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Ausgabe:

1942

Spalte:

267-268

Kategorie:

Kirchengeschichte: Allgemeines

Autor/Hrsg.:

Schumann, Friedrich Karl

Titel/Untertitel:

Gestalt und Geschichte 1942

Rezensent:

Frick, Robert

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Seite 1

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268

KIRCHENGESCHICHTE: PROLEGOMENA
UND ALLGEMEINES

Schumann, Prof. D. Dr. Friedrich Karl: Gestalt und Geschichte.

Leipzig: Akad. Verlagsges. Becker u. Erlcr 1941. (VI, 36 S.) gr. 8°
= Die Gestalt. Abhandlgn. zu einer aUgem. Morphologie, hrsg. v.
W. Pinder, W. Troll, L. Wolf. H. 6. RM 3.60.

In der Sammlung von Abhandlungen zu einer allgemeinen
Morphologie, die Wilhelm Pinder, Wilhelm Troll
und Lothar Wolf herausgeben, nimmt im 6. Heft der
Theologe das Wort und Fegt eine geschichtsphilosophi-
sche Abhandlung vor. Es geht ihm um die Frage, wie
weit der Begriff der Gestalt (uopcprj), der ja zunächst in
das Gebiet der Biologie gehört (Aristoteles), nun auch
in den Bereich der Geschichte übertragen werden kann.
Sch. zeigt uns, wie die Übernahme des Gestaltbegriffs in
das geschichtsphilosophische Denken die Gefahr in sich
birgt, biologische Gedanken einfach auf die neue Ebene
zu übertragen (vgl. die Herrschaft des Entwicklungsgedankens
im IQ. Jahrhundert und den Morphologismus
Oswald Spenglers). Er setzt dagegen die These, daß
solch eine Übertragung eines Begriffs aus der Ebene der
Biologie in die der Geschichte nicht anders erlaubt ist,
als daß dieser Begriff dabei selbst eine Metamorphose
durchmacht.

Zunächst sucht Sch. grundsätzlich den Punkt des
Übergangs aus dem Bereich der Natur (Biologie) in den
der Geschichte zu bestimmen. Für die Gestalt geschichtlichen
Lebens erscheint ihm wesentlich, daß es hier immer
um das konkret Einmalige geht, um konkretes Geschehen
in seiner kontingenten Wirklichkeit, um einen
konkreten Raum menschlicher Existenz, um die Zeit als
wirkliche, unumkehrbare, schicksalsträchtige Zeit, als
Sphäre der Entscheidung und des Ereignisses.

Sch. fragt weiter: Wie begegnet uns in diesen geschichtlichen
Bezügen die Gestalt des Menschen? Und
die Antwort ist: Nicht als Gegebenheit, sondern als Aufgabe
. „Der Mensch ist nicht einfach vorhandene, vor-
findliche, aber auch nicht nur sich entwickelnde, vielmehr
im greifend-begreifenden Befaßtsein mit seiner Gestalt-
haftigkeit sich verwirklichende Gestalt" (Seite 15), „nach
sich selbst greifende, im sich Ausgestalten sich selbst
suchende, mit ihrer Gestalthaftigkeit befaßte Gestalt"
(Seite 11). So erhält der Begriff der Gestalt hier den
neuen Sinn als „im Ergreifen ihrer selbst sich verwirklichender
Gestalt" (Seite 16).

Und was vom Individuum gilt, gilt in gleicher Weise
auch von den engeren und weiteren Gemeinschaften geschichtlichen
Lebens. Dabei berührt Sch. das Problem
des Verhältnisses von Individuum und Gemeinschaft.
Die Gemeinschaft ist für die Verwirklichung der ihr aufgegebenen
Gestalt an das Individuum gebunden. „Die
großen Individuen sind .symbolisch', .exemplarisch' für
die Gemeinschaft, aus der sie sich erheben. Nur in ihnen
ist sie zunächst als Gestalt da" (Seite 18). „Nur die
im großen Individuum frei sich erfassende Gemeinschaftsgestalt
kann dauernd geschichtsmächtig wirken"
(vgl. Solon, Aischylos, Perikles).

Die dem Menschen und der Gemeinschaft gesetzte
Aufgabe, zu ihrer Gestalt zu finden, bleibt immer unerfüllt
. Der Mensch ist „in sich unabschließbare und in
diesem Sinn unendliche Gestalt". Sch. beruft sich auf
Pascal: „L'homme passe infiniment l'homme". Weniger
überzeugend scheint mir an dieser Stelle der Hinweis auf
die biblische Bezeichnung des Menschen als imago dei =
Ebenbild Gottes. Zum mindesten ist dieses biblische
Wort mit solcher Beziehung noch nicht ausgeschöpft.
Richtig aber und von wesentlicher Bedeutung ist der
Nachweis der Unabgeschlossenheit menschlicher Gestalt,
oder anders ausgedrückt: ihres Entscheidungscharakters
(vgl. Seite 31).

