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Ausgabe:

1942

Spalte:

245-248

Kategorie:

Systematische Theologie: Allgemeines

Autor/Hrsg.:

Dilschneider, Otto A.

Titel/Untertitel:

Die evangelische Tat 1942

Rezensent:

Wünsch, Georg

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gen des menschlichen Zusammenlebens, also auch der
Freiheitsbegriff im sozialen, politischen und pädagogischen
Sinne. Zugleich liegt darin eine Begrenzung gegenüber
dem Freiheitsgedanken, wie er sich in der protestantischen
Weiterbildung als ein deutscher Lebensanspruch
ergeben hat. Es geht dem Verfasser darum, die
Freiheit der Kinder Gottes als Heilsbesitz wieder vernehmbar
zu machen. Dadurch wird erreicht, daß der
Glaube sich, ohne sich in negativen Auseinandersetzungen
zu verlieren, positiv selbst entwickeln kann. In einer
umfassenden, quellenmäßig fundierten, immer lebensvollen
Darstellung, die stets ein seelsorgerliches Anliegen
vertritt, wird unter großen und sofort gewinnenden
Gesichtspunkten das eine Glaubensthema treu und charaktervoll
durchgeführt: Fragwürdigkeit menschlicher
Freiheit — Im Vorfeld der psychologischen und ethischen
Begriffe — libertas beata (Gottes Freiheit — Freiheit
der Vollendeten) — Freiheit auf Erden (darunter
wird verstanden die ursprüngliche Freiheit, ihr Verlust
durch den Sündenfall und ihre Wiederherstellung in
Christus) — Freiheit der Kinder Gottes: Befreiende
Wahrheit..., frei von Sünde, vom Tode, vom Gesetz —
Freiheit in der Anfechtung — Reife Freiheit des Christen
— Religiöse Freiheit. Eine fast dramatische Steigerung
gläubiger Gedankenführung. An dem Zentralbegriff
der christlichen Freiheit entwickelt sich eine umfassende
katholische, und nicht nur .katholische' Glaubenslehre
. So wird erreicht, daß auch der Fernstehende
der katholischen Gedankenwelt und ihrer sehr glücklich
verwerteten Literatur nahe tritt. Der Verfasser läßt gern
die Quellen reden. Man wird schwerlich den Vorwurf
dogmatischer Enge erheben können; denn hier wirkt
Dogma nicht mehr als Gesetz, sondern wird wieder zum
Leben zurück geweckt, für dessen Glaubenserfahrung
es einmal Kristallisationsform gewesen war. Hier könnten
auch wir etwas lernen von Glaubens- und Willenspflege
und von Angewandter Dogmatik. Der Verfasser
hat das Vermögen, in feinsinniger religionspsychologi-
scher Erfassung den Seelenvorgängen nachzugehen, ohne
sie im Psychologischen untergehen zu lassen. Die Sprache
erhebt sich in vielen Höhepunkten zu bildlicher Anschaulichkeit
und vollendeter Schönheit.

Die Auseinandersetzung mit Luther, dessen eigentlich
protestantischer Glaubenstyp nicht wahrgehabt wird,
gibt sich in großer Aufgeschlossenheit: Luther wird als
religiöses Genie gewertet, dessen Trennung von der
Mutterkirche umsomehr bedauert wird, als in seinem
Anliegen etwas für die Gesamtkirche Bedeutsames herausgefühlt
wird. Die lebensvolle Polarität Gnade — Freiheit
, ohne die geistiges Leben nicht möglich sei, falle
in Luthers Lehre von der Unfreiheit des menschlichen
Willens in einen radikalen Gegensatz auseinander. Hier
wird Luthers beherrschender und gebietender Gottesgedanke
wohl doch nicht verstanden; hier vermißt man das
Eingehen auf die einschlägige protestantische Literatur
(K.Holl usw.) und überhaupt auf den Fragenkomplex:
de servo arbitrio; aber immerhin die Polarität im Rechtfertigungsbegriff
soll überdacht werden. Auch ein Eingehen
auf die Weiterentwicklung des protestantischen
Freiheitsgedankens (K. Leese!) hätte der genialen Einheitlichkeit
des Buches sicher nicht Eintrag getan, zumal
es doch dem Verfasser ein wirkliches Anliegen ist, in
das tragende Lebensgefühl des Luthertums sich einzufühlen
, wohl wissend von den vielen kleinen Schritten,
die hüben und drüben auf dem Wege der Wiedervereinigung
aller Christen getan werden müßten.

Dafür sollten wir dankbar sein. Aber auch das ist
Gnade: wo wir in Seinem Namen uns begegnen, dann
ist Er mitten unter uns, — und dann sind wir schon eins.
Diesen großen Glaubensdienst erweist uns dies fromme
Buch, das einem Kriegshelden gewidmet ist.

Jena Erwin L a n g n e r

Dilschneider, Otto: Die evangelische-Tat. Grundlagen und
Grund/.üge der evangelischen Ethik. Gütersloh: C. Bertelsmann
1940. (VI, 20G S.) gr. 8°. RM 5.50; geb. RM 7.50.

