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Ausgabe:

1942

Spalte:

263-264

Kategorie:

Religionswissenschaft

Autor/Hrsg.:

Lüders, Heinrich

Titel/Untertitel:

Philologica Indica 1942

Rezensent:

Kirfel, Willibald

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Seite 1

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263

Theologische Literaturzeitung 1942 Nr. 9/10

264

Mythus geht mit der Erscheinung Jesu in die Geschichte
ein, aber diese Geschichte hat die Bedeutsamkeit der
Eschatologie. Der Mythus wird auf diese Weise entiny-
thologisiert, und es gilt von der johanneischen Christo-
logie überhaupt, was Bultmann vom Logos feststellt:
nicht mehr mythologisch, noch nicht spekulativ (im Sinne
der späteren Gnosis).

Es ergibt sich schon aus dieser skizzenhaften Andeutung
, daß B. die Theologie des Johannes nicht ohne Einbeziehung
Kierkegaard'scher und existenzphilosophischer
Terminologie darstellt. Ihm wird das sachgemäß erscheinen
. Ich zweifle aber, ob die Leser wirklich belehrt werden
, wenn Bultmann Jesu Wort vom Leben Joh. 5,24
dem Glaubenden verheißen läßt „jene Eigentlichkeit der
Existenz, die in der Erleuchtung des definitiven Sichverstehens
geschenkt wird" (S. 194). Dies ist nur ein Beispiel
für viele, und ich gestehe, daß diese Belastung des
Kommentars mit philosophischen Modeausdrücken mir
neben der unmöglichen Umstellungshypothese den wesentlichsten
Mangel des Buches bedeutet.

Eine Anzahl Stellen, bei denen ich gegen die Einzelexegese Bedenken
anzumelden hätte, seien wenigstens notiert. So wird 1, 0
sqx6|,evov nq töv xoojiOV auf den Menschen bezogen, da es diese

semitische Umschreibung für „Mensch" in der Tat gibt; aberI(j¥80Öai
gilt bei Joh. doch zumeist dem Kommen des Offenbarers. — Wie
kann man 7, 3° unter Streichung von 7, 38 nur auf das Trinken
deuten, und nicht auf das, was bei dem Gläubigen eintritt, nachdem
er getrunken: daß er selber zum Wasserspender wird, wie es 7,38
gesagt ist? — In 1<J, 35 soll ijtgivo? auf Jesus gehen, obwohl der
Evangelist das Wort auch für ein gewöhnliches „er" braucht (18,17.
25). — Der Glaube des Lieblingsjüngers 20, 8 hat nach B. zur
Voraussetzung, daß „Petrus vor ihm ebenso durch den Anblick des
leeren Grabes zum Glauben gebracht war" — das wäre doch bei
Petrus hervorgehoben! — Das Wort an Magdalena 20, 17 wird „rühre
mich nicht an" übersetzt. Die m. E. richtige Übersetzung „halte
mich nicht fest" wird von B. ironisiert: „als ob Jesus Eile hätte
fortzukommen". Dabei beobachtet B. selbst, daß der Auferstandene
hier noch „in einem eigentümlichen Zwitterzustand zu sein" scheint;
er muß also in der Tat „fortkommen", nämlich dvaßaiveiv.

Alle Kritik aber muß zurücktreten vor dem Dank für
dieses in 20 jähriger Arbeit entstandene große Kommentarwerk
. Denn hier ist dem vierten Evangelium nicht nur
der religionsgeschichtliche Ort angewiesen, an den es gehört
; hier ist auch in der theologischen Deutung ein
Durchbruch durch viele lange bestehende Vorurteile zu
einem, wie wir glauben dürfen, sachgemäßen und fruchtbaren
Verständnis des Johannes-Evangeliums vollzogen.

RELIGIONSJVISSENSCHAFr

Lüders, Heinrich: Philoiogica Indica. Ausgew. kleine Schriften.
Festgabe zum 70. Geburtstage am 25. Juni 1939 dargebr. v. Kollegen,
Freunden u. Schülern. Mit e. Bildnis u. e. Taf. Göttingen : Vanden-
hoeck u. Ruprecht 1940. (VIII, 81? S.) 4°. RM 45— ; Lw. RM 48—

Es ist eine langjährige Sitte, daß anerkannten und
verdienten Gelehrten zum 60. oder 70. Geburtstage von
Freunden, Kollegen und Schülern eine Festschrift zugeeignet
wird, um ihnen dadurch im Reiche der Wissenschaft
gewissermaßen ein Denkmal zu setzen. Festschriften, die
dieser Zusammenarbeit ihre Entstehung verdanken, sind
nur selten von einheitlichem Wert, selbst wenn die einzelnen
Beiträge einem festumrissenen Gebiete angehören
und sie sich mithin unter einem gemeinsamen Titel zusammenordnen
lassen; denn neben wahren Kabinettstückchen
stehen bisweilen Artikel, denen man ansieht, daß
sie unter dem Zwang des Augenblicks oder der Konvention
geliefert worden sind.

