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Ausgabe:

1942

Spalte:

291-293

Kategorie:

Praktische Theologie

Autor/Hrsg.:

Huisman, A. Z.

Titel/Untertitel:

Die Verehrung des heiligen Pancratius in West- und Mitteleuropa 1942

Rezensent:

Schreiber, Georg

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Theologische Literaturzeitung 1942 Nr. 9/10

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ussgeschlossen unnd ussgesetzt werde uss der gemein
unnd gutthat der haiigen Cristenhait, — das mir die
Selbig gutthait Sye ain fluch mines Lebens libs und der
Sei". Dabei sollen mit den eingeschlagenen vierten und
fünften Fingern Leib und Seele des Meineidigen der
Hölle überantwortet werden. Doch verdankt der Dreifin-
gerschwur seine Entstehung nicht der Absicht, die Dreifaltigkeit
zu symbolisieren, sondern es ist der lateinische
Segensgestus, zugleich wohl auch der rituelle Abwehr-
gestus, der zur Schwurgebärde geworden ist. Viel häufiger
und auch älter bezeugt ist freilich der Zweifinger-
schwur mit Zeige- und Mittelfinger, für den sich eine so
einheitliche Deutung nicht findet, der wohl auf die beiden
Finger zurückführt, mit denen man den Heiligen
berührte, auf den man schwur. Man meinte vielfach,
in den zwei Fingern die beiden Eideshelfer zu erkennen,
mit denen man früher sich freizuschwören pflegte. Im
übrigen gehen Zweifinger- und Dreifingerschwur auch
ineinander über, was sich wohl aus der Unsicherheit der
Haltung des Daumens beim Schwur erklärt.

Tübingen Hans Erich Feine

Huisman, A. Z.: Die Verehrung des Heiligen Pancratius in
West- und Mitteleuropa. Haarlem : H. D. Tjeenk Willink & Zoon
N. V. 1939. (VII, 176 S., 2 Taf., I Kte.) gr. 8° = Nederlartdsche
Bijdragen op het gehied van Gertnaansche Philologie en Linguistiek.
Bd. XI. Fl': 3.25.

Pankraz ist römischer Märtyrer, wahrscheinlich unter
Diokletian. Sein Fest am 12. Mai findet sich bereits im
römischen Kalender des 5. Jahrhunderts. Schon Papst
Symmachus (498/514) erbaute 500 über seinem Orab
eine Basilika, vielleicht an Stelle eines kleinen Heiligtums
. Wer diese oft angeführten Daten (J. P. Kirsch,
The Catholic Encyclopedia X, New York 1913, p. 751;
Derselbe, bei M. Buchberger, Lexikon für Theologie
und Kirche, Bd. 7, Freiburg i. Br. 1935, Sp. 916 f.) und
ähnliche Begebnisse der damals kräftig ansteigenden
Martyrerverehrung auf sich wirken läßt, wird von vornherein
feststellen dürfen, daß bei H. die Wirksamkeit
Gregors d. Gr., des gewiß namhaften Wegbereiters des
Pankrazkultes, überschätzt wird. Nach Erörterung der
rein legendarischen Passio wird die Kultwanderung aufgewiesen
, die sich mit dem Zeitalter Gregors I. und in
der Folge nach Frankreich und England zieht. Von den
Angelsachsen wird der Kult nach dem Missionsgebiet
des Bonifatius gebracht. Diese Frühschicht wird bald
durch die fränkische Verehrung verdeckt, die mit dem
Karolingerhof und Korvey (leider fehlt jeder Hinweis
auf die in diesem Weserkloster korrespondierende Verehrung
des jugendlichen hl. Vitus) erstarkt. Einen neuen
Antrieb schuf Kaiser Arnulf mit dem Jahre 886, da er
Rom eroberte und am Pankratiustor zuvor zu Pankraz
betete. Zum andern wurden Reliquien 985 von Rom
nach der kultmächtigen Benediktinerabtei St. Bavo in
Gent übertragen. Diesen flandrischen Aufbruch erachte
ich als besonders wichtig, da P. damit in die Linie der
großen flandrischen Ostwanderung einrückt, die sich im
Mittelalter nach Westdeutschland und darüber hinaus
zum Osten wendet. Dazu wird seine besondere Wirksamkeit
als Ritterpatron und als Eideshelfer aufgewiesen.
Ein Verzeichnis der Kultorte, leider mit manchen Fehlern
und Lücken, ist beigegeben.

