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Ausgabe:

1941

Spalte:

106-107

Kategorie:

Systematische Theologie: Allgemeines

Autor/Hrsg.:

Kliefoth, Maria

Titel/Untertitel:

Erleben und Erkennen 1941

Rezensent:

Rolffs, Ernst

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Theologische Literaturzeitung 1941 Nr. 3/4

den Unterschied von Gemeinschaft und Gesellschaft j In dieser Ich-Auffassung vertritt Fichte die Grund

herausgearbeitet, Heidegger hat die Philosophie der : Stimmung der Dichter und Denker des klassischen Idea-

Gemeinschaft in eine Ontotogie des Menschen eingebaut. hsmus, die aufwühlende Spannung den WidersDrucfo

weischedel zeigt, wie das Gefühl der Geborgenheit, I des Endliehen und Unendlichen im Wesen des Men-

Traulichkeit und Verbundenheit auf einen sachhaltigen sehen. Wie bei Hölderlin des Herzens Wöe« nur

i>inn im Begriff der Gemeinschaft hinweist. Die Ge- ] deshalb so schön emporschäumt, weil der Stumme Fels

meinschaft wird für den Menschen nur dann das Tra- : des Schicksals ihr entgegensteht, so versteht sich der

gende und Haltende, wenn er selber sie mitträgt und Mensch bei Fichte als frei, absolut, zugleich aber als

mithält. Die Gemeinschaft ist „diejenige Form des Mit- I ",n,rreI1- beschränkt durch einen Widerstand ein Nicht

einander, die durch Hingabe der einzelnen entsteht : ,cn- den Anstrengungen dazu, dieses Widerspruches in

und getragen wird und in der die einzelnen wiederum 1 einer Synthese Herr zu werden, enthüllt sich die »anze

Halt und Geborgenheit haben" (2). Über den Bereich j Fülle *ind Tiefe menschlicher Art. Die Aufgabe des

Phänomenologischer Klärung hinaus ist die Frage nach , 2. Teils der Untersuchung erblickt der Verfasser darin

der Gemeinschaft philosophisch eine Wesens- und Ur- ' ' wpsenhaftp VpTklammpnin,a «rw, f™;^;* „„h r.J

Sprungsfrage.

Wenn man seinen Blick auf die Behandlung der Ge-
meinschaftstrage bei Fichte richtet, so denkt man wohl
zunächst an den späteren Fichte, den Redner an die
deutsche Nation und Verfasser der verwandten volkstümlicheren
Schriften, in denen der Gedanke der Gemeinschaft
im Vordergründe steht. Dagegen gelten die
Schriften des jüngeren Fichte, die sich an den ersten
Entwurf der Wissenschaftslehre anschließen, etwa 1793
"'s 99, als außerordentlich abstrakt, streng theoretisch
Und lebensfern; zudem sind sie offenbar stark von der
Aufklärung und ihrer Betonung des Einzelmenschen
beeinflußt. Daß an dieser Schau etwas Richtiges ist, wird
nun von dem Verfasser zwar nicht in Abrede gestellt;
W der Hauptsache aber wird diese Betrachtungsweise
von ihm geradezu umgekehrt. Dem Gerne in schaftsgedau-
*en des späteren Fichte fehle die ontologische Begründung
; es werde undiskutiert der metaphysische Grundsatz
von der Priorität des Ganzen vor den einzelnen Teilen
zugrunde gelegt. Der junge Fichte dagegen fasse das
Problem der Gemeinschaft in einer Ursprünglichkeit, wie
«8 seit Piaton und Aristoteles nicht mehr geschehen sei.
Er verstehe es nämlich ontologisch, als verwurzelt
mit der Frage nach dem Wesen des Menschen. Sehr
zu Unrecht gelte die erste Wissenschaftslehre als ein
abstraktes, lebensfernes Buch. Es sei vielmehr geladen
von jener Energie und Entscheidungsforderung, welche
das Kennzeichen aller echten und damit lebensnahen Philosophie
sei.

Bei der Durchführung dieser zunächst als paradox

die wesenhafte Verklammerung von Freiheit und Gemeinschaft
aufzuweisen, zu zeigen, „daß der Mensch»
nicht Mensch sein kann, es sei denn, er wäre Mensch in
der Gemeinschaft, und daß sein Wesen den Aufbruch
der Freiheit zur Gemeinschaft fordert." (XV) Hier werden
besonders herangezogen § 3 der „Grundlage des
Naturrechts" von 1796/7 und § 18 des „Systems der
Sittenlehre" von 1798. Den Einzelausführungen, wie
sich aus jener ersten Konception des Ich das Miteinander
und die Beziehung der Menschen zueinander
ergibt, kann hier nicht nachgegangen werden. Sie werden
begleitet von kritischen und durchweg überzeugenden
Auseinandersetzungen mit früheren Fichtelorschern
wie Kroner, Lask, Scheler, Hirsch.

