Recherche – Detailansicht

Ausgabe:

1942

Spalte:

19-21

Kategorie:

Religionswissenschaft

Titel/Untertitel:

Het Gilgamesj-Epos 1942

Rezensent:

Soden, Wolfram

Ansicht Scan:

Seite 1, Seite 2

Download Scan:

PDF

19

Theologische Literaturzeitung 1942 Nr. 1/2

20

renden zugrunde liegt, und von dem harmonischen unlösbaren
Zusammenhang, in welchem alles in Welt und
Überwelt miteinander steht. Auf dieser Grundidee beruht
der Glaube nicht nur an eine letzte Einheit der
vielen das reiche Pantheon des Diamantfahrzeugs ausmachenden
Buddhas, Bodhisattvas usw. in einem höchsten
Absoluten, sondern auch an die fundamentale Gleichheit
seiner Teilerscheinungen, d. h. aller Dinge und aller
Formen menschlicher Betätigung, speziell der Gedanken,
Worte und Werke, die als die drei „Geheimnisse" im
Mittelpunkt der buddhistischen Esoterik stehen. Daher
die Möglichkeit, daß Gedanken, Silben und Gesten für
einander eintreten können, und diese Gleichordnung von
Dingen, die tatsächlich da sind, und von solchen, die nur I
in der Vorstellung existieren, hat sich in der Geschichte I
des Vajrayäna immer erneut als ein Moment von entscheidender
Bedeutung erwiesen (S. 76). Auf Grund
solcher Voraussetzungen wird denn auch die Rolle deut- j
lieh, die man hier magische Silben und Worte, Gebärden j
und Fingerstellungen, Kultsymbole, besondere Riten wie i
speziell die Abisheka-Riten (abisheka ist die Bespren- j
gung mit Wasser) und „Kräfte" spielen sieht. Zusam- j
menfassung und Krönung dieser reichen Symbolik sind i
die sogenannten Mandalas, d. h. durch Linien abge- I
grenzte Diagramme, „Schaubilder", die den Kosmos oder
bestimmte geistige Zusammenhänge darstellen und dem
Eingeweihten, der sie betrachtet, die Meditation über
das Transzendente erleichtern sollen. — Die unter dem
Einfluß der Anschauungen nichtarischer Völker erfolgte
Einbeziehung des Geschlechtlichen in den Kreis religiösen
Denkens empfing ihre metaphysische Begründung
in der Theorie, daß das Absolute als Vereinigung eines i
männlichen und eines weiblichen Prinzips zu denken sei,
woraus wieder weiter abgeleitet wird, daß sich im ganzen
Kosmos eine Polarität zweier Kräfte manifestiere,
die je für sich nur eine Hälfte der letzten Wirklichkeit j
darstellen und deren Verschmelzung zu einer höchsten |
Einheit das „ens realissimum" wahrnehmbar macht.

Der Religionshistoriker, der auf die größeren Zusammenhänge
sieht, muß im Blick auf Vorstellungen und Bräuche des Vajrayäna
auf Schritt und Tritt feststellen, wie weit er sich vom ursprünglichen
Buddhismus entfernt, und er kommt wieder einmal unter den lebhaf- |
ten Eindruck von der Wandlungsfähigkeit alles Religiösen. Je mehr
er sich daran das Verständnis für den letzten Endes relativen
Charakter seiner Äußerungsformen zu veriiefen vermag, um so weniger
wird er sich durch die Paradoxien gewisser Vorschriften der Tantra- I
werke, die v. Ol. in einem letzten kleinen Abschnitt unter der Auf- i
schrift „Das Bedingte und das Absolute" zusammenstellt, verblüffen
lassen, so unverständlich sie auf den ersten Blick erscheinen mögen.

Eine Anzahl gut gewählter Abbildungen erhöht noch
den Wert des Werkes.

Niemand, der sich künftig ein Bild vom Gesamtwesen
des Buddhismus machen will, wird achtlos an |
dem vorübergehen dürfen, was in so dankenswerter !
Weise v. Glasenapp von seinen hintergründigeren Seiten
hier aufgehellt hat.

Berlin Alfred Bert holet

Böhl, Prof. Dr. F. M. Th.: Het Gilgamesj-Epos. Nationaal Heldendicht
van Babylon». Amsterdam: H. J. Paris 1<J41. (VII1, 172 S.,
4 Taf.) 8°. Fl. 3—; geb. Fl. 3.75.

