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Ausgabe:

1942

Spalte:

248-249

Kategorie:

Psychologie, Religionspsychologie

Autor/Hrsg.:

Ziehen, Walter

Titel/Untertitel:

Verfrühung in der Religionspädagogik 1942

Rezensent:

Eisenhuth, Heinz Erich

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'247

Theologische Literaturzeitung 1942 Nr. 7/8

248

tarnt. Völlig legitim aber kann Philosophie in der theologischen
Ethik verwendet werden, wenn sie bleibt, was
sie ist, nämlich menschliches Bemühen um die letzte
Wahrheit. Und da muß sie in der Ethik ihren Platz
haben, weil die Frage nach dem Outen eine allgemein-
menschliche und nicht nur eine theologische Angelegenheit
ist. Davon aber hat der Verf. keine Ahnung. Daß er
nicht richtig unterscheiden kann, zeigt der Umstand, daß
er zweimal das „Gesetz zur Ordnung der nationalen Arbeit
" lobend zitiert. Ist das vielleicht biblisch begründet?
Wenn nicht, auf was dann? Wenn auf profane, also
philosophische sittliche Erwägungen, warum wird es
dann beispielhaft in einer biblischen Ethik hervorgehoben
? — Das ist nicht die einzige Unstimmigkeit, die die
Arbeit des Verf. zeigt. Er macht weiter den heute leider
weitverbreiteten Fehler, zwischen Anknüpfungspunkt
und Grundlage in der Ethik nicht zu unterscheiden
. Beides ist nicht dasselbe. Es kann beides
zusammenfallen, und ich halte es durchaus für möglich,
mit der biblischen Offenbarung zu beginnen, die zugleich
die Grundlage ist, wobei dann freilich die Auseinandersetzung
mit der philosophischen Ethik folgen muß, was
der Verf. völlig versäumt. Man kann aber auch — und
das halte ich in der heutigen geistigen Situation für richtiger
— mit den philosophischen Bemühungen um ein
Ethos beginnen, um dann zur biblischen Grundlage zu
gelangen. Dann fallen Anknüpfung und Grundlage eben
nicht zusammen.

In der Kritik an meiner Evg. Wirtschaftsethik (S. 13), wo icli
die Ehre habe, zu den schwärzesten Böcken gesellt zu werden, unterschlägt
der Verf. einfach meine Theologische Grundlegung, die so gut
wie seine die biblische Offenbarung zum Gegenstand hat. Er erwähnt
nur die philosophische und übersieht, daß ich zeige, wie sie für sich
allein ohne Gewißheit bleibt und nach Offenbarung fragt. Man sollte
ein Buch, das man kritisiert, doch wenigstens ganz lesen. Meine
Ethik wie die von Troeltsch als „kantisch" zu bezeichnen (S. 70),
ist eine dürftige und schiefe Charakteristik.

Was an dem Werk des Verf. auffällt, ist sein
Schlagwortcharakter. Aufklärung, Rationalismus,
19. Jahrhundert, Idealismus, Vernunft, Philosophie, Kulturprotestantismus
: der Verf. zeigt zwar nirgends eine
geschichtliche Kenntnis dieser Größen, wer aber damit
behängt wird, ist erledigt. Die Charakterisierung des
Kulturprotestantismus S. 94 ist ein Pamphlet, aber keine
historische Darstellung. So kann es passieren, daß man
selbst in das verfällt, was man verurteilt. Es ist zwar
theoretisch viel die Rede — mit Recht — die Christus-
wirklichkeit nachzuleben. Wenn aber praktisch in den
letzten Teilen nichts anderes herauskommt, als seinem
Beruf in der Kultur zu leben nur als Person ohne Veränderung
der ethisch „neutralen" Sachsphäre und so den
Gehorsam gegen Gott zu pflegen, so ist das nichts anderes
, als was auch Harnack (S. 94) sagt: „Verhältnis
zum Ewigen und Outen gewinnen" und „die Erkenntnis
Gottes als des Vaters in Kraft" erhalten. Eine evangelische
Ethik, die das Problem der Bergpredigt nicht einmal
erwähnt, geschweige denn es ernsthaft empfindet,
hat keine Veranlassung, sich gegenüber dem Kulturprotestantismus
aufs hohe Roß zu setzen. Denn wo sollte das
Versäumnis des Kulturprotestantismus anders liegen als
darin, daß er mit Hilfe des Berufsgedankens die Kulturarbeit
als Gottesgebot aufnahm, ohne aber sie gleichzeitig
durch Jesu Bergpredigtforderungen zu begrenzen
und in Frage zu stellen? — Großes Gewicht legt der
Verf. auf die Unterscheidung von Personal- und
Realethos und meint, in der christlichen Ethik käme
es nur auf ersteres an, das letztere sei ethisch neutral.
Er wird da von einem richtigen Gefühl geleitet, aber
eben nur vom Gefühl und nicht von Erkenntnis, die er
sich aus bestehenden Ethiken wohl hätte erwerben können
. Ethisch neutral ist die Technik der Sachsphäre,
aber nicht ihr Inhalt; denn was nützt ein Personalethos
, wenn ihm die sachlichen Bedingungen zur Betätigung
fehlen? Der Verf. gerät auch bei praktischen
Ausführungen tatsächlich fortwährend in die Sachsphäre.