So ist hei den Klöstern das entscheidende Moment der Ordenszugehörigkeit
oft nicht beachtet. Bei einer Stichprobe für eine einzige
Diözese und zwar für das Bistum Eichstätt fehlen die Orte Gim-
pertshausen (Patron der Pfarrkirche), Siegenhofen (Patron der Filialkirche
, zugehörig zur Pfarrei Deining), Stöckelsberg (Reliquie). Siehe
dazu F. X. Buchner, Archivinventare der kath. Pfarreien in der Diözese
Eichstätt (Veröff. der Gesellschaft für fränkische Geschichte).
München und Leipzig 1918, S. 100, 330, 375. — Auch die Ikonographie
ist mit vielen Stücken einbezogen.

Die Arbeit gibt sich als eine fleißige Materialsammlung
, in der sich hie und da Ansätze zur selbständigen
Beobachtung geltend machen. Eine wirkliche Durchdringung
des Stoffes ist nicht erreicht. H. teilt dabei den

! Fehler vieler anderer Untersuchungen zur Patrozinien-
forschung, daß der Heilbringer in seiner Isolierung gesehen
wird. Es fehlt also der Ausblick auf die ihm von
der Liturgie, vom Schicksal, von der Volksgunst zugeteilten
Nachbarheiligen. Dieses Zueinander ist allerdings
noch wenig untersucht. Schon vor einiger Zeit habe ich
dieserhalb den Kultbegriff der „Geschwisterheiligen" eingeführt
(Volk und Volkstum I, München 1936, S. 65 f.),
der seitdem seinen Weg in die Forschung genommen hat.
So tritt in der Pfarrkirche des süddeutschen Auerbach
im oberen Teile des Hochaltars S. Prankraz zu S. Margaretha
. Nicht zufällig. Weiterhin ist bei H. nicht be-
! achtet, daß gerade Pankraz als römischer Märtyrer, wie
von geheimnisvollen Gewalten gezogen, immer wieder
in der mittelalterlichen deutschen Kirchengründung, zu
anderen Blutzeugen der Tiberstadt sich stellt, zu St. Lau-
i rentius, Cyriakus, Sixtus, Kalixt u. s. w. Eine Art römischer
Sippenverband des Urchristentums tut sich derart
! im mittelalterlichen Patrozinienwesen auf, dem auch W.
Deinhardt (Patrozinienkunde, Hist. Jbuch 56, 1936, S.
174—207) nicht nachgegangen ist. Ganz unzureichend ist
} Pankraz als jugendlicher Heiliger herausgestellt. Gerade
j deswegen, ob seines jugendlichen Liebreizes, wird der
vierzehnjährige Blutzeuge zum Liebling des Volkes. Ein
religionspsychologisch immer wieder denkwürdiger Zug.
Pankraz tritt hier, wie noch unlängst in der Tübinger
Theol. Quartalschrift (Mittelalterliche Passionsmystik und
; Frömmigkeit 122, 1941, S. 121) bemerkt ist, mit einem
fast diakonalen Einschlag an die Seite von Laurentius
und Vincenz Levita, auch an die Seite von Vitus, Cä-
cilia und Agnes. Mit einer anderen Wendung hat man
I mit Recht seine Legende als ein Hoheslied auf den
| Starkmut eines Knaben bezeichnet (H. Hümmler, Helden
j und Heilige. 2 Bde. Bonn 1934, I2, S. 256).

