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Ausgabe:

1942 Nr. 1

Spalte:

309-310

Kategorie:

Religionswissenschaft

Autor/Hrsg.:

Merkel, Franz Rudolf

Titel/Untertitel:

Die Mystik im Kulturleben der Völker 1942

Rezensent:

Hessen, Johannes

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Seite 1

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809

Theologische Literaturzeitung 1942 Nr. 11

ein näheres Eingehen auf die ebenso brutalen "wie verhängnisvollen
Religionsplakate vermieden, obwohl Bran-
di selbst andeutet, daß die Vorgeschichte des Niederländischen
Aufstandes bis in die Zeiten Karls V. zurückreicht
, weshalb auch das Emporkommen des Nassau-
Oranischen Hauses im Niederländischen Räume noch
mehr Aufmerksamkeit verdient hätte. Und bei dem allen
handelt es sich natürlich nicht nur um die nördlichen,
sondern auch um die südlichen Niederlande. Brandi begründet
ihre relative Vernachlässigung II 246 nicht ganz
überzeugend damit, daß ,das Grundsätzliche von Karls
Haltung völlig eindeutig und unverändert geblieben ist,
sein Anteil an den Einzelheiten aber sehr gering'. Auch
die dann folgende Literaturangabe ist nach mancher
Richtung ergänzungsbedürftig.

Was aber Deutschland selbst betrifft, so kann man
sicli auf den staatsrechtlichen und jahrelang ja auch wirklichen
Absentismus (s. aber S. 341) Karls nicht zurückziehen
. Wenn man das aber tut, dann läßt es sich kaum
umgehen, über Ferdinands Hand in den deutschen Dingen
noch mehr zu sagen (und ebenso über die Türken).
Das Verhältnis der habsburgischen Brüder zu einander
und zur Rcichspolitik ist auch in einer Biographie Karls V.
ein so überragendes Thema, daß man nicht allzurasch
mit ihm fertig werden kann, zumal da es auch nötig ist,
ihre wechselnden Beziehungen zu den verschiedenen
Gruppen des deutschen (und außerdeutschen) Katholizismus
und besonders zu den Reformkatholiken (Erasmus!)
genauer zu verfolgen. Rankes von Brandi wieder aufgenommene
und allseitig gestützte These von dem Primat
der äußeren Politik gegenüber der inneren und besonders
der Konfessionspolitik, die Abhängigkeit des konfessionspolitischen
Verhaltens des Monarchen von den Irrungen
und Wirrungen der europäischen Lage, die von Brandi
wieder nach Rankes Vorbild mit unerschöpflicher Geduld
verfolgt werden, braucht gewiß in keiner Weise in
Zweifel gezogen zu werden und doch noch anderen,
eben religiösen und kirchenpolitischen Motivierungen
Raum lassen. Keiner wäre für solche Untersuchungen
zuständiger gewesen als Brandi, schon deshalb, weil er
auch für die religiös-kirchlichen Gegenspieler weit mehr
als das gewöhnliche Verständnis aufbringt. Es ist hier,
wie schon wenige inhaltschwere Sätze beweisen, tiefer
als die meisten andern eingedrungen. Die werdenden

Protestanten, schreibt er S. 108, schickten sich an, ^versiegelte
Briefe zu erbrechen, um das vergessene Testament
der Gotteskindschaft an sich zu reißen". S. 252 ff.
kommt er darauf zurück: „Die fromme Kirchlichkeit des
Kaisers und das himmelstürmende Heilsverlangen dieser
Deutschen spotteten einander wie ein wohlberieselter
Garten und ein die dürstende Flur erquickendes Unwetter
. .. Was die Herzen der Menschen warb, war das
lebendige Lutherwort; was zwischen den Theologen umstritten
wurde, gehörte der Welt rechtlicher [und theologischer
!] Beweisstücke für etwas Unfaßbares an. Das
war schon vor tausend Jahren nicht anders gewesen..."
Wer so wie Brandi die Gegenseite tiefer zu würdigen
sucht, der hat auch das Zeug dazu, in das so ganz anders
geartete Innere des Kaisers hineinzublicken.

Die deutsche Geschichtswissenschaft rechnet es sich
zur Ehre an, daß einer ihrer Senioren die Frucht gepflückt
hat, um deren Reifen sich die Historiker der andern
Nationen Karls V. oft mit unzulänglichen Mitteln
bemüht haben, wovon Brandi im zweiten Bande leider
allzu kurz Rechenschaft ablegt. Sein Werk wird sich
siegreich behaupten. In den wilden Wassern der Krise
des Historismus erscheint es wie ein unerschütterlicher
Fels oder wie ein unzerstörbares Kleinod, an dem die
edle Patina des Alters haftet, nicht des Alters des Autors,
sondern des bewährten Alters längst erprobter Methoden
der deutschen Geschichtswissenschaft. Bei einem
Meister wie Brandi haben sie sich in Breßlaus Gefolge
besonders hilfswissenschaftlich ausgewirkt und auch hier
nach subtilsten Untersuchungen schöne Früchte gezeitigt.
Die Aktenkunde der Archive und Registraturen des Weltherrschers
ist bis zur Paläographie hinunter durch Brandi
und seine Schüler, deren Verdienste der Lehrer stets besonders
hervorhebt, außerordentlich gefördert worden.

