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Ausgabe:

1941

Spalte:

147

Kategorie:

Kirchengeschichte: Reformationszeit

Autor/Hrsg.:

Walter, Johannes von

Titel/Untertitel:

Die Theologie Luthers 1941

Rezensent:

Hirsch, Emanuel

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147

Theologische Literaturzeitung 1941 Nr. 5/6

148

Walter, Johannes v.: Die Theologie Luthers. Gütersloh: C. Ber-
tersmann 1940. (IX, 305 S.) gr. 8". RM 9—; geb. RM 11 —

Gliederung: Einleitung. — Luthers Aufgaben in der Geistesgeschichte
des Christentums. — I. Luthers Gottesanschauung.
(1. Die Furcht vor Gott. 2. Der gnädige Gott. 3. Deus absconditus
und revelatus. 4. Der dreifaltige Gott.) — II. Luthers Erlösungslehre
. (1. Die Erlösungsbedürftigkeit des Menschen. 2. Der Zweck
des Gesetzes. 3. Die Rechtfertigung nicht aus Werken. 4. Christi Person
und Werk. 5. Die Rechtfertigung allein aus dem Glauben.) —
III. Das christliche Leben nach Luther. (1. Die sittliche Triebkraft
des Glaubens. 2. Luthers Lehre von der Kirche. 3. Kirche und
Staat. 4. Das weltliche Regiment.) —

Joh. v. Walter s' Werk ist post'hum herausgegeben
. Bei ihm handelt es sich schlecht und recht um
ein Vorlesungsmanuskript. Noch dazu — was den Herausgebern
entgangen ist — um ein unvollständiges.
Job. v. Walter hat den Stoff in der gegebnen Anzahl
von Vorlesungsstunden nicht bewältigen können. Von
den drei Hauptteilen sind nur die beiden ersten! wirklich
behandelt. Der dritte ist eine flüchtige Skizze von
32 Seiten. Lehre von der Schrift, von den Sakramenten,
von den letzten Dingen fehlen ganz. Es ist nicht Schuld
des Verfassers, daß dies unvollendete Bruckstück unter
dem unzutreffenden Namen einer Theologie Luthers erscheint
.

Hält man sich an das, was geboten wird, so darf
man wohl sagen: es ist eine auf irgendeine tiefere Eigentümlichkeit
der Auffassung nicht Anspruch erhebender,
sie jedenfalls aber nicht erreichender Bericht über Luthers
Aussagen zu den Themen der beiden ersten Teile
und über die hinsichtlich ihrer geltend gemachten Meinungen
der Forschung. Die Darstellung ist breit, nicht
begrifflich scharf. Die zahlreich eingestreuten Lutherworte
werden, wo es sich um Vorlesungen oder Predigten
handelt, häufig in der verunechteten Form der alten
Bearbeiter und Herausgeber geboten. Man kann nicht
einmal sagen, daß dies dem Werke geschadet habe.
Denn bei dem Zwecke der pädagogischen Einführung
ohne eigentliche Absiebt selbständigen neuen Durchdenkens
des Stoffs sowie bei der lässigen Art, mit der
die Zitate — Gott allein weiß, nach welchem Verfahren
und welchen leitenden Gesichtspunkten — aufgerafft
worden sind, kam es auf den genauen Wortlaut nun
wirklich auch nicht mehr an.

Das alles ist nicht zur Unehre von Joh. v. Walter
gesagt. Es liegt im Wesen des kirchengeschichtlichen
Unterrichtsbetriebes, daß der akademische Lehrer auch
über die Fragen und Gegenstände reden muß, in denen
er nicht selbständiger Forscher ist und nur Notprodukte
bieten kann. Aber es liegt nicht im Wesen der Wissenschaft
, daß solche Notprodukte nun auch gedruckt werden
müssen. Weder der Forscher noch sonst wer kann
vom diesem Werke irgendeinen Nutzen haben. Die Herausgeber
haben dem Andenken Joh. v. Walters keinen
guten Dienst getan.

Göttingen E. H irsch

KIRCHEISGESCHICHTE: NEUERE ZEIT

Benz, Ernst: Der vollkommene Mensch nach Jakob Böhme.

Stuttgart: W. Kohlhammer 1937. (XII, 202 S.) gr. 8°. RM 7.50.

Baden, Hans Jürgen: Das religiöse Problem der Gegenwart bei
Jakob Böhme. Leipzig: J. C. Hinrichs 1939. (135 S.) gr. 8°. RM 4.80.

Unter den zahlreichen philosophischen und theologischen
Problemen, in der Lehre Jakob Böhmes, die noch
der genauen Untersuchung harren, hat Benz einen
eigentümlichen Gedankenzusammenhang herausgegriffen,
der bei der Lektüre Böhmes besonders stark in die
Augen fällt: die Schilderungen des urgeschichtlichen Ur-
und Endmenschen und das darauf begründete Liebesverhältnis
der Seele zur jungfräulichen Sophia. Es handelt
sich also nicht, wie der Titel vermuten lassen könnte,
um eine ideale oder auch eine reale Anthropologie Böhmes
, die eine viel umfassendere (und sehr schöne) Aufgabe
wäre, sondern um eine Teilfrage, „das Problem

j der Androgyne und seine Lösung in der mystischen

) Theologie Böhmes" (S. VIII). Die „Vollkommenheit"
wird nur so weit beschrieben, als sie durch die Leitidee
begrenzt ist, d. h. nur im Rahmen dieser doppelschiich-
tigen, natürlich-übernatürlichen Physiologie, des daraus
erwachsenden Verhältnisses von Leib und Geist und
seiner Wirkung auf Böhmes Mystik. Das ganze weite
Feld der inneren Vollkommenheit, der Wiedergeburt,

I des neuen Lebens, des befreiten Willens, der Gelassenheit
und der Weisen des sittlichen Verhaltens usw. wird
nicht berührt. Man muß diese Einschränkung beachten,
da sonst die Gefahr besteht, daß man sich angesichts
der Schwierigkeiten, welche die Lektüre der Schriften

. Böhmes bietet, bei der Zeichnung von Böhmes Menschenbild
nur auf das von Benz zusammengetragene
Material stützt.