Zum Schluß sei eine kritische Bemerkung zu dem
Gesamtetitwurf des scharfsinnigen und ungewöhnlich
fördernden Buches erlaubt. Die innige Vcr.dammerung
von Individuum und Gemeinschaft kann erst da erfaßt
werden, wo die konkreten Gemeinschaften selber wie
auch die einzelnen Individuen als besondere und ursprüngliche
Ausprägungen des Göttlichen erkannt werden.
Das geschieht nicht bei dem jungen Fichte, welcher der
Aufklärung und ihren Allgemeinheiten verhaftet bleibt;
wohl dagegen bei dem Fichte der „Anweisung" und
der „Reden", wie in klassischer Weise bei Schleiermar
eher in den „Monologen." Bei dem jüngeren Fichte ist
wie bei Schiller das Individuelle immer irgendwie etwas
Eingeschränktes, Negatives, dagegen bei Goethe, Novalis
, Schleieimacher, überhaupt in jener ganzen vom
Pietismus befruchteten Strömung des deutschen Idealismus
etwas Positives, Beglückendes, Schöpferisches.

Zugegeben, daß die Gemeinschaftsauffassung des spä-
+0.-0.« cv.t,±~ „:-- v/---1------ ----- j-_ ^

anmutenden These kommt der Verfasser zu wertvollen , teren Fi,cnte eine Wendung vom der Ontotogie zur Me-
Enrehniftfieti Er weist überzeugend die Hinfälligkeit , taphysik bedeutet, so läßt sich doch die Frage aufwer-

K^nsscn. l ^ .....„„ «-h 1 fen> ob dies der einzig mögliche Weg sei. Besteht nicht

die Möglichkeit, auch den positiven, Individualitätsbegriff
mit dem rein kritischen, phänomenalen Ansatz der
Frage nach dem Menschen zu verbinden? In der Tai
macht auch der Verfasser in dem letzten Paragraphen
seiner Arbeit einen bescheidenen Vorstoß in dieser Richtung
, indem er die Liebe in den ersten Ansatz mit
aufgenommen wissen will. Hier liegen aber noch mehr
Möglichkeiten. — Unter theologischem Gesichtspunkt
ist die fruchtbare Spannung zwischen Freiheit und Gebundenheit
, Individuum und Gemeinschaft auch insofern
von Interesse, als sie im Christentum wiederkehrt, wenn
etwa Luther das Heil der Seele, Calvin das Reich Gottes
in den Mittelpunkt stellt.

Haniburtr Erich Franz

der verbreiteten Fichteauffassung nach, die in dem ab
sohlten Ich ein metaphysisches Absolutes oder gar Gott
sieht. Vielmehr handelt es sich eben gerade um das
menschliche Ich, dessen Wesen in der Rückwen-
dung zu sich selbst, in der Selbstanschauung besteht.
Wenn man von dem Ich den Ausdruck „Sein" gebraucht
, so legt sich dem, der Fichtes Führung nicht
folgt, immer wieder der Gedanke einer metaphysischen
Substanz, eines ruhenden Seins nahe. Das Sein des
Ich aber bedeutet reine Tätigkeift, eben jenes Sichselbst-
Erfassen wie im Spiegel. Fichte sagt: „Sich selbst
setzen und Sein sind, vom Ich gebraucht, völlig gleich".
Dieser Ausdruck bedeutet nicht, das souveräne Ich erschaffe
sich selber; vielmehr ist „sich setzen" nur ein
andrer Ausdruck für „sich seiner selbst bewußt werden".
Immer wieder appelliert Fichte an den Leser selber,
diesen Prozeß innerlich zu vollziehen. Er will nicht
aus Begriffen ihm etwas deduzieren, beweisen, sondern
ein ihm selber gegebenes Phänomen aufweisen und
analysieren: „Meine Aufgabe an dich, verständiger Leser
, ist die: dir eigentlich und innigst bewußt zu werden,
wie du verfährst, wenn du denkst: Ich". Fichte ringt

mit den Worten und sucht für dieselbe Sache immer J das gewaltige Gedankenwerk dieses eroten'
neue Formulierungen. Er spricht von „Identität" von ! Philosophen" gekennzeichnet der in der T
Subjekt und Objekt, von „intellektueller Anschauung", j Freunden seiner Erkenntnisse" willkommen «*;„'
von Tathandlung". Dies elementare Phänomen des Die Verfasserin hat offensichtlich die Xmk Ösen wS
Ich ist es, von dem die Philosophie Fichts zehrt und I des Denkers mit großem Flpili ,,„h •Plu™lnose.n w^,rke
was sie nach allen Seiten hin zu entfalten und ver- I ständnis studier! und 'den Stoff ^ S^iSÄittS
standbeh zu machen sucht. übersichtlich geordnet. Aber da der EffÄ

Kliefoth, Dr. Maria: Erleben und Erkennen. Eine Untersuchung
an Hand der Philosophie von Ludwig Klages. Würzburg: Konrad
Triltsch 1938. (VII, 135 S.) 8°. RM 3.60.

Die Arbeit unternimmt mehr als ihr Titel verrät. Sie
wird von dem Verleger auf dem Umschlag, den ein
Bild von Ludwig Klages ziert, als ein „Führer durch