestand des kanonischen Textes. Auch
Stilistik und Exegese Tatians sind Faktoren, mit denen
die Forschung sich zu beschäftigen hat. Zum Schluß
wird dann das Wenige geschildert, was uns vom Leben
Tatians bekannt ist: In Rom hat T. seine Harmonie verfaßt
. Kurz danach ging er nach Syrien zurück. So hat
sein Werk im Morgen- und Abendland gleicherweise wirken
können.

Hier werden also die Haupt- und Schlußfragen der
gesamten Diat.-Forschung aufgerollt: Entstehungssprache
und Entstehungsort, Umfang und Form des Diat.
Mit der Behauptung der syrischen Ursprache wird der
Verf. wohl recht haben, wenn man auch nicht allen seinen
Argumenten zustimmen wird. Dagegen ist die Entstehung
des Diat. in Rom recht zweifelhaft. Wie schon
oben gesagt, kann man die Geschichte des Diat. im
Abendland nicht so sehen, wie der Verf. es tut. Damit
fällt aber ein wichtiges Argument für die Entstehung in
Rom weg. Ferner ist die Behauptung, daß in Rom das
syrische Element am Ende des 2. Jhdts. stark vertreten
w/ir, nicht bewiesen und nicht zutreffend. So bleibt auch
die Frage nach dem Entstehungsort noch eine Aufgabe
für die Diat.-Forschung.

Nach dem Schlußkap. folgt noch ein kurzer Nachtrag. Zu Nr. 4
dieses Nachtrags (S. 215) sei noch darauf hingewiesen, daß Peters
inzwischen selbst zu den von Stegmüllcr veröffentlichten Fragmenten
Stellung genommen hat und zwar ablehnend (Biblica 21, 1, 51 ff.).

Den Schluß des Buches bildet ein vorzügliches und
Wohl nahezu vollständiges Literaturverzeichnis und ein
Register. —

Zusammenfassend sei gesagt: Der ohne Zweifel hohe
Wert des Buches liegt in der klaren und vollständigen
Ausbreitung und Darstellung des gesamten für die Arbeit
auf dem Gebiet des Diat. nötigen Materials. Das ist
ein außerordentlich hohes Verdienst des Verf.! Dagegen
sind in vielen Einzelheiten Hypothesen vorgetragen,
denen man nicht zustimmen wird. (In erster Linie bleibt
der Einfluß des Diat. auf den Vierevangelientext im
Westen fraglich. Nebenbei sei hier schließlich noch bemerkt
, daß die mehrfachen Ausfälle des Verf. gegen die

„liberale Literarkritik" recht unangebracht sind.) Aber
die Hypothesen P.s regen zur Diskussion an und das ist
| doch auch ein gutes Zeichen für das Buch. So wird also
in Zukunft jeder, der irgendwie mit dem Diat. und seinen
Problemen sich beschäftigen will, zu dem Buch von
Peters greifen zur Orientierung, zur Auseinandersetzung
und zur Weiterarbeit.

Berlin-Dahlem Wilhelm Schneemelcher

Delling, Gerhard: Das Zeitverständnis des Neuen Testaments.

Gütersloh: C. Bertelsmann 1940. (X, 167 S.) gr. 8".

RM 5—; geb. RM b.50.
Die vorchristliche Religion der antiken Welt lebt von
| drei religiösen Mächten: vom Mythos, von der apokalyptischen
Eschatologie und vom Gesetz. Im Mythos gestaltet
sich die erahnte Antwort auf die große Schicksalsfrage
nach dem ewigen Geschick des Menschen, nach
; Gottheit und Schicksal; in den Mysterienreligionen wird
! die mythische Gestalt des Kultheros zum Bild für das
j menschliche Schicksal, das sich mit ihr sakramental ver-
j bindet. Die apokalyptische Eschatologie lebt von der
j berechnenden und forschenden Hoffnung auf die bevor-
: stehenden Ereignisse einer hereinbrechenden Gottesgeschichte
, die dem jetzigen Weltzustand ein Ende setzen.
Im Gesetz tritt dem Menschen der fordernde Wille
Gottes entgegen, unter dessen Erfüllung der Mensch
sich die Gerechtigkeit schafft, mit der er vor dem vergeltenden
Gott bestehen kann. In diese so bezeichnete
Welt tritt das Christentum mit seiner Botschaft von
Jesus, dem Christus und Sohne Gottes ein. Es verkündet
diesen Christus als des Gesetzes Telos, d. h. als seine
Beendigung und Erfüllung. Weil der das Christentum
bestimmende Gottesgedanke den Vergeltungsgedanken
ausschließt, ist das Nein zur Gesetzesreligion am schärf-
I sten. Es verkündet die Geschichte Christi, vor allem
seine Auferstehung, als den Anbruch des eschatologi-
schen Geschehens, was in der Botschaft Jesu vom Jetzt
des Reiches Gottes in seiner Geschichte selbst wurzelt.
Damit greift sie in den Bereich des Mythos hinein: was
der Mythos erahnend gestaltet, ist in der geschichtlichen
Erscheinung Jesu von Nazareth geschichtliche Wirklichkeit
. So wird die mythische Ahnung in die geschichtliche
Wirklichkeit überführt und das geschichtliche Geschehen
wird mythisiert, wofür die neutestamentliche Christologie
deutliche Beweise enthält. Was Mythos und Eschatologie
außerhalb von Zeit und Geschichte suchen, ist nach
christlichem Zeugnis in der Geschichte Jesu Christi in
die Geschichte eingegangen; und diese Geschichte stellt,
wie die Ablösung des Gesetzes erweist, den entscheidenden
Wendepunkt und die entscheidende Epoche der Geschichte
überhaupt dar. Diese als Erfüllung qualifizierte
Geschichte ist das Unterpfand der zukünftigen Vollendung
. „Für die jüdische Zukunftserwartung liegt der
Schnitt so, daß die Gegenwart inhaltlich auf der Seite
der Vergangenheit liegt — für die christliche Heilsgewißheit
so, daß die Gegenwart inhaltlich schon zur Zukunft
gehört" (Delling, S. 136). Damit ist ein neues Verständnis
von Geschichte erreicht, dem ein eigentümlicher
Zeitbegriff zu Grunde liegen muß. Während das Geschichtsverständnis
des Neuen Testaments in der letzten
Zeit verschiedentlich untersucht worden ist, fehlte noch
eine Erörterung des dem Geschichtsverständnis zu Grunde
liegenden Zeitverständnisses.

Gerhard Delling, der schon durch seine gründliche
Studie über „Paulus Stellung zu Frau und Ehe" und
durch seine Beiträge im „Theologischen Wörterbuch
zum NT" bekannt geworden ist, legt nun in einer methodisch
wie theologisch ebenso mustergültigen und zuverlässigen
Arbeit das neutestamentliche Zeitverständnis frei.
Die ersten beiden Teile untersuchen „die Zeitauffassung
des Griechentums" und „das Zeitgefühl in alttestament-
lichem und jüdischem Schrifttum". Dabei werden bedeutsame
Unterschiede sichtbar, die der Verfasser mit
. Recht aus rassisch-volkhafter Verschiedenheit erklärt, zu-