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Ausgabe:

1941

Spalte:

139-142

Kategorie:

Religionswissenschaft

Autor/Hrsg.:

Weinert, Hans

Titel/Untertitel:

Der geistige Aufstieg der Menschheit 1941

Rezensent:

Buehler, Johannes

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Theologische Literaturzeitung 1941 Nr. 5/6

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göttliche Herrin mit sich geführt haben könnten, so muß man sich
doch fragen, wie sie denn damals gedacht gewesen sein soll, als sie i
sich noch nicht in ihrem eigentlichen Wesen manifestiert hatte. Auch
mit vorgriechischen Vorgängern griechischer Gottheiten wird gerech- i
net, so wenigstens bei der sizilischen Demeter und bei Trophonios j
(der als solcher der von den Boiotiern aus Thessalien mitgebrachte
Asklepios sein soll), aber auch diese Prähellenen bleiben im Grunde
eine quantite negligeable. Denn von solchen etwaigen Vorstufen abgesehen
, läßt die Verf. die verschiedenen Göttervorstellungen immer [
mit einem Schlage in ihrer ganzen Komplexität aus dem Eindruck
bestimmter Landschaften entstehen; in dieser Annahme einmaliger und
endgültiger Intuitionen berührt sie sich nahe mit der Richtung W. F. i
Ottos, von dem sie auch direkt beeinflußt ist (vgl. übrigens K. Kerenyi,
Apollon 102 ff., s. d. Ztschr. 1038, 213).

Zu den prinzipiellen Schwierigkeiten, in die die Verf. mit dieser
ihrer scharfen Pointierung des Verhältnisses von Gott und Landschaft j
geraten mußte, kommt nun das Unsicherheitsmoment, das in der Sub- |
jektivität der Empfindung des Betrachters liegt. So wird aus der I
Milde der Gegend von Rhaminus das Wesen der Nemesis interpretiert, j
und zwar unter der Voraussetzung, daß sie chthonischer Natur war; [
wie aber, wenn sich herausstellt, daß sie auch dort die strenge Göttin J
der Vergeltung gewesen ist (s. Pauly-Wissowa s. v. Nemesis; d. Ztschr. j
1939, 245 f.)? Recht vage muß auch die Behandlung etwa der Hera
erscheinen, deren Beiname 'Aoyela. übrigens die Herrin von Argos
und nicht appellativ die Herrin der „Ebene" (so S. 41; vgl. Strahu
p. 371/2) bedeutet. Am konkretesten stellt sich, wie zu erwarten,
der Zusammenhang von Lokalgottheiten wie des Trophonios mit ihrer
Landschaft dar, aber auch Apollons innere Verwandtschaft mit Delphoi
und Delos tritt anschaulich hervor. Und doch ist dieser Gott wenigstens
in Delphoi nicht alteingesessen und hat sich zunächst wohl nur
deshalb dort angesiedelt, weil er das Orakel der Gaia fortsetzen konnte
, nicht anders als im Ptoon das des Heros Ptoos, obwohl sich dort
sein Wesen nicht so ausprägen konnte wie am Parnass. So viel freilich
wird der Verf., deren Ausführungen von schönen Bildtafeln nach
eigenen Aufnahmen (leider nicht auch von einer Karte) unterstützt }
werden, sicher jedermann zugeben, daß eine von auswärts kommende
Gottheit sich eine ihr besonders adäquate Gegend „erwählen" konnte, i
und in manchen Fällen wird man auch vermuten dürfen, daß eine I
Landschaft sogar zur Ausgestaltung und Intensivierung einer Göttervorstellung
beigetragen hat, wie z. B. Apollon an reiner Klarheit und j
unnahbarer Größe In Delphoi gewonnen haben könnte; und wer wollte
sich darüber hinwegtäuschen, daß man eine Gottheit nur dort am tiefsten
erlebt, wo sie zu Hause war!

Bonn Hans H e r t e r

Weinert, Prof. Dr. Hans: Der geistige Aufstieg der Menschheit
vom Ursprung bis zur Gegenwart. Stuttgart: Ferdinand Enke
1940. (VIII, 300 S. mit 155 Abb.) gr.8°. RM 19,— ; geb. RM 20,80.
Nach einigen einleitenden und methodologischen Bemerkungen
schildert W. zunächst „geistige Leistungen
heutiger Affen und Menschenaffen" aufgrund von fremden
und eigenen Beobachtungen, Ergebnis: Die Anthropoiden
stellen „auch heute noch geistig eine Grundlage
dar, die es uns ermöglicht, vor unserem geistigen Auge
das Ereignis des Menschwerdens wieder aufleben zu
lassen". W. berührt dann auch kurz die körperliche Her- !
kunft des Menschen, er hat wohl mit den heutigen Menschenaffen
den Ausgangspunkt gemeinsam, stammt aber
nicht unmittelbar von ihnen ab. Die Menschwerdung
selbst ist eine geistige Tat. Indem menschenähnliche
Affen sich bewußt des Feuers bedienten, taten sie den
ersten Schritt zur Menschwerdung. W. verfolgt dann i
Schritt für Schritt die weitere geistige Entwicklung in I
der Alt- und Jungsteinzeit und in den Metallzeiten bis an |
die Schwelle des klassischen Altertums. Damit ist für
W. sein Thema, soweit es die Vergangenheit betrifft, !
erschöpft, denn das klassische Altertum hat nach W. kei- j
ne eigentlichen Neuerungen mehr gebracht, sondern nur
„einen feinen und geistigen Ausbau der Kulturen des östlichen
Mittelmeers". Grundlegend Neues für die geistige
Entwicklung bringt erst wieder „das Zeitalter der Technik
". Wie herrlich weit wir es in diesem unserem
Zeitalter gebracht haben und welche noch herrlicheren i
Zukunftaussichten es bietet, legt W. auf sieben Seiten
dar. Aber es ist „leider nicht möglich, die letzte und
steilste Stufe des geistigen Aufstiegs ohne bedauernde
Einschränkungen zu betrachten". Den geistigen Aufstieg
des Menschentums haben in altersgrauer Vorzeit
Magie und Kult gehemmt, dann hemmte ihn und hemmt

