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Ausgabe:

1942 Nr. 11

Spalte:

319

Kategorie:

Kirchengeschichte: Mittelalter

Titel/Untertitel:

Die Urkunden der deutschen Könige und Kaiser; Bd. 6 1942

Rezensent:

Holtzmann, Robert

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319

Theologische Literaturzeitung 1942 Nr. 11

320

Die Urkunden der deutschen Könige und Kaiser. Diplomata regum
et imperatorum Oermaniac. Hrsg. v. Reichsinstitut f. ältere deutsche
Geschichtskunde. Bd. 6, T. 1. Berlin: Weidmann 1941. Die
Urkunden Heinrichs IV., T. 1, ihearb. v. D. v. Gladiss. (X,
371 S.) 4». RM 38.20.
Nachdem die Ausgabe der Urkunden der deutschen
Kaiser (ältere Reihe) durch die Mon. Germ, mit Heinrich
III. 1931 zu Ende gekommen war, folgt nun, nach
einem Jahrzehnt, die erste Hälfte der Urkunden Heinrichs
IV., reichend bis zum Sommer 1076, d. h. bis unmittelbar
vor den Ausbruch des Investiturstreits (nicht
aber „bis zum Beginn des ersten Romzuges", wie es in
Stengels Vorrede heißt — denn einen Romzug kann man
den Canossagang wirklich nicht nennen). Dietrich von
Qladiss, ein Schüler Brandis, hat nicht nur die Texte sehr
sorgfältig gedruckt, sondern vor allem auch die kritischen
Fragen, die sich an viele Stücke knüpfen, mit Umsicht
nach guter Methode erörtert, sodaß da wohl nicht
allzuviel fraglich bleibt (wie etwa bei den DD. 79, 121,
144, 178, 235).

Für eine Reihe von technischen Änderungen gegenüber
den früheren Bänden der Kaiserurkunden bekennt
sich in der Vorrede E. E. Stengel als Präsident des
Reichsinstituts für ältere deutsche Geschichtskunde
(1937—1942) verantwortlich. Man wird dabei die Einbeziehung
der Deperdita begrüßen, während mir anderes,
wie die Verweisung der Fälschungen, statt an den
Schluß, an den Ort ihrer erfundenen Datierung, weniger
gut scheint.

Fehlerhaft ist das Thietmar-Zitat, das v. Gladiss
zu D. 123 gibt; denn meine Thietmar-Ausgabe ist nicht
in den „Scr. rer. Germ, in usum scholarum" erschienen,
sondern als Bd. 9 der „SS. rer. Germ. Nova series".
Man sollte doch in dieser Hinsicht innerhalb der Mon.
Germ. Genauigkeit walten lassen! Übrigens wäre a. a.
O. besser auf S. 516 mit Anm. 6 verwiesen worden.
Die Abkürzung Scr. (für Scriptores) statt der üblichen
und in den bisherigen Bänden der deutschen Kaiserurkunden
gebrauchten SS. ist gleichfalls zu mißbilligen.
Von Einzelheiten erwähne ich noch, daß das Goslarer
Stift St. Simon und Judas (nicht Juda D. 27 u. öfter)
heißt, der Bayernherzog Otto von Northeim (nicht Nordheim
D. 87), der Hersfelder Annalist besser Lampert
als Lambert (D. 241) geschrieben wird. Auch einige
Ungleichmäßigkeiten kommen vor. Der allgemein verständliche
Ausdruck Servitium hätte nicht nur im Regest
des D. 230, sondern ebenso a,uch sonst (so DD.
235, 264, 265) als deutsch behandelt werden sollen. Dagegen
ist das deutsche Wort Villen (so DD. 227, 228)
mißverständlich und wäre durch ein anderes (Dörfer,
Güter) zu ersetzen gewesen. Aber solche und ähnliche
Ausstellungen wiegen gewiß sehr leicht, und man darf
das Erscheinen dieses Halbbandes mit größer Freude
begrüßen. Der zweite Halbband, der auch die wertvolle
Einleitung mit der Kanzleigeschichte bringen wird, ist
nach Stengels Vorrede in Bälde zu erwarten.
Berlin Robert H o l1 z tn a d n

KIRCHENGESCHICHTE:
REFORMA TIONSZEITA L TER

Ritter, Gerhard: Die Weltwirkung der Reformation. Leipzig:
Koehler & Amelang 1941. (225 S.) 8°. RM 4—.

