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Ausgabe:

1941

Spalte:

104-106

Kategorie:

Systematische Theologie: Allgemeines

Autor/Hrsg.:

Weischedel, Wilhelm

Titel/Untertitel:

Der Aufbruch der Freiheit zur Gemeinschaft 1941

Rezensent:

Franz, Erich

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Theologische Literaturzeitung 1941 Nr. 3/4

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um den Sinn religiöser Aussage zu treffen, der ersten,
„psychologischen", bedarf. Auch an den feinsinnigen
Analysen Ottos über das Verhältnis von „schlichtem"
Glauben und Mystik weist Verf. dies nach.

Treffend analysiert er im gleichen Zusammenhang auch die sehr
verstreuten und nach dein je leitenden Gesichtspunkt verschieden pointierten
Äußerungen Ottos über innere und äußere Offenbarung. Das
Grundsätzliche ist dabei für Otto immer die Zusammengehörigkeit
beider, so auch in der von H. nicht ausgewerteten prinzipiellen Erörterung
, Sünde und Urschuld, S. 150 ff. Hier wird in Durchbrechung
des räumlichen Schemas einesteils das sogenannte „spontane Wirken
der Tiefe" als Aufbruch und Ausdruck höherer Realität verstanden
und anderseits zugleich das bloß „Äußerliche" seiner Äußerlichkeit
enthoben, da es selber von demselben Geist, der „innen"
wirkt, umgriffen sei. — In die gleiche realistische Richtung weist,
wie H. richtig erkennt, Ottos grundsätzlicher Begriff des Fühlens
als eines Erfühlens von etwas, vgl. dazu auch Ottos wichtige Bemerkung
, Zs. f. Rel. Psychologie, 4. Jg., S. 3. Eben dahin gehört
weiter Ottos von H. nicht herangezogene und ausgewertete Aufnahme
der Fries'sclicn Kategorien- und Ideenlehre, deren Tendenz aber für
Thema und Anliegen des Verf. schlechthin zentral ist. Die Idee ist
für Otto wie für Fries weder ein bloßer Gedanke noch bloßes regulatives
Prinzip des Erkennens, sondern in sich genügsame, wesenhafte
Realität, die Kategorie ebenfalls mit Fries grundlegende Gegenstands-
bestimmumg. Freilich nicht nur im Hinblick auf Fries, sondern grundsätzlich
im Blick auf die in der Gegenwart erörterten Kategorienprobleme
ist es unverständlich, wie man z. B. in Ottos Konzeption
der Kategorie des Heiligen einen subjckfivistischen Fehlgriff sehen
will (Hessen) , da Kategorien nur Erkeiminisformen wären —
als ob es nicht Gegenstandskategorien gäbe! Wenn Otto sich an Fries
anschloß, so an einen Denker, der von einem in seinen Ansprüchen
so hochgreifender Logiker wie H. Scholz charakterisiert wird als
„dieser ungemein scharfsinnige, unter dem Einfluß der Kant-
Renaissance lange unerhört unterdrückte Denker, dessen Logik noch
heute als eine der besten Bearbeitungen im Sinne eines ausgereiften
und wohldurchdachten Kantianismus zu schätzen ist". (Gesch. der
Logik, 1931, S. 16 f.). Im übrigen kann ich zum Thema von Ottos
Friesianismus auf mein Nachwort von Ottos jüngst erschiener Abhandlung
„Freiheit und Notwendigkeit" verweisen.

Das Ergebnis von Hs. Arbeit ist in Kürze: Erstens
schreibt Otto der Religionskunde für die Theologie eine
vorbereitende, aber eben darin unumgängliche Aufgabe
zu, sie entwickelt die allgemeinen Erkenntnis- und Gegenstandskategorien
der religiösen Sphäre; zweitens
ist die „Vorbereitung" insofern selber ein theologisches
Anliegen; ja drittens, wie es in Ottos Kantiseh-Fries'-
scher Religionsphilosophie heißt, ist die Theologie selber
„Religionswissenschaft, und die christliche Theologie ist
christliche Religionswissenschaft" (S. 192). Es ist H.
gelungen, zu zeigen, daß Otto durch sein gesamtes
Schrifttum diesem Programm treu geblieben ist.