Ich muß hier mit systematischen Ausstellungen abbrechen
und bin nur deshalb so weit auf sie eingegangen
, weil sie nicht nur D.s Buch, sondern weite Kreise
den jüngeren Theologen betreffen. Das Buch scheint mir
ihren Lieblingsgedanken sozusagen auf den Leib geschrieben
zu sein. Es zeigt starken Eifer und Rührigkeit,
die in großer Belesenheit zum Ausdruck kommt. Die Abschnitte
über das Rechtsdenken und die Naturwissenschaften
sind sachlich lehrreich. Aber auch da verfährt

j der Verf. nicht prinzipiell, sondern hält sich an zufällige,
wenn auch gute Lesefrüchte. So sieht er wichtige Dinge
einfach nicht, u. a. nicht das Problem „Sittlichkeit und
Recht". Von der Bergpredigt habe ich schon gesprochen.

i Ob die Behandlung des naturwissenschaftlichen Weltbildes
in die Ethik gehört, erscheint wir zweifelhaft, aber
es ist ein Verdienst des Verf. gegenüber sonstiger Theo-

! logie, sich so eingehend mit der Sache beschäftigt zu
haben. In der Beurteilung freilich ist er zu optimistisch,
weil er an Literatur einseitig solche Stimmen von Naturforschern
anführt, die positiv zu den religiösen Fragen

I stehen. Die Masse derer, die skeptisch denken, ist

| ihnen gegenüber erdrückend und hat unzweifelhaft die
stärkere Wirkung. Diesem Abschnitt gegenüber fällt der

' über das Wirtschaftsleben stark ab. Diese Sachgebiete
unter dem Stichwort „Beruf" zu behandeln, wie es auch
sonst üblich ist, habe ich starke Bedenken; denn sie
gehen nicht nur die Berufsleute, sondern alle an. Darum
halte ich das Stichwort „Wert" für entsprechender.

Einige Kleinigkeiten: Das Calvinzitat S. 57 steht nicht Inst. 11,
8,8, sondern Inst. II, 8, 6 u. 7. Ebenda muß es heißen ohsequium
j statt obsequiuns, S. 23 ueravoelv statt ^etdvosiv. Unverständlich
i ist mir der Ausdruck Trichotomie angewandt auf den Dekalo » (S. 45
i u.10l); der Verf. selbst behandelt ihn praktisch zweiteilig, wie es auch
naheliegt. Kann man wirklich, von■ „Christusbiographie" reden? Oder gar
von „Reduplikation der Christusbiographie" (S. 1()2)? „Personalstrate*
gie", „Realstrategie", „Personalgefecht"? S. 92 ist von „philosophischer
Abdeckerei" die Rede. Da überschreitet der Eifer die Grenzen
des Geschmacks.

Marburg/Lahn Georg W ii n s c h

| PSYCHOLOGIE UND REUGIONSPSYCHOLOG1E

Ziehen, Dompfr. Dr. Walter: Verfrühung in der Religionspädagogik
. Langensalza: Beyer 1941. (172 S.) S° = Fr. Manns Pädag.
Magazin H. 1435 RM 4.20.

Diese wertvolle Untersuchung befaßt sich mit einer
Frage, die in ihrer religionspädagogischen Bedeutung in
j gleicher Weise Schule, Kirche und Elternhaus angeht.

Verf. will ausdrücklich auch auf die vorschulische Zeit
| die Aufmerksamkeit hinlenken (S. 33). Verfrühung wird
jenes Verhalten genannt, das unkindlich mit dem Kinde
] verfährt. Es gibt diätetische, hodegetische und didaktische
Verfrühungen. Die diätetische Verfrühung bezieht
! sich auf das körperliche Leben des Kindes, „zum Bei-
! spiel auf verfrühte Abhärtung oder Verabreichung von
! Alkohol". Die hodegetische Verfrühung ist ein „Knospenfrevel
an der kindlichen Seele" und wird durch Fehler
in der häuslichen Erziehung verschuldet: durch Strafen,
I Belohnungen, durch Lesenlassen ungeeigneter Bücher
! oder durch Beteiligung an Vergnügungen Erwachsener
! (S. 9). Die didaktische Verfrühung ereignet sich im Un-
| terricht. Verf. geht zunächst diesem Problem in der all-
i gemeinen Pädagogik und dann in der Religionspädagogik
j nach. Indem Verf. die Erkenntnisse der Psychologie in
! den Dienst der Religionspädagogik stellt, vermag er
' eine wirkliche Hilfe zur Vermeidung der Gefahren zu
geben, die als Folgen der Verfrühung einzutreten pflegen
. Im vorletzten Abschnitt untersucht Ziehen den bis-
1 herigen Lernstoff aus Gesangbuch, Bibel, Katechismus,
Kirchengeschichte und Religionsgeschichte. Hierbei kommt
Verf. zu der sehr richtigen Erkenntnis, daß viele Stoffe
; der Bibel dem jungen Menschen unverständlich bleiben
[ müssen. Vor allem wird in den zu lernenden Sprüchen
oft ein Sündenbewußtsein vorausgesetzt, das zu schweren
Schädigungen der Seele des Kindes führen kann.

Diese Arbeit ist aus verschiedenen Gründen besonders
wichtig. Zunächst zeigt sie, daß die oft festgestellte