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Ausgabe:

1941

Spalte:

181-183

Kategorie:

Religionswissenschaft

Autor/Hrsg.:

Wienecke, Erwin

Titel/Untertitel:

Untersuchungen zur Religion der Westslawen 1941

Rezensent:

Pirchegger, Simon

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181

Theologische Literaturzeitung 1941 Nr. 7/8

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hatte seine Exegese zu einem umfassenderen Verstehen
durchdringen müssen.

Ein wahrhaft großer Kirchenmann, ein Mahner an
das Kirchenregiment, ein Mittelpunkt neuen Werdens,
hat Löhe, der unter dem Staats- und unter dem Volks-
kirchentum, wie es sich herausgebildet hatte, tief litt,
alle Kraft und alle Gaben an die Neugestaltung der
kirchlichen Ordnung gesetzt. Er hat mit seinem Wirken
und mit seinen Schriften auch wichtige Anstöße zum
Durchdenken des Kirchenproblems gegeben: aber man
kann schwerlich dem Verf. beipflichten, wenn er von
einer besonderen thcologiegeschichtlichen Bedeutung Löhes
für den Ausbau der Lehre von der Kirche spricht.
Solche übertriebenen Urteile, die wenigstens von großer
Anhänglichkeit zeugen, sollen uns freilich nicht abhalten,
zuletzt noch einmal die Freude über das würdige Denkmal
auszudrücken, das liier dem in seiner Weise einzigartigen
Manne von Neuendettelsau gesetzt ist.

RELIGIONSWISSENSCHAFT

Wienecke, Dr. Erwin : Untersuchungen zur Religion der Westslawen
. Leipzig: Otto Harrassowitz 1940. (XXVIII, 327 S., 19 Taf.)
gr. 8° — Forschgn. z. Vor- u. Frühgesch., hrsg. v. Leonhard Franz.
1. H. RM 18—; geb. RM 20—.

Seit dem Erscheinen von V. J. Mansikka, Die Religion
der Ostslaven (F[olklore| F|ullow| Communications
Nr. 43, Helsinki 1921) wurde der Mangel einer
gleich gründlichen Arbeit über die Religion der Westslaven
von den Vertretern der Vergleichenden und der
Slavischen Religionsgeschichte und der Slavistik doppelt
schmerzlich gefühlt. Die im folgenden besprochene Ar-
bei von E. Wienecke hilft diesem Mangel in glücklichster
Weise ab. Daß der Verf. nicht von einer „Mythologie
", sondern nach dem Vorgang Mansikkas von einer
„Religion" der Westslaven spricht, wird S. 308 ff. gut
begründet, indem gesagt wird, daß wir von Mythen,
d. h. von sagenhaften, durch menschliche Phantasie erweiterten
und ausgeschmückten religiösen Begriffen bei
den Westslaven wie bei den Slaven überhaupt nicht das
geringste (ich möchte lieber sagen: nur Spuren) finden
können. („Mythos ist mehr Göttersage als Gottheit
selbst", S. 309). Als Westslaven bezeichnet der
Verf. S. X ff. lediglich die zeitweilig auf deutschem
Boden mitsiedelnden Slavenstämme einschließlich der
des böhmisch-mährischen Siedlungsraumies, während er
die von der Slavistik gewöhnlich ebenfalls zu den West-
slaven gerechneten Polen mit Mansikka den Ostslaven
zuweist. Diese Einteilung ist hier arbeitstechnisch notwendig
und selbstverständlich. — Der 1. Abschnitt „Quellenkunde
" behandelt neben den eigentlichen Geschichtsquellen
(Thietmar, Adam, Helmold, Ottobiographen U. s.
w.), die jetzt in der Quellenausgabe von K. H. Meyer,
Fontes Historiae Religionis Slavicae (Fontes Historiiae
Religionum, ed. C. Clemen, fasc. IV., Berlin 1931) bequem
zugänglich sind, auch die archäologischen Quellen
und das folkloristische und linguistische Material. Bei
der Kritik der schriftlichen Quellen wird der wichtige
Begriff der „Interpretatio Ecclesiastica" eingeführt. War
nämlich die Interpretatio Romana bzw. Graeca ein Mittel
, durch das die Römer bzw. Griechen in fremdvölkischen
Gottheiten ihre eigenen Gottheiten vorzufinden
glaubten und so deren Aufnahme in ihr Pantheon und
ihre Benennung mit heimischen Götternamen ermöglichten
, und war die Interpretatio Christiana nach H.
Achterberg jener Vorgang, der die heidnischen Glaubensgestalten
zu Wesen der Hölle degradierte, so ist
nach Wienecke die mittelalterliche Interpretatio Ecclesiastica
durch eine vielfach dem Alten Testament entlehnte
Betrachtungs- und Ausdrucksweise gekennzeichnet
, deren Formen und Formeln keineswegs immer Tatsächlichkeiten
und Wirklichkeiten zu entsprechen brauchen
. — Der 2. Abschnitt behandelt die Charakterzüge
der westslavischen Volksreligion auf Grund des literarischen
, archäologischen und volkskundlichen Materials.
Die in Betracht kommende Literatur hat der Verf. auch
hier wohl vollständig und mit großer Gründlichkeit und
Selbständigkeit benutzt. Eine Anmerkung dazu sei auf
den Schluß verspart. — Der 3. Abschnitt behandelt den
auffälligen Tempelkuilt der nördlichen Westslaven. Die
angebliche Vielköpfigkeit der nordwestslavischeni Götterbilder
wird als Irrtum der Chronisten erwiesen. Tempelkult
, Waffenverehrung, Pferdorakel, Trinkhorn, die reich
geschnitzten Tierhilder, die Verbindung von Recht und
Religion u. s. w. sind Züge, die ganz aus der sonstigen
geistigen und materiellen Kultur der Slaven herausfallen
und vom Verf. mit Recht auf restgermanische bzw.
wikingische Einflüsse zurückgeführt werden. Der eigentliche
slavische Glaube dürfte sich nach dem Verf. in
Naturkult, Polydämonismus und Magie erschöpft haben.
— Der 4. Abschnitt behandelt die „pseudoslavische"
Religion, d. h. die Phantasiegestalten eines Cernoboh
und Bieloboh, eines Flins, Krodo, Triglav u. s.w., die seit
den Zeiten des Humanismus bis in unsere Tage von
Chronisten und einfältigen Zeitungsschriftstellern teils
frei erfunden, teils aus irrigen Angaben alter Geschichtsschreiber
geschöpft wurden und leider auch heute noch
willige Drucker und Leser finden. Drei Anhänge (Zum
Problem der sogen. Babasteine; Die Sonderstellung der
Rügener und das Problem der Restgermanen; Bibliographie
zur pseudoslavischen Religion und älteren slavischen
l^cli^ionsforschung) sowie ein ausführliches Register und
31 gute Abbildungen und Karten beschließen die wertvolle
Arbeit. Bedauerlich sind bei einer so hervorragenden
Leistung die außerordentlich vielen Druckversehen.
Es scheint, als ob gar keine Korrektur erfolgt sei. Bei
einer späteren Auflage, die dem Buch sehr zu wünschen
ist, müßte der Korrektur, eventuell unter Heranziehung
sprachkundiger Kräfte, ganz besonderes Augenmerk gewidmet
werden. —