Benz folgt den Linien der Böhmescben Metaphysik von den
verborgenen Tiefen Gottes, dem Nichts, dem „Ungrund", über seine
' Verleiblichung im „Gegenwurf", im Bilde, bis zu der für diese Zu-
i sammenhänge entscheidenden Gestalt der Sophia, der Offenbareriii der
göttlichen Geheimnisse. Sie ist — ganz spätjüdisch-gnostisch — die
' eigentliche Meisterin der Schöpfung, indem sie die innere Entzweiung
: der Ureinheit Gottes in der Schöpfung verewigt. Besonderen Wert
legt Benz mit Recht darauf, daß sich diese Scheidung und Vergegen-
I ständlichung in der Kategorie des göttlichen „Blickes" vollzieht (die
j einmal eine gründliche religionsgcschichtliche Untersuchung verdiente
). Die Sophia, Gottes Gespielin und „Gegemvurf", ist zugleich ein
Bild der Urgestalt des Menschen. Aus ihr hat der Mensch seine
„himmlische Leihlichkeit", eine ursprüngliche androgyne Einheit, die
als Sehnsucht in der menschlichen Entzweiung lebendig geblieben ist.
Ihre Hochzeit mit der Seele des Menschen ist das Mysterium, zu dem
Böhme anleitet. Die Physiologie des Urmenschen, der über die sinn-
■ liehen Lebensformen erhaben ist, macht das Sehnen und die Scham
! verständlich, mit der der irdische Mensch sich in dieser Welt der
Sinne bewegt. Die geschlechtliche Vereinigung ist — wie Böhme in
! einem Gleichnis (nicht einem „Mythos" S. 7(J) tiefsinnig ausmalt —
; der Griff durch den Zaun des Paradieses, um die Frucht der verlor-
j nen Einheit zu erhaschen; aber vergebens, der Lust folgt die Unlust,
] und die Begierde bleibt. Die Bedeutung der Schani bei Böhme dargelegt
zu haben, halte ich neben anderen, z. T. schon bekannteren
Zügen mit für das Wertvollste an Benz's Buche. Nur würde ich nicht
I von einer „Metaphysik der Scham" sprechen; das überschreitet den
j strengen Begriff, da die Schani nicht wie die oft genannte „Meta-
| physik des Gegensatzes" bei Böhme konstruktive, die Wcltwirklichkeit
ableitende Bedeutung besitzt. — Die Sophia ist in reiner Gestalt in
Maria erschienen, der Urmensch im Menschgewordenen. Seine Erlösung
ist zugleich eine Oberwindung der menschlichen Zweiung und
führt uns in der Auferstehung wieder in die androgyne Einheit zurück.

Die Methode des Buches ist rein beschreibend. In
! lockerer Folge werden synonyme Begriffe bei Böhme
und lange Zitate aufgereiht, sodaß es auf weite Strecken
mehr Lesebuch als Untersuchung ist. Dadurch hat man
das Material in sehr bequemer Weise zur Hand, wünschte
sich aber doch in viel höherem Maße eine wirkliche
! Interpretation. Nicht alle Zusammenhänge werden zu
! voller Klarheit erhoben. Die Frage nach der historischen
Ableitung des ganzen großen Sophia- und Androgyn-
Komplexes hat Benz in seine Darstellung leider überhaupt
nicht einbezogen. Auch einzelne Hinweise auf
ideengeschichtliche Zusammenhänge begegnen selten. So
könnte das Buch den Eindruck erwecken, als handele es
sich um eine im wesentlichen selbständige Konzeption
Böhmes, während wir doch hier vor dem stärksten Einbruch
der Kabbala in sein Denken stehen. Böhme ist
I hier viel weniger als in anderen Bezirken seiner Meta-
| physik Quelle, sondern Staubecken. So ist es zur vollen
! Würdigung dieser Gedanken unerläßlich, die ausgezeich-
| nete, dicht gearbeitete Untersuchung von Ernst Ludw.
j Dietrich, Der Urmensch als Androgyn (ZKG 58, 1939,
S. 297—345) heranzuziehen. Düren eine Anfrage von
j Benz angeregt, verfolgt Dietrich dort den zähen Fluß
| der Leitmotive durch Griechentum, Judentum, iranische
I und gnostische Religion, Kabbala, Kirchenväter, Islam
bis zu Böhme und über ihn hinaus. Bei einem genauen
Vergleich des Böhmeschen Bildes vom andtogynen Men-
1 sehen (in Verbindung mit der hellenistisch-jüdischen Sophia
-Lehre) dürfte sich wohl kaum ein wesentlicher Zug
| als original herausstellen. Das gilt sogar für eine Ein-