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Ausgabe:

1942

Spalte:

287-288

Kategorie:

Systematische Theologie: Allgemeines

Autor/Hrsg.:

Kuhaupt, Hermann

Titel/Untertitel:

Die Formalursache der Gotteskindschaft 1942

Rezensent:

Schneider, Carl

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Seite 1

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287

Theologische Literaturzeitung 1942 Nr. 9/10

288

stetig fort. Gemeinsam mit Atkinson gibt sie unter dem
Titel „Letters on the Laws of Man's Nature and Development
" (1851) ein Bekenntnisbuch heraus, das Ausdruck
ihres neu gewonnenen philosophischen Atheismus
und Agnostizismus sein will. Die Herausgabe dieses
Buches, in dem u. a. der Geist für eine Funktion der Materie
, ein Produkt des Gehirns erklärt und die Methode
der experimentellen Phrenologie gefordert wird, führt
zum Bruch mit dem Bruder James. Harriet wendet sich
schließlich — wie wir im Unterschied zur Vfn. meinen:
notwendigerweise — dem Positivismus Auguste Comte's
zu, dessen sechsbändiges Hauptwerk sie 1853, „freely
translated and Condensed", in zwei Bänden herausgibt.
Diese Übersetzung und Zusammenfassung gelang ihr so
glänzend, daß Comte die Rückübersetzung ihrer zwei
Bände ins Französische veranlaßte. Die letzten beiden
Jahrzehnte waren ausgefüllt durch „die größte literarische
Verpflichtung ihres Lebens", welche darin bestand,
politische Leitartikel für die „Daily News" zu schreiben,
und die Abfassung ihrer zweibändigen „Autobiographie"
(1857). Die Vfn. hebt abschließend Harriets große Lern-
und Lehrfreudigkeit, ihren Gerechtigkeits- und Wahrhaftigkeitssinn
hervor.

Die Studie stellt einen fleißigen Beitrag zum Verständnis
des englischen Geistesleben im 19. Jahrhundert
dar, wächst aber nirgends über die sachlichen Grenzen
einer sorgsam zusammengestellten Bibliographie hinaus.
Die Darstellungsart der Vfn. entbehrt in ähnlicher Weise
eines wirklichen Tiefgangs wie die dargestellten Ideen
Harriet's. Welch eigenartiges Schlaglicht wirft doch etwa
folgender Satz, der in dem Schlußabschnitt über den
Krankheitsbefund Harriet's steht, auf deren „sittlich-religiöse
Weltschau" wie auf das Urteil der Referentin:
„Durch die nachträgliche Infragestellung ihrer wunderbaren
Heilung durch den Mesmerismus wäre ihre im
Einklang mit Mr. Atkinson wenigstens zum Teil darauf
errichtete weltanschauliche Position, wenn nicht zusammengebrochen
, so doch mindestens ins Wanken geraten"
(49). Zwar wird diese „nachträgliche Infragestellung"
sofort als indiskutabel abgewiesen; aber welcher Ausblick
eröffnet sich für die Wahrheitsfrage, für den Wertgehalt
und den Geltungsanspruch jener „Weltschau",
wenn sie auf derartige Begründung angewiesen ist! —
Der Leser vermißt aufs ganze gesehen dreierlei: 1) eine
wesenhafte Darstellung der inneren Entwicklung Harriet
's und ihrer Anschauungen; 2) ihre geistesgeschichtliche
Einordnung in das Gesamtgefüge ihres Jahrhunderts
; 3) eine kritische Würdigung ihrer Ideen. Freilich
tritt die typisch englische Mentalität, der durchgängige
Rationalismus in der „Philosophie", die Nutzzwecklich-
keit in der „Ethik", vor allem die das praktische Streben
leitende liberalisierende Gesellschaftslehre, die Dilthey
einmal als „eine satte Rentiersphilosophie" bezeichnete,
so einseitig hervor, daß schon die Widergabe der Gedanken
ihre Kritik in sich schließt.

Erfurt O. O 1 o e g e

Kuhaupt, D. Dr. Hermann: Die Formalursache der Gotteskind-
schaft. Münster i. W.: Regensburg 1940. (VIII, 130 S.) gr. 8°. RM 3.20.
Eine merkwürdig verklausulierte, mystisch bestimmte
Untersuchung über Gnadenstand und Gotteskindschaft,
die wenig historisch und vorwiegend systematisch ist.
Ausgehend von einer innerkatholischen Kontroverse über
Gotteskindschaft im vorigen Jahrhundert wird zunächst
zwischen Gnade Gottes und Gnade Christi scharf unterschieden
und die Frage aufgeworfen, ob die geschaffene
oder die ungeschaffene Gnade Formalursache der Gotteskindschaft
sei. Die geschaffene Gnade ist ganz thomi-
stisch participatio divinae naturae, die als Vergeistigung
des personalen Seins und Verinnerlichung des Lebens
gefaßt wird. In Anlehnung an Schmaus spiegelt sich sogar
das trinitarische Wesen Gottes im menschlichen Sein
dann wieder, wenn diese Teilnahme vorhanden ist. Die
unerschaffene Gnade als übernatürliche Gottverbunden-
heit bedeutet das Sich Verschenken Gottes an den Menschen
, das geradezu als substanzielle Gegenwart und
persönliche Entwöhnung erfahren wird. Für diese mystischen
Sätze wird eine freilich sehr knappe patristische
Begründung gesucht, die allzu summarisch ist. Interessant
ist nur der Versuch einer Synthese griechischer pa-