Die Ansätze, die zu einer neuen Auffassung der Reformationsgeschichte
vielseitig hervortreten, können sich
des Brandischen Werkes mit dem größten Nutzen bedienen.
Es liefert der Forschung einen festen Rahmen besonders
für die auswärtige und für die Reichspolitik. Vor allem
aber stellt es die Charakteristik Karls V. auf einen neuen
breiteren und festeren Boden. Dafür wird jeder Reformationshistoriker
ihm besonders danken, insofern er in
diesem Kaiser einen der vornehmsten Gegenspieler der
Neugläubigen erblicken muß.

RELIGIONSWISSENSCHAFT

i

Merkel, Rudolf Franz: Die Mystik im Kulturleben der Völker.

(Bildteil nebst Erl. besorgte Dr. Margot Pirr) Hamburg: Hoffmann
u. Campe 1940. (288 S., 16 Taf.) 8° = Europa-Bibliothek.

Lw. RM. 8.50. i

Daß die (pwyi| uovou jiooc udvov (Plotin) nicht wesensnotwendig
in Weltabkehr und Kulturverneinung endet,
daß von ihr vielmehr stärkste kulturschöpferische Impulse
ausgehen können und im abendländischen Raum
tatsächlich ausgegangen sind, sucht das vorliegende, für
weitere Kreise bestimmte Buch deutlich zu machen. Der l
mit der Geschichte der Mystik wohlvertraute Verfasser
Verfolgt die Ausstrahlungen der Mystik in die verschiedenen
Kulturgebiete hinein und gibt eine zusammenfassende
Darstellung ihrer Einwirkung auf Religion, Ethos und
Philosophie, auf Dichtung, Kunst und Musik. So gelingt
ihm eine vollgültige Erhärtung seiner These, „daß letzten
Endes beinahe sämtliche große Bewegungen im Abend- j
land auf mystische Motive zurückzuführen sind" (S. 94). j

Der Fachmann würde das schon durch sein äußeres
Gewand ansprechende Buch mit noch größerer Befrie- j
digung aus der Hand legen, wenn Verf. seinen gewal- ;
tigen Stoff logischer gegliedert, die Kapitelüberschriften '
(bes. die beiden letzten) bestimmter gefaßt und bei allen
Zitaten die Quelle genau angegeben hätte. Es wäre !
dann auch wohl die ungenaue Wiedergabe des vielberufenen
Augustinwortes aus Conf. I, 1, vermieden wor- j
den. (Es lautet nicht: Tu fecisti nos ad te et cor nostrum
inquietum est, donec requiescat in Te, sondern: Fecisti j

nos ad te, et inquietum est cor nostrum, donec requiescat
in te.) Mit Augustin hat Verf. auch sonst kein Glück.
S. 37 wird sein Todesjahr falsch angegeben (statt 420
muß es heißen 430) und auf der folg. Seite eine Darstellung
seiner Mystik gegeben, die in keiner Weise befriedigt
. An Stelle des mehr als dreißig Jahre zurückliegenden
Werkes von H. Scholz („Glaube und Unglaube
in der Weltgeschichte. Ein Kommentar zu Augu-
stins De civitate Dei", 1911), das die Mystik des Kirchenvaters
nur nebenbei behandelt, hätte er wohl besser
mein Buch: „Augustins Metaphysik der Erkenntnis"
(1931), das den Gegenstand eingehend erörtert (S. 200
bis 265 handeln von der „mystischen Gottesschau" bei
Augustin), herangezogen. Vielleicht entschließt sich Verf.,
in einer Neuauflage, die ich seinem Buch wünschen möchte
, weil es wie kaum ein anderes die Welt der Mystik
dem heutigen Menschen zu erschließen vermag, die
hier geäußerten desideria zu erfüllen.

Köln Johannes Hessen

Schröder, Christel Matthias: Matthias Claudius und die Religionsgeschichte
. München: Ernst Reinhardt 1941. (32 S.) ffr. 8°.

RM 1.40.

Der Verfasser will durch die vorliegende Untersuchung einen
Beitrag zur Claudius-Forchung geben, zugleich aber auch der Erforschung
der Oeschichte der vergleichenden Religionswissenschaft in
ihren Anfängen dienen. Dies ist umso begrüßenswerter als derartige
mit viel entsagungsreicher Kleinarbeit verbundene Untersuchungen
zeigen, wie gerade in jener Epoche des deutschen Geisteslebens, der
Matthias Claudius angehört, die sich langsam erweiternde Kenntnis