Das Buch will, wie der Untertitel sagt, zwar nicht
eine ausgearbeitete evangelische Ethik bieten, aber doch
deren Grundlagen und Grundzüge. Also wird es sämtliche
Hauptprobleme, die das Fach betreffen, berühren
müssen. In der Einleitung wird mit Nachdruck gesagt
, daß als Grundlage und Ausgangspunkt einzig und
allein die Bibel in Betracht kommt, deren Wahrheiten,
wie sie „sich exegetisch aus den biblischen Texten selber
erarbeiten lassen" (S. 23). Die philosophische Ethik
j verfahre demgegenüber entweder empirisch oder idealistisch
, sie sei immer Konstruktion, daher menschlich und
j unzulänglich. Nach diesem Maßstab werden die wichtig-
, sten neueren theologischen Ethiker beurteilt und in
Böcke und Schafe gesondert. Selbst Schlatter muß sich
den Tadel philosophischer Beimischung gefallen lassen,
da er, von Schopenhauer und Jakob Burkhardt beeinflußt
, vom „Willen" rede. So bietet der i. Teil die
Grundlagen, d. h. die einzelnen Offenbarungskreise, wie
sie die Bibel darstellt. Alle sind sie von Christus gewirkt
, so die Schöpfung vom „genetischen" Christus;
ethisch bedeutsam sind hier „die Ordnungen des naturhaften
Lebens, wie sie uns etwa programmatisch im
I Noachitischen Bund (Gen. 8,22) benannt worden sind"
| (S. 29). In den Propheten, zeigt sich die „pragmatische"
Christusoffenbarung, die in den Patriarchengeschichten
schon wesentliche ethische Anweisungen enthält, aber
im Gesetz, d. h. im Dekalog gipfelt. Das Neue Testament
gibt die Offenbarung des „sarkischen" Christus, von der
der Verf. nicht viel zu sagen weiß, wo doch am meisten
zu sagen wäre. Die Anwendung wird im II. Teil als
Ethos „post Christum" behandelt. Da wird das Problem
der „Gleichzeitigkeit mit Christus" erörtert und die Gegenwartsgrundlage
für die evangelische Tat als „üe-
| staltwerdung Christi in unserm Leben, unsere Vereben-
bildlichung mit dem einstigen sarkischen Christus" (S.
77) gewonnen. —

Der Hauptteil bringt die Grundzüge der evangelischen
Ethik als Personalethos, wobei besonders betont
wird, daß „die Gestalt des biblischen Ethos personalge-
I bunden" sei. „Alle andern Dinge dieser Welt bleiben
von diesem evangelischen Ethos unberührt. Diese Welt
I als Schöpfung, das heißt als sachweltliches Ganzes und
all die Dinge in der Welt, die rein sachtweltlichen,
I realen Charakter tragen, sind ethisch völlig unberührt"
(S. 87), ethisch indifferent. So kann auch das evange-
! lische Kulturethos nur so verstanden werden — wie es
auch der heutigen Philosophie entspreche —, daß es
sich in ihm um den Menschen handle. Sein evangelischer
Charakter liege darin, daß es von der ersten Tafel der
zehn Gebote her „kultischer" Natur sei. Das Ziel ist,
„daß es in unserm Leben zu einer Reduplikation des
j Lebensweges Christi kommt" (S. 10°). — Wie im ein-
! zelnen die evangelische Tat beschaffen sein soll, wird
| paradigmatisch als „Berufsethos" dargestellt, und zwar
! am Rechtsleben, in der Naturerkenntnis und im Wirtschaftshandeln
.

Was das Buch kennzeichnet, ist sein Doppelcharakter
: es will rein biblisch verfahren und doch modern
sein, d. h. die Probleme der heutigen Kulturlage bewältigen
, und das alles unter Ausschaltung jeder Philosophie,
die für den Verf. menschliche Konstruktion ist. Er hat
völlig recht, daß nur die Bibel Grundlage einer evangelischen
Ethik sein kann, aber die wirkliche Bibel
mit ihrem lebendigen Reichtum, nicht, wie bei ihm, eine
dogmatische, also menschliche Konstruktion des Bibelinhalts
, eine hineingelesene Geschichts p h i 1 o s o p h i e,
die nun doch auftaucht, nur ohne kritische Kontrolle.
Hier wird alles vergessen, was die biblischen Einlei-
tungswissenschaften testgestellt haben. Denn: ob Legende
oder geschichtliche Wahrheit, ob Patriarchengeschichten
, Noachitischer Bund oder Jesu Leben und Auferstehung
, gilt dem Verfasser ganz gleich, wenn es nur in
seine Konstruktion paßt. Das ist nun wirklich eine Vermengung
von Offenbarung und Philosophie, die für die
Wahrheit besonders gefährlich ist, weil sich hier Philosophie
, d. h. menschliche Konstruktion, als Offenbarung