An Berichtigungen und Vorschlägen wird es der besprochenen Arbeit
nicht fehlen und jeder Kritiker wird sein besonderes Anliegen
vorbringen. Ich möchte hier nur auf einen, wie mir scheint, grundlegenden
Mangel hinweisen: Auf die Nichtbeachtung der urindo^erma-
nischen Religions- und Mythenforschung, wie sie der Indologe und
Iranist Prof. J. Hertel in Leipzig — mein verehrter Lehrer — an
Hand der vedischen, nachvedischen und avestischen Texte seit einer
Reihe von Jahren vorlegt. Gab es anfangs in der engeren Fachwelt
der Indologie und Iranistik noch Zögern und Widersprüche, so ist hier
jetzt wohl allgemein die Einsicht eingekehrt, daß Hertels Methode
der Textinterpretierung die einzig richtige ist; die einzige nämlich,
die es ermöglicht, die ältesten religiösen Texte von Völkern nordischen
Ursprungs so zu lesen, daß das gesunde Hirn keinen „Knacks" dabei
erleidet. Wenn Otto v. Boehtlingk, einer der größten Indologen, im
Vorwort zu seiner Ausgabe der Chändogya-Upanisad noch resigniert
sagen mußte: „Ein großer Qedanke geht durch das ganze Werk,
aber durch welch wunderliche, ja abgeschmackte Phantasiegebilde
so oft verunziert!" — so konnte Hertel (Die Methode der arischen
Forschung, Leipzig 1926, S. 13) mit vollem Recht dazu feststellen
(Sperrungen von ihm): „Das Wesen der arischen Religionen
im Ganzen wie im Einzelnen hatunsdiebisherige Forschung
nicht zu erschließen vermocht". Er konnte
aber a. a. O. auch die Gründe für diese traurige Tatsache angeben:
L) Mangel an Wirklichkeitssinn. Man mutete den arischen und vor-
arischeii Stämmen ein abstrahierendes und schematisierendes Denken
zu, wie es auf dem Boden uralter Bauern- und Kriegerkultur unmöglich
bestanden haben kann. 2.) Die voreilige Vergleichung mit
religiösen Vorstellungen bei Völkern ganz anderer Rassen, die
zu ganz anderen Zeiten, unter ganz anderen klimatischen und sonstigen
Verhältnissen gelebt haben. Voreilig und daher irreführend
ist eine solche Vergleichung, solange nicht die indischen und iranischen
Anschauungen unter sich, dann aber auch beide zusammen mit dem
gesamten nordisch-indogermanischen Überlieferungsschatz erschöpfend
verglichen worden sind. (Diese Forderung entspricht genau
der Methode der Vergleichenden Indogermanischen Sprachwissenschaft).
Statt das zu tun, begnügte man sich bis in die neueste Zeit mit gefährlichen
Übersetzungen wie „Himmel", „Gott", „Paradies"; „Teufel
", „Religion", „Heiligkeit", „Seligkeit"; „Buße"; „Askese" u.
dgl. und fand dann sofort die „Entsprechungen" in den antik-christi-
lichen oder — besonders nach dem Vorgang des Juden Oldenberg —
in den jüdisch-vorderasiatischen Vorstellungen und Begriffen. Ganz im
Banne dieser „klassischen" Vergleichenden Religionswissenschaft lehnt
nun Wienecke S. 171 die Arbeit von Otto Huth, Janus, Ein Beitrag
zur altrömischen Religionsgeschichte (Bonn 1932) ab und ruft als