Zu dem gleichen Ziele führt eine neu einsetzende Erwägung
über die Bedeutung des „Wortes". Das „Wort"
ist geradezu das Kennzeichen der Geschichtlichkeit des

Menschen. Es bezeichnet die Grenze zwischen Vorgeschichte
und eigentlicher Geschichte. „Im Anfang aller
echten Geschichte steht das Wort" (Seite 23). In aller
| Kürze versucht Sch. eine Philosophie des Wortes zu geben
. Er geht dabei vom Verbum als Tätigkeitswort aus
I und sieht in den drei Personen, in denen wir das Verb
konjugieren, drei Grundfunktionen des Wortes beschlossen
. Die 3. Person weist hin auf die Aufgabe des Wor-
[ tes, etwas zu bezeichnen. In der Ich-Person begegnet
| uns das Wort als Ausdruck (Selbstaussage), in der 2.
j Person als Anrede (Ich-Du-Funktion), und hier eben
' begegnet uns der Mensch als geschichtliche Gestalt. In
Anrede und Hören und Autwort beruht die eigentliche
j Geschichtlichkeit des Menschen. Dabei ist die Beobachtung
weiterer Besinnung wert, daß es im Sinn solch
eines Geschehens auch ein sehr beredtes Schweigen gibt.
| Dagegen erscheint es mir fraglich, ob Sch. glücklich formuliert
, wenn er in Verfolg dieser Philosophie des Wortes
zu scheiden versucht zwischen Kultur und Politik,
wobei er den Bereich der Kultur der 3. Person des Verbums
(Ich-Es-Verhältnis, bezeichnende Funktion des Wor-
j tes) den Bereich der Politik der 2. Person des Verbums
(Ich-Du-Verhältnis) zuordnet.

Zum Zielpunkt gelangt die Besinnung auf das Wort
aber erst damit, daß den bisher genannten Funktionen
| eine vierte hinzugefügt wird, die des Bejahens und Verneinens
, des Unterscheidens und Bestimmens, der Analyse
und Synthese, d. h. aber, wir sind wiederum an dem
Punkt angelangt, wo deutlich wird, daß Menschsein bedeutet
, in die Entscheidung gestellt sein. „Die Ent-
I Scheidung, die Frage, das Ja und Nein am Sein des
; Menschen, sind Momente, die das Sichabschließen, Sich-
vollenden des menschlich Gestaltbaren verhindern, weil
| sie selbst nicht gestalthaft sind, sondern das Gestalthafte
j innerlich begrenzen und eben dadurch wieder bestimmen,
j Der Mensch ist immer am Ja und Nein zerbrechende und
I doch an ihm immer neu sich abstoßende und suchende Ge-
1 stalt" (Seite 30). Dieser Entscheidungscharakter menschlicher
Gestalt erhält seine letzte Tiefe, wenn deutlich
! wird, daß hinter den Begegnungen von Mensch zu
Mensch die letzte Begegnung zwischen Mensch und Gott,
| die religiöse Entscheidung steht. „Jede Entscheidung ge-
j genüber einem einzelnen, menschlichen Du ist umfangen
I von der Entscheidung gegenüber dem letzten Du und
; steht in der Verantwortung vor ihm" (Seite 31).

Damit gelangt die Morphologie mit ihren notwen-
i dig formalen Betrachtungen an die Grenze, wo die
j Gottesfrage aufbricht. Sie kann, ja sie muß bis zu die-
i ser Stelle führen. Die Antwort auf die Frage zu geben,
I liegt nicht mehr in ihrem Bereich.

Die scharfsinnige, in äußerster Kürze auf wenigen
Seiten viel sagende Schrift ist nicht leicht geschrieben,
| aber die Sauberkeit der Begriffsbildung und der Gedankenführung
macht die Lektüre zu einer Freude.

Störend sind eine ganze Reihe von Druckfehlern: S. 13, Abschnitt
III, Z. 6 von statt non; S. 17, Z. 0 v. u. verschieden statt entschieden;
S. 19, Z. 5 v. u. ton; Z. 4v. u. ruuTÖv; S. 24, Z. 22 v. o. entspricht

j statt et spricht; S. 26, Z. 8 v. o. so ist es wohl nicht zu verwundern;

! S. 29, Z. 19 v.u. vereinen statt verneinen(!).

i Bethel-Bielefeld R. F r i c k

Stähl in, Leonhard: Christus praesens. Vorerwägungen zu einer
i Orundfrage der Kirchen- u. Dogmengeschichte. München: Evang.
Verl. A. Lempp 1940. (77 S.) gr. 8° Beiträge z. evang. Theologie
Bd. 3. RM 1.80.

In diesem Büchlein kreuzen sich verschiedenartige
Interessen des Verfassers: sein Grundinteresse ist ein
| systematisches (S. 9 Anm. 13), das sich gebunden fühlt
i an „das" Neue Testament, das streng als Einheit gefaßt
j wird und im ebenfalls streng einheitlich gefaßten Alten
Testament „typologisierend" vorgebildet ist. Die Aus-
: sagen „des" Neuen Testamentes glaubt Vf. auf historisch
-exegetischem Wege festzustellen, lehnt aber scharf
die religionsgeschichtliche Analogiebetrachtung ab. Der
I aus dem N.T. erhobene Begriff des Christus praesens