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Ausgabe:

1942

Spalte:

321-323

Kategorie:

Kirchengeschichte: Reformationszeit

Autor/Hrsg.:

Luther, Martin

Titel/Untertitel:

Unbekannte Fragmente aus Luthers zweiter Psalmenvorlesung 1518 1942

Rezensent:

Bornkamm, Heinrich

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Theologische Literaturzeitimg 1942 Nr. 11

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liehen Zusammenhängen abzuleiten. Sie lehrt uns, zu
welch heroischer Größe auch ein durchaus lutherischer
Staatsmann sich erheben kann" (1751). Allerdings —
das Luthertum Gustav Adolfs „ist eine selbständige
und freie Fortbildung, nicht unmittelbares Produkt
lutherischer Lehren" (224). Man kann — so betont
G. Ritter gegen E. Kohlmeyer — die Staatsanschauung
Gustav Adolfs nicht „unmittelbar aus Gedankengängen
Luthers ableiten" — und doch ist sie
echtes Luthertum. Das Luthertum geht eben nicht auf
in dem, was Luther ausgesprochen hat, geschweige denn
in der Verwirklichung, die es im 17. Jahrhundert fand.
Wir wünschen diesem Buche viele aufmerksame Leser,
sowohl unter den Theologen wie auch unter denen,
die auf keinen Theologen mehr hören.

Erlangen I'. Althaus

Vogelsang, Erich: Unbekannte Fragmente aus Luthers
zweiter Psalmenvorlesung 1518. Berlin: W. de Qrnyter & Co. 1940.
(98 S.) gr. 8° = Arbeiten z. Kirchengesch. 27. RM 8—.

Ein seltsames Schicksal hat es gefügt, daß einige der
frühen Vorlesungen Luthers, nachdem sie lange verborgen
geblieben waren, fast am Wege gefunden wurden.
Das lange gesuchte Original der Römerbriefvorlesung
fand sich bekanntlich in einem Schaukasten der Kgl.
Bibliothek zu Berlin. Und die vorliegende Auslegung des
4. und 5. Psalms ist in dem Cod. Pal. der Vaticana enthalten
, aus dem zuletzt die Hebräer-Vorlesung und vorher
schon einige andere Auslegungen Luthers veröffentlicht
worden sind. Als Vogelsang in der Vatikanischen
Bibliothek nach Kollegnachschriften von Luthers erster
Psalmenvorlesung (1513—15) suchte, machte er diesen
weitaus wertvolleren Fund, der wahrscheinlich aus Luthers
zweiter Psalmenvorlesung (1518—21) stammt. Wir
kannten bisher nur die auf ihr beruhenden, von Luther
selbst zum Druck gebrachten Operationes in Psalmos
(Ps. 1—22, 1519—21, W. A. 5). Mit dem neuen Fragment
schließt sich wieder eine der nicht mehr vielen
Lücken in der Kette von Luthers frühen Vorlesungen.
Daß es so spät geschieht, zeigt wieder einmal, wie hinderlich
für die Reformationsgeschichte die Überführung
so vieler Handschriften der Palatina nach Rom geworden
ist. Der schon mehrfach, z. T. aber nur nach Photokopien
benutzte Band wäre, wenn er noch in Heidelberg
läge, wahrscheinlich längst genauer untersucht worden.
Um so mehr dürfen wir uns nun des Fundes freuen und
Vogelsang danken, daß er ihn uns in einer sorgfältigen
und ausgezeichnet kommentierten Ausgabe zugänglich gemacht
hat.

Daß es sich bei dem anonymen Fragment um einen
Luthertext handelt, wäre auch dann nicht-zu bezweifeln,
wenn nicht eine Fülle von wörtlichen oder sachlichen Berührungen
sowohl mit der ersten Psalmenvorlesung wie
mit der späteren Druckausgabe, die Vogelsang in einer
Tabelle (S. 8—10) übersichtlich zusammengestellt hat,
unbedingte Sicherheit gäben. Denn Gedanken und Sprachkraft
verraten den werdenden Reformator auf jeder Seite
. Auch die Einordnung zwischen die bisher bekannten
Psalmenauslegungen ergibt sich von selbst, da das
Fragment weder davor noch danach eingereiht werden
kann und offenkundig in die Zeit des jungen Luther gehört
, also nicht etwa mit den Psalmenbearbeitungen der
dreißiger Jahre in Verbindung gebracht werden kann.
So ergibt sich die überzeugende Annahme Vogelsangs,
daß wir hier einen Niederschlag von Luthers 2. Psalmenvorlesung
, die er am 29. März 1521 vor der Reise nach
Worms abgebrochen hat, vor uns haben. Da Luther den
Druck bereits im März 1519 mit Ps. 1 — 5 ' begonnen
hatte, läßt uns der Vergleich des neuen Fragments mit
der Druckausgabe gerade für den entscheidungsreichen
Winter 1518/19 einen Blick in Luthers Studierstube tun.

