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Ausgabe:

1942

Spalte:

18-19

Kategorie:

Religionswissenschaft

Autor/Hrsg.:

Glasenapp, Helmuth von

Titel/Untertitel:

Buddhistische Mystèrien 1942

Rezensent:

Bertholet, Alfred

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Theologische Literaturzeitung 1942 Nr. 1/2

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liclikeit beruhen freilich diese Aussagen gar nicht auf
einem personhaften Geschehen, sondern stellen ideeu-
mäliige Verdeutlichungen des traditionellen Dogmas dar,
die jedoch aucli anders, z. B. an Hand des Erlebens der
Natur, gewonnen werden können. Dieser Hinweis ist
auch noch insofern vielleicht doch wichtig, als ja nun
tatsächlich die im hellenistischen Zeitalter weit verbreitete
Rede von sterbenden und auferstehenden Göttern und
Heilbringern ursprünglich — man denke an die Sumerer
— im Naturerlebeu beheimatet ist. Sein ideenmäßiger
Niederschlag mag dann ruhig heißen: „Gott schafft, indem
er zerstört usw.". Und wenn man in diesem Zusammenhange
dann auch noch ausdrücklich „Christus"
sagen zu sollen meint, so kann diese Aussage doch nur
als Symbolwort gelten. Man kann darauf aber auch verzichten
und das Gemeinte so sagen, wie es beispielsweise
der reife Goethe zum Ausdruck gebracht hat: „Stirb
und werde". Fraglos stehen wir damit auf deutschem
Boden. Ilm ausdrücklich als christlich zu kennzeichnen,
besteht jedoch keine Veranlassung. Teilt Seeberg diese
Konsequenzen? Und wie steht es hier mit Luther? Das
sind die nach unserer Auffassung aufzuwertenden religionswissenschaftlichen
Fragen, deren Beantwortung arn
Ende die gesuchte eindeutige Klarheit in Seebergs, wie
wir bereits bemerkten, etwas schwimmende Intentionen
bringen könnte.

Schließlich tritt das Deutsche bei Luther nach Seeberg
unter dem Gesichtspunkt der Zusammenziehung
von Geist und Wirklichkeit in der Geschichte in Erscheinung
, wobei Seeberg im Sinne Hegels unter Geschichte
die Wirklichkeit versteht, in welcher Gottes
Wirken wirksam wird. Sein Niederschlag heißt Inkarnation
, die nach Seeberg mehr ist als bloße Tatsache
oder historisches Faktum, nämlich „fortzeugendes Symbol
, das uns zeigt, wie es in der Geschichte zugeht". Ist
hier nicht aber aus der Konkretheit der kirchlichen Lehre
von der Inkarnation eine allgemeine Wahrheit geworden,
die als solche am Ende den ursprünglichen Sinn des
Gemeinten verfehlt? Diesen sich in den Bahnen Hegels
haltenden Sachverhalt, den er aber auch bei Luther ohne
weiteres als gegeben erachtet, nennt Seeberg „Transzcn-
dentalismus". Dieser Begriff verwirrt jedoch mehr, als
er klärt. Geht doch Seeberg dabei von der jenseitigen
Welt aus, von der wir nur soviel erkennen könnten, als
Unserem Sinnen und Denken gemäß sei. In Wirklichkeit
ist jedoch bei allem, was transzendental heißt, vom Menschen
und seinen Möglichkeiten auszugehen, unter denen
dann die Möglichkeit des Menschen, sich selbst zu
transzendieren, im Brennpunkte steht. Danach ist es im
Rahmen des echten Transzendentalismus ausgeschlossen,
Gott als Vorgegebenheit zu behandeln. So gehen bei
Sceberg entscheidend wichtige geistesgeschichtlichc Sachverhalte
etwas durcheinander. Sie bedürfen erneuter
erfindlicher Durchdenkung. Erst, wenn das geschehen
ist, kann, soweit Scebergs Buch in Betracht kommt, die
Frage nach Luthers deutscher Sendung beantwortet werden
.

Man wird sie sicher in erster Linie darin zu erblicken
haben, daß Luther, getrieben von der Sorge um das seelische
Leben des deutschen Volkes, den Generalangriff I
auf das nach Geld schmeckende Religionsverständnis der
Papstkirche in geschichtlich wirksamer Weise eröffnete.
|n der Tatsache, daß das in Deutschland und so nur in
Deutschland geschah, dürfte zugleich das mit verborgen
ruhen, was „deutsch" genannt werden muß. Soviel wird
mau aber schon jetzt sagen können, daß dabei weder das
Seebergsche Verständnis der Dynamik und des Transzen-
deutalismus noch auch die Inkarnation im Vordergrunde
steht, sondern die sich mit Eckharts Mystik erstmalig un-
fibernörbar zu Worte meldende Tatsache, daß in der
Mitte Europas ein Volk lebt, welches angesichts weitgrei-
fender religiöser Überfremdungen einen unvergleichlich
schweren und innerlichen, vom Schicksal verordneten
Kampf um das Zusichselbstkommen auch in religiösem
Betracht auf sich genommen hat. Es steckt mancherlei