Eine neue, vielleicht aus den Zeitverhältnissen geborene
, aber recht sympathische Form dieser Ehrung stellt
der vorliegende stattliche Band dar, der eine Auswahl
von 37 kleineren philologischen Arbeiten des hervorragenden
Gelehrten zusammenfaßt. Die hier vereinten Arbeiten
stammen aus den Jahren 1897—1934 und erschienen
seinerzeit in den „Nachrichten der Gesellschaft
der Wissenschaften zu Göttingen, Phil.-hist. Kl." (4),
den „Abhandlungen" der gleichen Gesellschaft (1), der
„Zeitschrift der Deutschen Morgenländischen Gesell - '
schaff" (2), der „Zeitschrift für Indologie und Irani- !
stik" (1), „Kuhns Zeitschrift für vergleichende Sprachforschung
" (8), den „Acta Orientalia" (2), den „Sitzungsberichten
der Preußischen Akademie der Wissenschaften
" (15) und den Festschriften für Garbe, Kuhn, j
Wackernagel und Windisch (je 1). Inhaltlich beschäftigen
sie sich mit Gegenständen, die der indischen j
Grammatik und der sprachwissenschaftlichen Etymologie,
der Geographie, Geschichte und Kulturgeschichte, der
Literatur, insbesondere den Upanisads, dem Epos und
dem Drama, dem Recht, dem Schrifttum des Buddhismus j
und der Epigraphik, der Medizin und der Astronomie
angehören. In vielen spielen die Turfan-Funde, die un- j
sere Kenntnis von Indien und dem zentralasiatischen
Raum sowie die von der Entwicklung und Geschichte des !
Buddhismus wesentlich erweitert haben, eine besondere j
Rolle; war es doch gerade Lüders als langjährigem ständigen
Sekretär der Preußischen Akademie der Wissenschaften
vergönnt, jene Funde erstmalig zu sichten und |
zu bearbeiten. Zu den einzelnen Aufsätzen ist hier nur |
zu sagen, daß sie Meisterwerke der Philologie darstellen j

j und insofern für den Fortgang der Forschung von höchstem
Werte sind. Die Berichtigungen und Zusätze am
Ende des Bandes stammen jedenfalls aus der Feder des
Autors, und das Register, das sich in ein Wort-, Stellen-
und Sachverzeichnis gliedert, ist einfach unentbehrlich.
Der stattliche, mit einem guten Bilde des Verfassers geschmückte
Band, der dessen vielfach entlegenen „ausgewählten
kleinen Schriften" jetzt einer bequemen Benutzung
zugänglich macht, wird nicht nur den wissenschaftlichen
Bibliotheken, sondern in erster Linie all denen
willkommen sein, die sich mit der Indologie oder
ihren Grenzgebieten beschäftigen. Freilich hätte ich gewünscht
, datj die Veranstalter der Festgabe derselben
eine Bibliographie aller Schriften und Werke des Verfassers
beigegeben hätten. Diese hätte nicht nur das Lebenswerk
des Meisters umrissen und das Bild seines
Schaffens wesentlich vervollständigt, sie wäre sicherlich
auch für den Besitzer wie den Benutzer des Bandes von
praktischem Nutzen gewesen.

Bonn W. Kirfel

Glasenapp, Helmuth v.: Entwicklungsstufen des indischen
Denkens. Untersuchungen über die Philosophie der Brahtnanen und
Buddhisten«. Halle (Saale): Max Niemeyer 1940. (VI, 1Ö9 S.) gr. 8°
= Schriften d. Königsb. Gelehrten Ges. 15./16. Jahr. Geisteswiss.
Klasse H. 5. RM' 14—.

Seit den Tagen Colebrooke's hat das philosophische
Gedankengut der Inder im Mittelpunkt der indologischen
Forschung gestanden, und es ist seitdem mehr oder weniger
das Bestreben gewesen, das gesamte Denken dieses
weiten Raumes mit seinen verschiedenen Systemen möglichst
in eine Linie der Entwickelung zu bringen. Selbst
Systeme wie das des älteren Brahmanismus und das des
Buddhismus, die bei erster Bekanntschaft den Eindruck
eines vollkommen unabhängigen Ursprungs hinterlassen,
glaubte man mit Hilfe einiger Upanisad-Stellen mit einander
verknüpfen und damit die These von der gerad-
linien Entfaltung des indischen Denkens fester verankern
zu können. Ob diese These, die unserem Zeitalter der
Entwickelungsvorstellung so ganz entspricht, allerdings
tatsächlich zurecht besteht, ist eine Frage, aber ebenso
fraglich ist es, ob sich auf Grund unserer gegenwärtigen
Kenntnisse und der bisher üblichen Methodik der individuelle
Ursprung z. B. der beiden angedeuteten Systeme
eindeutig erweisen läßt. Die ganze Problematik der
These besteht nämlich in der Voraussetzung, daß der
größte Teil der nordindischen Tiefebene samt den Südabhängen
des Himalaya seinerzeit von einer hauptsächlich
arischen Bevölkerung mit einem relativ einheitlichen
Kulturhintergrund beherrscht gewesen sei und die
von der Indologie bisher aufgestellte relative Chronolo-