Der Freiburger Historiker hat sieben Arbeiten zu
diesem Bande zusammengestellt, von denen sechs schon
in Zeitschriften gedruckt waren, seit 1927: „Das 16.
Jahrhundert als weltgeschichtliche Epoche" (1938; ursprünglich
als Einleitung zu des Verf. Beitrag in der
neuen Propyläen-Weltgeschichte Bd. III, 1941, „Die
kirchliche und staatliche Neugestaltung Europas im
Jahrh. der Reformation und der Glaubenskämpfe" geschrieben
; dort sind aber aus Raumgründen nur die ersten
Seiten dieses weitgespannten Überblickes gebracht
worden); „Die geistigen Ursachen der Reformation"

(1931); „Luther und der deutsche Geist" (1941; bisher
ungedruckt); „Ulrich von Hutten und die Reformation"
i (1938); „Die Reformation und das politische Schicksal
Deutschlands" (1927); „Gustav Adolf und das nordische
Luthertum" (1932); „Deutsche und westeuropäische
Geistesart im Spiegel der neueren Kirchengeschichte"
I (1931). Alle diese Aufsätze haben es mit der histori-
| sehen Bedeutung Luthers für den deutschen Geist und
i das deutsche Schicksal zu tun. So gibt ihre Sammlung
1 eine erwünschte Ergänzung zu dem bekannten Buche
Gerhard Ritters über Luther (1925) und zu dem erwähnten
Beitrag in der Propyläen-Weltgeschichte. Auch
j die älteren der hier zusammengestellten Arbeiten haben
I im Ganzen durchaus noch Aktualität, besonders gerade
die älteste, der schöne Grazer Vortrag von 1927. Die
! Studien sind gesättigt mit historischem Stoff und zu-
j gleich mit großem Ernste auf unsere Gegenwart und
; ihre Verantwortung bezogen. Sie erfüllen die Aufgabe,
j die der Vf. als die „vornehmste und eigentliche Aufgabe
des historischen Essays" bezeichnet, die der „Selbstbesinnung
". Man liest die gedankenreichen, lebensvollen,
meisterlich gestalteten Aufsätze mit Spannung, Freude,
I lebendiger Teilnahme.

Aus den Hauptgedanken seien die folgenden herausgehoben
. 1. R. betont, wie in seinem Lutherbuche, nachdrücklich
den religiösen Sinn Luthers und seiner
Reformation. Das Centrum Luthers kommt klar und hell
zur Geltung. Alle Wirkungen der Reformation auf die
„Kultur" sind sekundär und nicht entscheidend. Der
Vf. bekennt sich dazu, daß Luthers Werk „den Anspruch
erheben darf auf zeitlose Dauer, seine Predigt trägt
den Charakter einer übergeschichtlichen Wahrheit" (69).
Aber freilich — um sie geht heute der Kampf. „Mit der
endgültigen Entscheidung über die Zukunft des Christentums
in Europa wird auch die über seinen Propheten
Martin Luther fallen" (101).

2. Aber unbeschadet dessen, daß Luther „religiöser
Prophet schlechthin" war und seine Predigt überge-
schichtliche Wahrheit, ist seine Reformation nun
I doch in ihren historischen Zusammenhängen und
I auf ihre Ursachen und Wirkungen zu untersuchen. R.
hebt einerseits die kulturellen und politischen Wirkungen
der Reformation, andererseits die Wirkung der politischen
Verhältnisse auf das Schicksal
von Luthers Werk hervor. In letzterer Hinsicht
vertritt er einige heute besonders wichtige Einsichten.

a) Nicht die Reformation hat die politische
Zerrissenheit Deutschlands auf dem Gewissen
. Eher läßt sich umgekehrt sagen, daß „die politische
Zerrissenheit Deutschlands für die Reformation
zum Verhängnis geworden ist" (148). Überhaupt: die
konfessionelle Spaltung der Nation „hat nur deshalb

I politisch unheilvoll wirken können, weil das politische
Unheil schon ohne sie da war: die politische Zerrissenheit
des Reiches, aufs äußerste gesteigert durch die Ver-

: flechtung der innerdeutschen Zwistigkeiten in die Hän-

I del der größten Mächte Europas".

b) Auch die Verkümmerung des deutschen
Luthertums, sein „unpolitisches Philistertum" ist viel
mehr durch die äußeren Verhältnisse bestimmt, nämli-ch
„durch die bedrückende Enge und tatenlose Stille pa-

j triarchalischer deutscher Fürstenstaaten" als durch die

I Eigenart der Lehre Luthers (198. 176). Das zeigt ein

I Blick auf das nordische Luthertum, vor allem das schwedische
, das der Vf. mit Liebe zeichnet und dem herbe
kritisierten deutschen Luthertum des 17. Jahrhunderts

I als leuchtendes Gegenbild gegenüberstellt. „Der Vergleich
mit den Ländern des skandinavischen Nordens, vor
allem mit Schweden, zeigt, zu welcher machtvollen Größe

j auch das lutherische Kirchentum in großem politischen
Rahmen sich entwickeln konnte; die ganze Kultur der

| baltischen Länder ruht bis heute auf seinen Grundlagen"
(149). „Die Erscheinung Gustav Adolfs sollte uns
davor warnen, Erscheinungen des politischen Lebens

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