ihn immer noch das Christentum. Es „soll natürlich nicht
geleugnet werden, daß der Aufstieg des menschlichen
Geistes auch durch das Christentum seine Bereicherungen
erfahren hat. Aber wie würde dieser Aufstieg wohl
ausgesehen haben ohne die Hemmungen, die die Religionslehre
auferlegt hat". Das liegt freilich weniger am
Christentum selbst, als daran „was die Vertreter der
Kirche daraus gemacht haben". Ein Schlußkapitel faßt
den Hauptinhalt des Buches zusammen und setzt sich
noch einmal mit dem Christentum und insbesondere
mit der katholischen Kirche auseinander.

Für den Religionsforscher ist Weiuerts Buch deshalb
von Wert, weil darin das v o r g e s c h i c h 11 i c h e Fund-
material und damit auch das sich auf Religiöses beziehende
, mit einwandfreier sachlicher Kritik in flüssiger,
leichtverständlicher Sprache vorgelegt und untersucht
wird. In Fällen, in denen, wie das bei dem lückenhaften
und vieldeutigen Material oft nicht anders möglich ist, zu
Hypothesen gegriffen werden muß, halten sich diese
immer im Rahmen des Möglichen. Der Leser darf
dabei freilich nicht vergessen, daß das Mögliche nicht
immer das Wirkliche ist. So kann sich z. B. der menschliche
Intellekt sehr gut am Feuer entzündet haben, wie
das hier anschaulich geschildert wird, aber es sind da
auch noch andere Möglichkeiten denkbar. Außerdem
verleitet die Beschränkung auf die Bodenfunde, auch
wenn man sie mit Zuständen der noch jetzt lebenden
Naturvölker vergleicht, leicht zu einseitigen Urteilen. So
wird, wie schon vor 2000 Jahren in des Lukrez „de
rerum natura", die Entstehung der Religion ausschließlich
auf die Furcht, auf Träume und das Wirken der Priester
zurückgeführt. Ganz abwegig ist es, den Griechen
nur den Ausbau der Kulturen des östlichen Mittelmeeres
zuzuschreiben. Die Griechen haben gerade für den ge istigen
Aufstieg der Menschheit absolut Neues geschaffen
. Weinert beginnt sein Werk: „Ev rWfl ijv 6 Wyo?',
und übersetzt „Im Anfang war die logische Folgerung
— die Kausalität". Vor den Griechen gab es noch
keine logische Folgerung, keine Wissenschaft, keine Bildung
im modernen Sinne (siehe hierüber z.B. W.Jäger
„Piatos Stellung im Aufbau der Griechischen Bildung"
in „Die Antike" IV, Berlin 1928 und H. H. Schäder
„Der Orient und das griechische Erbe" im gleichen Bande
). Die Antike wurde allerdings vom „Zeitalter der
Technik" in den Naturwissenschaften so weit überholt,
daß die Bedeutung der Antike für diese leicht übersehen
werden kann. Aber selbst die Naturwissenschaften sind
der Antike, wenn auch nicht in demselben Ausmaße wie
die Geisteswissenschaften, verpflichtet; denn auch die
Naturwissenschaften kommen nicht ohne begriffliches
Denken aus, dieses ist aber „von allen abendländischen
Völkern nach dem von den Griechen geschaffenen Vorbild
ausgeformt" worden (Schäder), und dann weil insbesondere
die Alexandriner in ihrem naturwissenschaftlichen
Forschen die von Weinert als eine Errungenschaft
unserer Tage gerühmte „Einsicht in das Wesen der Dinge
" besaßen, die „Abstraktion vom Ich als Subjekt"
und „die Erforschung der Natur unter Befreiung vom
engen Standpunkt menschlicher Bedürfnisse und Meinungen
" übten. Dieser echte Forschergeist und viele seiner
Ergebnisse sind allerdings im späten Alexandrincitum
zum sehr großen Teil wieder verloren gegangen, und
die Römer haben ihn nie besessen, aber manches davon
hat sich doch in die Neuzeit hinübergerettet. Es ist kein
Zufall, daß die Anfänge der modernen Naturwissen schaff
aufs engste mit der „Wiedergeburt der Antike", mit der
Renaissance und mit dem Humanismus, zusammenhängen
. Ein Kopernikus hat z. B. seine weltgeschichtliche
Entdeckung primär nicht als Astronom, sondern als Humanist
gemacht, der bei Cicero auf die Spuren des
Aristarch stieß und sich bei seinem Denken und Forschen
von Grundsätzen des „klassischen Altertums" leiten ließ.
Gerade der Kirche der Spätantike und des frühen Mittelalters
aber verdankt Europa, daß es während der Völkerwanderung
den Zusammenhang mit dem antiken Gei-