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Ausgabe:

1941

Spalte:

146

Kategorie:

Kirchengeschichte: Reformationszeit

Autor/Hrsg.:

Schröteler, Josef

Titel/Untertitel:

Die Erziehung in den Jesuiteninternaten des 16. Jahrhunderts 1941

Rezensent:

Hashagen, Justus

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Seite 1

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Theologische Literaturzeitung 1941 Nr. 5/6

146

Rechtfertigung, in das Licht dessen, was Luther über
Zeit und Zeitliehkeit sowie über Gottes Ewigkeit zu
sagen hat. Er legt dabei das Wort aus dein Jacobus-
brief „Voluntarie genuit nos verbo veritatis, ut essemus
initium aliquod creaturae eius" zugrunde, ein Wort,
dessen häufiges Vorkommen bei Luther man ob seinem
bekannten Urteil über den Jacobusbrief, wiie der Verf.
hervorhebt, nicht vergessen darf — eins der Lieblingsworte
Luthers.

Luther schließt sich an die bekannten Erörterungen
Augustins über Gegenwart, Vergangenheit, Zukunft und
das Nunc aeternum an, ist aber weniger an den spekulativen
Problemen als vielmehr an deren praktischer Seite
interessiert, wie er denn auch gleich für den Begriff
tempus die vita, das menschliche Leben, einsetzt, und
mit der Aufnahme jener Gedanken über die Zeit „konkrete
Lebenswirklichkeiten" ins rechte Licht der Ewigkeit
stellen will. Aber auch für Luther ist vor Gott die
Zeit, die nach Menschenmaß in jene 3 Zeiten auseinanderfallt
, ein Simul. Für uns liegen Initium (der Hauptbegriff
jener Bibclstelle, deren Auslegungsgeschichte
übrigens der Verf. in einem eigenen Kapitel behandelt)
und Perfectio auseinander, für Gott nicht — ein Tatbestand
, aus dem bekanntlich bereits Holl Folgerungen für
die Darstellung der Rechtfertigungslehre gezogen hat.
Der Verf. geht freilich anders vor.

Wenn nun für Gott die Zeit ein Simul ist, und wir,
sofern seine Offenbarung uns und wir ihr zugewandt sind,
ebenfalls aus der Zeit herausgenommen und mit Gottes
Ewigkeit verbunden sind, so entsteht die Frage sowohl wie
der Mensch in der Zeit um jene „Zeit" Gottes wissen, als
auch, wie er um seine eigene menschliche Zeit wissen
kann. Nun, eben durch das große Heute der Geburt,
zumal auch der Taufe, Christi, und dadurch, daß wir
durch den Glauben an es Initium, Anfang, Erstlinge
der Nova Creatura Gottes werden!

Es mag hier gleich der durchgehende Nachweis des
Verf.s unterstrichen sein, daß Initium nicht als das erste
Stadium eines dann perfektionistisch verlaufenden Prozesses
zu verstehen ist, sondern als Ausdruck für das
Erdenleben des Christen überhaupt, dem erst dereinst
die Perfectio folgt. Perfectio ist ein eschatologischer
Begriff. Nam qui coepit, ille non putat se esse Chri-
stianum, sed valde cupit se fieri Christianum (90) — ein
Wort übrigens, das der heute üblichen Entfaltung der
ganzen Theologie aus dem „Christsein" gegenüber zur
Vorsicht mahnt. Und auch dort, wo das Eschatologische
persönlich und praktisch werden soll, im quotidianus
adventus Christi, qui spiritu fit, handelt es sich um die
Gabe der primitiae (91).

Der Verf. zeigt dann weiter auf, wie das Initium, das
von dem Simul und der Ewigkeit Gottes her zugleich
den Charakter einer dauernden Gabe hat (wiewohl sie
niemals bloßer Besitz ist), mit der Remissio zusammen
gehört — die Perfectio dagegen mit der Promissio, der
auf der menschlichen Seite die Spes entspricht. Remissio
und Promissio vereinigen sich, für Gott zusammenfallend
, zu der Führung unseres zeitlichen Lebens durch
Gott, die in dem Heute der Erscheinung Christi
allein durch den Glauben als Rechtfertigung ergriffen,
und — gerade im Blick auf die Ewigkeit des Werkes
Gottes — gegen den Beitrag der guten Werke des Menschen
abgegrenzt wird. Angesichts der Tatsache, daß wir
uns, in der Abkehr von Gott, gerade in der Zeitlichkeit
verfangen und über der Vergangenheit und der Zukunft
die Gegenwart verlieren oder umgekehrt, — ist die
Justifkatio als gleichsam „richtig gemachte" Zeit, vor
allem als vergebene „unrechte Zeit" zu verstehen (77).
Das „neue Leben" ist dann nicht ein „zweites, besseres"
Ich über einem alten, sondern der Ausdruck für das beständige
gnädige im Glauben erfaßte Handeln Gottes in
Christo mit dem Menschen (88), bezw., das „zeitliche
Fortschreiten des Christen unter der gnädigen Führung
Gottes von der Taufe bis zur Auferstehung". Auch es
steht, wie unser ganzes Ich und Sein unter dem be- !

kannten Luthersehen Ausdruck „Fieri" (ebd.). So sind
Initium und Perfectio nicht „Maßbegriffe", sondern
„Zeitbegriffe", ebenso wie vetus homo und novus homo
das sind, und zwar unter dem Zeichen, daß Gottes Ewigkeit
sich im Heute Christi in die Erdenzeit und ihre
Schuldverstrickung hinabneigt und dem Menschen seine
Zeit wiedergibt. Als neue Kreatur ist sie zugleich Kampf
bis zum Ende.