von diesem Ringen in Seebergs Buch. Das beweisen gerade
auch seine sachlichen Ungenauigkeiten und Unklarheiten
. Es wird aber vermutlich noch lange dauern, bis
„alles klar" ist. Bis dahin werden wir uns weiter um
das Verständnis der großen „Gottesstreiter" Deutschlands
bemühen müssen, unter denen Martin Luther wohl
der größte ist. Für Jahrhunderte konnte er zum deutschen
Schicksal werden. Die Frage, ob das auch noch in
Zukunft so sein wird, beginnt heute als Frage greifbare
Gestalt anzunehmen. Das sieht Seeberg. Und weil er
nicht abwartend beiseitestehen will, hat er das Wort ergriffen
. Es ist ein Wort geworden, das als ein die religiöse
Lage der Gegenwart, die sich noch immer mit
Luther auseinanderzusetzen hat, sogar weithin erhellendes
Wort ernst genommen zu werden verdient.

RELIGIONSWISSENSCHAFT

Qlasenapp, Helmut von: Buddhistische Mysterien. Die geheimen
Lehren und Riten des Diamant-Fahrzeugs. Stuttgart: W.
Spemann HJ40. (201 S., 8 Tafelabb.) 8° = Sammlung Völker-
glaube. geb. RM 4.80.

Zu den elementarsten Kenntnissen des Buddhismus
gehört seine Teilung in „kleines" und „großes Fahrzeug
" (Hinayäna und Mahäyäna). Ungleich weniger bekannt
ist eine dritte Phase desselben, eine Esoterik stark
magischen Charakters, die in den ersten Jahrhunderten
unserer Zeitrechnung entstanden und in langem historischen
Prozeß entwickelt seit etwa 700 in festen systematischen
Formen vorliegt und das „Diamantfahrzeug"
heißt (Vajrayäna von vara -■= Diamant, auch Mantrayäna
von mantras m Sprüche, Formeln), v. Glasenapp dem
der Religionshistoriker schon für so manche lichtvolle
Darstellung aus dem Gebiet der indischen Religionsgeschichte
zu Dank verpflichtet ist, hat sich ein neues Verdienst
erworben, indem er im vorliegenden Werk auf
Grund der heute zugänglichen (z. T. neu erschlossenen)
Quellen sowie eigener Reiseeindrücke ein Gesamtbild
dieser buddhistischen Esoterik zu entwerfen unternimmt.
Als Nichtfachmann kann ich mich diesem Unternehmen
gegenüber im ganzen nur referierend verhalten, indem
ich aus der Fülle der Einzelheiten herauszugreifen versuche
, was mir als Wesentlichstes erscheint; dabei bin
ich mir wohl bewußt, daß diese Berichterstattung um
so unvollkommener ausfallen muß, als das Vajrayäna
mit der Vielheit seiner Systeme alles andere als eine geschlossene
einheitliche Größe ist.

Ein erster Teil der Schrift (S. 9—69) gilt der Untersuchung
von Entstehung und Geschichte des Diamantfahrzeugs
. Es ergibt sich, „daß es sich seit dem 8. Jh.
von seiner indischen Heimat aus in schnellem Siegeszuge
alle Länder der buddhistischen Welt erobert hat. In Indien
und in den meisten Gebieten, in die es von dort
übertragen wurde, ist es heute erloschen oder bedeutungslos
geworden, im japanischen Inselreich blüht es
aber noch in der Gegenwart in seiner „reinen" Gestalt,
während es im ganzen tibetischen Kulturkreis in seinen
beiden Formen vertreten ist" (S. 68 f.). Von einer Zwei-
heit der Formen nämlich wird gesprochen, sofern das
eine System, der „reine Tantrismus" (von Tantras, wörtlich
„Gewebe", d. h. systematische Darstellungen), darin
den alten buddhistischen Anschauungen treu, erotische
Vorstellungen und Riten von der Erlösungslehre fernhält
, während das andere eine bedeutsame Umwandlung
erfahren hat durch Aufnahme shaktistischer Elemente
(Shaktis sind Göttinnen, welche Personifikationen der
„Kräfte" von Göttern sind und deren Kult erotische
Riten aufweist). Diese Zweiheit bedingt die nachfolgende
Disposition der Schrift, indem ihr zweiter Teil (S. 70
bis 153) die Lehren und Riten des reinen Tantrismus
behandelt, während der dritte (S. 154—176) sich mit
dem Shakti-Kult und seiner Erotik befaßt.

Die Basis aller buddhistischen Esoterik ist die Vorstellung
von der letzten All-Einheit, die allem Existie-