| tristischer Mystik mit lateinischer, die sich in einer totalen
Trinitätslehre ergäbe. Alle diese Formen göttlicher
Gnade werden nun durch die verschiedenen Formen der
Christusgnade konkret. Ausgangspunkt ist die Mystik
des In Christus Seins, bei der allerdings sehr stark be-

j tont wird, daß die eigene Person nicht angetastet wird
durch sie, was für Paulus nicht ganz stimmen dürfte.

| Schwierigkeiten macht dem Verf. immerhin das Verhält-

j nis der Christusgnade zur Gottesgnade, was etwa der
folgende Satz zeigt: „Der Zusammenhang der „Gnade
Gottes" und der „Gnade Christi" ist zwar nur ein tat-

| sächlicher, nicht ein wesensnotwendiger, aber doch ein

i obligatorischer". Solcher harmonisierend addierender
Sätze ist das Buch überhaupt voll. Aus der Christusverbundenheit
kommt dann zwar wieder nicht wesensnotwendig
, doch tatsächlich, die „Christusbildlichkeit", die
nun ganz im Sinne der neukatholischen „Mysterieutheo-

I logie" entwickelt wird. Die Gnade gewinnt nämlich
Christusbildlichkeit erst „durch ihre Beziehung zum Sakrament
". Dabei gibt es eigentlich nur drei wirkliche

| Sakramente, „die ein Mal einprägen", Taufe, Firmung

i und Priesterweihe. Die anderen Sakramente sind nur
Auswirkungen dieser drei, insbesondere der Taufe.
Schließlich werden alle Sakramente leidensmystisch ver-

I standen, d. h. als Verbindungen mit dem Tode Christi,
selbst die Ehe. Denn jede Eingliederung in Christus bedeutet
mystische Solidarität mit der Kirche. Hier sagt

| der Verf. nichts Neues, außer daß er wieder im Sinne
der „Mysterientheologie" den sakramentalen Charakter
der Kirche an die erste Stelle stellt. Dieser verleiht ihr
ihre Christusbildlichkeit.

Der zweite Teil des Buches beschreibt nach den allgemeinen
katholischen Loci die Formen und Teilformen
der Gotteskindschaft wieder mit vorwiegender Hervorhebung
des Mystischen. Adoption und Geburt aus Gott
sind die entscheidenden mystischen Zeugungsformen des
neuen Menschen, sie verleihen dem Menschen Ähnlich-

| keit mit der göttlichen Natur, analog der Zeugung des
Christus. „Diese Verbundenheit mit Gott stellt einen substantiellen
Zusammenhang dar" (S. 97). Substantiell heißt
aber nicht physisch, wohl aber „Informieren" eines Wesens
durch das andere. Wie sich der Verf. das denkt,
zeige der folgende Satz: „Wenn demnach eine subsistie-
rende, selbstbestehende Form mit dem zu informierenden
Wesen zwar keine physische Einheit bildet, gleich-

I wohl aber die Funktion des Informierens in einem wah-

! ren und eigentlichen Sinne ausübt, dann darf man jene

j Form selbst eine Formalursache im analogen Sinne nennen
" (S. 102). Der „eine Sohn" Gottes ist also nicht
Christus, sondern „alle zusammen" in Christus.

Das Buch ist weniger wegen seines nicht völlig neuen

| Inhaltes interessant als vielmehr deshalb, weil es dem
Religionsgeschichtler ein aufschlußreiches Dokument für
die gegenwärtige Entwicklung wenigstens im deutschen

[ Katholizismus ist. Sehe ich recht, so ist es ein Anzeichen
für eine Strömung, die immer mehr in die Mysterienreli-

; gion mit stark neuplatonischen Einschlägen hineinführt
und auch schon bereits wieder über die liturgischen Be-

j wegungen hinaus zuletzt bei der Gottesmystik ankommt.

Königsberg, Pr., z. Zt. im Heeresdienst Carl Schneider

Meier, Dr. med. Fritz : Natur — Mensch — Gott. Wie ein Arzt und
Christ die Welt ansieht. Dresden: C. Ludwig Ungelenk (1941).
(303 S.) 8". RM 4.80.

Der Verfasser, der nacheinander Theologie, Philosophie
, Geschichte und Medizin bis zu den abschließenden
Prüfungen studiert hat und jetzt schon über 00 Jahre
' alt ist, zeichnet in diesem Buche sein Weltbild. Der
j 1. Teil seines Buches ist dem Wissen von der Natur,
i der 2. dem Wissen vom Menschen als Kulturträger ge-