Seine Stellung als Ritterpatron ist ebenfalls nicht scharf genug
herausgestellt. Hier müßten feinere Unterschiede zu anderen Soldaten-
| heiligen des Mittelalters gewonnen werden, auf die neuerdings auch
I K. Erdunann (Die Entstehung des Krciizziigsgedankens, Stuttgart
I 1935) die Aufmerksamkeit lenkte. Das ließe sich zudem in größere
| Zusammenhänge einbeziehen, die A. Schulte und seine Schule zum
Thema Der Adel und die deutsche Kirche im Mittelalter zu ziehen
I wußten, Arbeiten, die allerdings der Ergänzung und Weiterfülirung
von Seiten der Symbolforschimg, Ikonographie, Hagiographie und
Liturgie dringend bedürfen; denn Schulte sah hier nur im allge-
meinhistorischen und rechtsgeschichtlichen Bereich. H. ließ den
Quellenbezirk der Monatszettel völlig unbeachtet. (Zum Begriff und
zur quellenkundlichcn Stellung der Monatszettel, vgl. O. Schreiber,
Deutschland und Spanien. Düsseldorf 1936, S. 238 ff. und im Register
, S. 519). Ein mir vorliegendes Stück (S. Pancratius, M. II May,
; 18. Jahrhundert, Kupferstich; die Rückseite, die wie üblich die Vita
bringt, trägt allerdings die Da'tumbezeichnung XII. Maji) sucht mit
dem Geschmack des Barock für den Adelspatron bereits eine patristi-
sche Wurzel, wenn es ein Zitat des Kirchenlehrers und ravennaf-
I tischen Kanzelredners Petrus Chrysologus (f ca. 433) mitgibt: ,,Der
| ein Sohn Gottes will seyn, soll den Lastern kein Statt noch Platz
| geben; sondern mit seinem Thun und Lassen seinen Adel also be-
I wahren, daß er nicht seinem himmlischen Vatter ein Schand seye.
I S. Peter Chrysol. Serm. 68." Es entspricht der Bezugnahme auf die
jugendliche Qualität des Heiligen und auf den in der Kultur des Kin-
I des angerufenen Krankenpatron, wenn dabei die Gebetsmeinung ,,Für
i die Kinder" angegeben wird, wenn weiter die beigegebene Vita aus-
i drücklich erwähnt: ,,Er aber erzeiget in seiner Jugend ein maennlich
Herz, straffte Diocletiamum wegen seines gottlosen Anschlags und
! Verehrung der Goetzen. Diocletianus schämte sich, von einem Knaeb-
j lein ueberwiesen zu werden, befiehlt, ihm das Haupt zu nehmen."

Wenn weiter dieser Monatszettel als Tugendübuug „Zucht der
I Ehrbarkeit" verlangt, mag man sich daran erinnern, daß Pankraz
zugleich als Aloysius der älteren christlichen Zeit genommen wurde
(siehe auch H. Samson, Die Heiligen als Kirchenpatrone und ihre
| Auswahl für die Erzdiözese Köln und für die Bisthümer Münster,
Paderborn, Trier, Hildesheim und Osnabrück. Paderborn 1892, S. 325).
Wenig befriedigend sind auch die Ausführungen über die Stellung
I von Pankraz im Kreise der vierzehn Nothelfer. Hier mußten die gntnd-
j legenden Studien von J. Klapper (Die vierzehn Nothelfer im deut-
; sehen Osten, Volk und Volkstum III, München 1938, S. 15S—192)
| herangezogen werden. Zur Ikonographie vgl. E. Ricci, Mille santi
nell' arte. Milano 1931, p. 498. Wenn hier bemerkt wird ,,iuvocato
contre le enicranie, le convulsioni e le false testimonianzc", überrascht
es eigentlich, daß H. Bächtold-Stäubli (Handwörterbuch des
deutschen Aberglaubens, Bd. 6. Berlin und Leipzig 1934, Sp. 1386)