Die vorliegende neue Übertragung des Gilgamesch-
epos ist, wie die Wahl der holländischen Sprache zeigt,
vor allem für niederländische Leser bestimmt, denen bis- !
her nur eine recht freie Nachdichtung von J. H. Eek- j
hout zu Gebote stand. Ihnen soll die bedeutendste j
Dichtung der Babylonier in einer in Wortlaut und dich- j
terischer Form dem Original möglichst nahe bleibenden i
Gestalt dargeboten und in dem für den Nichtfachmann
notwendigen Umfang erläutert werden. Zu dem Zweck |
führt eine Einleitung in die Entdeckungsgeschichte und
den allgemeinen Gedankengang der Dichtung ein. Innerhalb
der eigentlichen Übersetzung ist jedem Abschnitt
eine kurze Paraphrase vorausgeschickt, in der auch, soweit
möglich, der Inhalt der leider noch recht zahlreichen
schlecht erhaltenen oder ganz verlorenen Teile I

des Epos zusammengefaßt ist. Weitere Erläuterungen
folgen am Schluß; hier finden sich auch manchmal kurze
Auseinandersetzungen mit der bisherigen Forschung und
ganz knappe Hinweise auf die der Übersetzung zugrundeliegenden
Lesungen, soweit diese von den sonst angenommenen
abweichen. Auf den Tafeln sind ein Bruchstück
der Sintfluterzählung (11. Tafel des Epos) und
einige Bildwerke wiedergegeben. Man darf sicher sein,
daß die Leser B. diese seine wertvolle Gabe gebührend
danken werden.

Es kann nicht die Aufgabe einer kurzen Anzeige sein,
auf Einzelfragen der Übersetzung und Erklärung der
Dichtung, in der ja leider immer noch recht viel der endgültigen
Aufklärung und Deutung harrt, einzugehen; nur
ein paar allgemeinere Fragen sollen hier noch gestreift
werden. B. hat seiner Übersetzung ausschließlich die beiden
akkadischen Fassungen des Epos zugrunde gelegt,
von denen er die jüngere, die man im Allgemeinen mit
Recht das „Gilgameschepos" schlechthin nennt, da sie
die geschlossenste und stärkste Formung des Stoffes
darstellt, ansprechend in das 13.—12. Jahrhundert datiert
; denn aus dieser Zeit besitzen wir Stücke vergleichbarer
Heldendichtungen, in denen Könige wie Tukulti-
Ninurta I. von Assyrien (1255—1218) und Ncbukadne-
zar I. von Babylonien (1146—1123) im Mittelpunkt stehen
. B. glaubt, daß dieser letzten Fassung der Grundgedanke
der fortschreitenden sittlichen Läuterung des Helden
durch den Sonnengott Schamasch im betonten Gegensatz
zur Liebesgöttin Ischtar zugrunde liege. Ich muß
gestehen, daß ich die Durchführung dieses Gedankens
in der Dichtung nicht erkennen kann. Beherrschend ist
vielmehr der Gedanke, daß alles Leben der Menschen
zeitlich begrenzt ist und daß alle Versuche, ihm mit irgendwelchen
Mitteln eine längere Dauer zu schaffen,
nach dem unabänderlichen Willen der Götter fehlschlagen
müssen. Der Gedanke eines möglichen Weiterlebens
des Helden im Gedenken der Menschen klingt dabei gelegentlich
an, kann die etwas düstere Grundstimmung
der Dichtung aber nicht wesentlich mildern, da für den
Babylonier nun einmal mangels eines eigentlichen Jenseitsglaubens
das diesseitige wirkliche Leben alles ist.
Die Stellung der Ischtar als Vertreterin der rein geschlechtlichen
Liebe ist in der Dichtung eine eigenartig
zwiespältige. Die erste und zweite Tafel sieht im VolF-
zug der Liebe das, was das halbe Tier Enkidu erst richtig
zum Menschen macht und ihm das Verständnis für
menschliche Kultur beibringt; in der sechsten Tafel wird
das Flatterhafte einer nur geschlechtlichen Liebe schonungslos
bloßgestellt, ohne damit aber zu einer völligen
Verwerfung des kultischen Dirnenwesens zu kommen
(Schamasch selbst rechtfertigt die Dirne in der siebenten
Tafel!) oder der Ehe das Wort zu reden. Überhaupt
liegt die Größe und Unvergänglichkeit des Gilgameschepos
nicht darin, daß es irgend eine abstrakte Idee sittlicher
oder anderer Art starr verfolgt, sondern darin, daß
es das Leben unerbittlich nimmt, wie es — in seiner besonderen
Ausprägung im alten Orient natürlich — nun
einmal ist, und die uralten Überlieferungen entnommenen
Schicksale des Helden entsprechend gestaltet. Auch die
Götter machen hierbei ähnlich wie bei Homer keine Ausnahme
, wenn auch in der Gestalt des Schamasch eine
vom Polytheismus wegstrebende Gottesauffassung in
freilich wenig bestimmter Form durchschimmern mag.
Die aufgezeigten und andere innere Unausgeglichenheiten
der Dichtung spiegeln übrigens getreulich das zwiespältige
babylonische Wesen mit seiner doppelten Verwurzelung
im Semitentum und in der den Semiten nie
richtig verständlich gewordenen sumerischen Überlieferung
, aus der ja auch der Stoff der Gilgameschsage
stammt. Leider können wir aus den unzusammenhängenden
Bruchstücken sumerischer Gilgameschdichtungen, die
B. nur erwähnt, nicht wiedergibt — ob es schon in sumerischer
Zeit ein einheitliches Gilgameschepos gab, ist
noch fraglich —, noch nicht mit Sicherheit ersehen, wie
der Stoff von den Sumerern selbst gestaltet worden ist;