Von dem allen aus gesehen kann es zu der unfruchtbaren
Fragestellung: entweder „forensisch" oder „effektiv
" in der Rechtfertigungslehre nicht kommen, und es
muß doch — das ist das Bemerkenswerte — bei
der sola fides und der gratia als remissio bleiben
. Ebenso muß das Problem „Simul justus et
peccator" sich angesichts des Initium Gottes, durch
das wir bestimmt werden, und z u dein wir wiederum
bestimmt werden, erheben. Es wird vom Verf., ebenso
wie das Problem des Ichs und des totus homo gut und
klar aufgegriffen („die Geschichte des ,Ich' in der Zeit
als Geschichte zum Ich durch die Zeit hindurch" 98) und
gleich den Fragen um Wille, Freiheit und Cooperatio in
prägnanten Formulierungen dem Gesamtzusammenhang
eingeordnet.

Obiges Referat soll zeigen, daß ich die gründlich aus
den Quellen gearbeitete Abhandlung im Interesse einer
bewußt um das Zentrum von Luthers Theologie kreisenden
Lutherforschung freudig begrüße. Es mag dahingestellt
bleiben, ob die eschatologische Fassung des Pro-
missio-begriffes seinem Inhalt voll gerecht wird, ferner
ob das Verhältnis von Sünde, bzw. Schuldverstrickun^,
und Zeitlichkeit ganz geklärt, und, zusammenhängend damit
, ob die Einmaligkeit der irdischen Zeit die volle
positive Würdigung, ganz erfahren hat, die ihr gebührt.

Die m. E. voll ertragreiche Studie stellt zugleich das
methodische Problem zur Debatte, inwieweit die theologische
Arbeit an Luther hermeneutisch zu orientieren
ist. Ich halte das Verfolgen eines oder weniger bedeutsamer
Bibelworte durch die mancherlei Felder ihrer
Citation hindurch für recht lohnend.

Greifswald R. Hermann

Schröteler, Josef, S. J.: Die Erziehung in den Jesuiteninternaten
des 16. Jahrhunderts. Dargest, auf Grund ungedruckter u.
gedruckter Quellen. Freiburg/Br.: Herder & Co. 1940. (XXII, 544 S.)
gr. 8°. RM 16 — ; geb. RM 18—.

Unter den Jubiläumsschriften zur Erinnerung an
Papst Pauls III. Jesuitenbulle Regimini Militantis Ec-
clesiae vom 27. Sept. 1540 wird das vorliegende Werk
einen bevorzugten Platz einnehmen. Trotz der Papiernot
ist darin ein riesenhaftes Material zusammengetragen
und übersichtlich gegliedert. Das Streben des Verfassers
nach Sachlichkeit ist bei aller Neigung zu apologetischer
Tendenz doch zu groB, als daß er billige Lobsprüche
austeilte. Sein Hauptverdienst liegt vielmehr
darin, daß er die Problematik der Jesuiteninternate für
Laien von allen Seiten beleuchtet, wie es schon von den
alten Jesuiten in ausgiebiger Weise geschehen ist. Sie
haben sich ihre unermüdliche Erziehungsarbeit wirklich
nicht leicht gemacht und alles Einschlägige immer wieder
auch theoretisch erörtert. Schon damit erheben sie sich
weit über die mittelalterlichen Internate mit Einschluß
der Pariser, in denen sich einzelne jesuitische Führer
selbst aufgehalten hatten. Auffallend wenig ist vom klassischen
Altertum die Rede, so daß sich keine Gelegenheit
bietet, die alte Frage nach dem Charakter des
jesuitischen Humanismus von neuem zu erörtern. Ein
besonderer Vorzug der Arbeit liegt endlich darin, daß
sie einen vollkommen internationalen Rahmen wählt und
darin viele wertvolle Mitteilungen über die einzelnen Internate
macht. Die Geduld des Lesers wird durch die
überreiche Fülle des Gebotenen wohl bisweilen auf die
Probe gestellt. Aber zugleich wird er doch auch entschädigt
, da sich immer wieder Anlaß findet, das allgemeine
Jesuitenbild aus diesem Massenmatcrbl zu ergänzen
und zu bereichern.

Malente (Holstein) Justus Hashagen