Der Text des Cod. Pal. ist nach Vogelsangs Annahme
die Abschrift einer studentischen Kollegnachschrift, ebenso
das kleine, bereits von Löscher 1703 veröffentlichte
Fragment W.A. 1, 346—349, das sich erst jetzt durch

die Übereinstimmung mit dem neuen Fund richtig einordnen
läßt. Gegen diese Annahme spricht freilich, wie
Vogelsang selbst zugibt, das Fehlen aller Hörfehler, wie
sie sich in allen anderen studentischen Nachschriften
zahlreich, ja z. T. massenhaft finden (vgl. die Einleitun-
:n in W.A. 57: Rom. S. XXXIV, Gal. S. IX, Hohr.
; S. IX, XII). Die wenigen Textverstümmelungen, die
t Vogelsang (S. 13) nur aus eiliger Nachschrift meint verstehen
zu können, lassen sich auch als Abschreibfehler
I deuten (die wichtigste S. 63,15 als Homoioteleuton hin-
j ter in). Andererseits sind die mancherlei Auslassungen
, der Handschrift leichter aus einer Nachschrift als aus
einer — unmittelbaren oder mittelbaren — Abschrift aus
Luther eigenem Manuskript zu erklären. Die Frage ist
nicht von großem Belang, da es sich in jedem Falle um
einen genau vorbereiteten Text handelt, bei dem Luther
— vielleicht ohne ihn wörtlich verwenden zu wollen —
i schon an den Druck gedacht hat. Das zeigt der S. 51, 14
erwähnte, in einem Vorlesungsdiktat auffallende lector.
Nun scheint mir, daß sich von der Psalmenbearbei-
I tung, der das Fragment entstammt, noch mehr erhalten
; hat, als Vogelsang annimmt, nämlich auch die Auslegung
von Ps. 23—25 (W.A. 31 I 462—480). Dies 1559 von
I den Erben Veit Dietrichs herausgegebene Fragment wur-
I de von ihnen als Fortsetzung der Operationes in Psalmos
(1519—21), von dem Herausgeber Koffmane als Stück
der Psalmenvorlesung (1513—15), von Böhmer (Luthers
erste Vorlesung. Ber. über d. Verhandl. d. Sächs. Ak. d.
Wiss. Phil.-hist. KI. 75,1, 1924, S. 38ff.) als Teil der
l Druckbearbeitung von 1516 gewertet. Es entspricht aber
nach Form, Länge und theologischer Art so genau dem
von Vogelsang veröffentlichten Fragment, daß an 4er
Zusammengehörigkeit nicht zu zweifeln ist. Es bietet bis
auf eine kleine Scholie zu Ps. 23 nur Glosse, also (anders
als Böhmer S. 40 angibt) nicht den kombinierten
Text, den Luther nach den uns erhaltenen Bearbeitungen
von Ps. 1 und Ps. 4 (W.A. 3; 15—26 und 39-61)
schon 1516 (also nicht erst 1519!) für den Druck bestimmt
hat. Veit Dietrichs Erben haben angegeben, daß
ihr Text nach dem Autograph Luthers gegeben sei. Sollte
das richtig sein, fiele dann nicht ein Licht auch auf
die Überlieferung unseres Fragments?

Es hätte manches Verlockende, beide Fragmente auf
I das Jahr 1516 ansetzen zu können, da sich im Gegensatz
| zu dem weiten Abstand von der Druckbearbeitung von
1519 (bei Ps. 4 und 5) das gleiche enge Verhältnis zur
Glosse von 1513 und manche Berührungen mit der Rö-
[ merbriefvorlesung zeigen. Eine umfassendere Untersuchung
, als sie hier möglich ist, müßte die Frage noch
einmal, vor allem durch Vergleich mit anderen Schriften
Luthers aus diesen Jahren, nachprüfen. Aber da die
Druckbearbeitung von 1516 offenbar anders ausgesehen
I hat, bleibt zunächst keine andere Annahme, als das Frag-
[ ment Vogelsangs und das von W. A. 31 I für Niederschläge
der zweiten Psalmenvorlesung von 1518 anzu-
| sehen. Man muß dabei die Schwierigkeit in Kauf nehmen
, daß sich die von Vogelsang selbst aufgeworfene
Frage kaum ganz beantworten läßt, warum Luther nach
wenigen Monaten die Exegese der Vorlesung so völlig
I verworfen und bis auf geringe Anklänge eine ganz
i neue Auslegung zum Druck gegeben hat. Die weitaus
! stärkste Berührung zeigt der große Exkurs über die
christliche Hoffnung (zu Ps. 5,12), der uns bemerkenswerterweise
auch in zwei Sonderüberlieferungen erhalten
ist: dem Löscher-Fragment und einer deutschen
! Übersetzung des Abschnitts aus den Operationes. Zur
Erklä rung der genannten Schwierigkeit, trägt, wie mir
scheint, Luthers innere Geschichte von 1517—1519 die
Vogelsang (S. 15—22) eingehend darlegt, wenig ' bei.
Denn von den Geschehnissen namentlich der Schicksalsmonate
Ende 1518 findet sich doch weder im Fragment
i noch in den Operationes ein wirklicher Niederschlag. Ich
sehe den biographischen Wert dieser Auslegungen vielmehr
umgekehrt darin, daß sie uns ebenso wie die
Hebräer-Vorlesung von 1517/18 in ihrer Unberührtheit