Doch es enttgehen dem Verf. auch nicht die in dieser Gesamtkonzeption
der Theologie enthaltenen Überleitungen und Spannungen.
Aussagen religionskundlicher Art sind etwas anderes als Glaubensaussagen
. Aber für Ottos Anschauung entscheidend ist, daß es zwischen
diesen keinen Konflikt gibt, sondern daß im Gegenteil die religions-
kundlichen Ergebnisse ohne Konflikt und ohne Modifikation in die
theologische Betrachtung zu übernehmen sind. Auch da, wo die
Wissenschaft vor den Gegensatz und Widerspruch der Religionen
gegeneinander führt, wo ihr zunächst die tatsächlichen Kategorien
zu in die Tiefe dringender Religionsverglcichung und -messung
fehlen, u n d da, wo sie prinzipiell gestehen muß, daß zuletzt nicht
allgemeine Maßstäbe, sondern unableitbar „Auge" und „Sehe entscheiden
, wird sie nicht abgewiesen, sondern gerade indem sie offen
und unmißverständlich die Stellen markiert, an denen zwischen verschiedenen
Möglichkeiten die Überzeugung entscheidet, wahrt sie ihre
Geltung und befestigt mit der Pflicht die Überzcugungsühergäuge herauszustellen
, ihre Sachlichkeit und ihren Anspruch, alles zu prüfen
. — Der Verf. beschließt seine Arbeit mit einer kurzen Aummii-
anderset/ung mit Heim, an dessen Schicksalskategorie er denselben
Übergang von der allgemeinen Kategorie der kontingenten Betroffenheit
zum spezifisch-christlichen Schicksalserlebuis herausstellt, und
mit einem kurzen, allzukurzen Blick auf Ottos letztes Werk „Reich
Gottes und Menschensohn", in welchem durch die ausgesprochen reli-
gionskundliche Betrachtung Jesu als Charismatikers auf der Folie
der iranischen und biblischen Eschaitologie der Christologie in keiner
Weise ausgeschöpfte, ungemein weite und neue Perspektiven
erschlossen werden.

Mit dem zuletzt Gesagten ist auch die Schranke
vom Hs. Arbeit genannt. Denn der Titel weckt ohne
Zweifel die Erwartung, daß in weit gespannter Sicht
uns gezeichnet würde, wie nun Ottos eigene Theologie

den Unterschied von Gemeinschaft und Gesellschaft
| herausgearbeitet, Heidegger hat die Philosophie der
aus der Religiansgeschicbte befruchtet wurde. Diese
durch den ersten Satz der Arbeit ausdrücklich bestä-
I tigte Verheißung wird nicht eingehalten, und wer sich
| durch sie und durch den Titel mit solcher Einstellung
an das Buch Hs. begibt, würde durch seinen „Formalis-
. mus" enttäuscht sein. Aber nun liegt gerade in diesem
i die Stärke und Bedeutung des Buchs. Es entwickelt unbekümmert
turn Zeitgemäßheit die Prinzipien einer Denk-
; haltuing, die zugleich universal und auf letzte Einheit ge-
I richtet ist: Auf der Mannigfaltigkeit der sich bietenden
! Wege, Aspekte und Methoden strebt sie der .Totalität der
Sache zu. Sie kennt kein Gebot, das dem denkenden
Ergründen Einhalt geböte. Sie anerkennt, daß das Leben
auf offenen oder verdeckten letzten Überzeugungen
ruht, eben darum will sie diese kritisch durchleuchten.
Sie ist radikal kritisch, indem sie diesen Voraussetzungen
des Lebens sich zuwendet und deren Gehalt und
Tragfähigkeit (wie auch die eigene) überprüft. Sie kennt
keine letzte Antinomie von Denken und Glauben.

Denn ein dieser Gestalt ergründendes Denken
setzt sich apriori zu keinem Lebensgebiet in Gegensatz,
sondern öffnet sich dem gelebten Leben. Der tatsächliche
Widerspruch bleibt deshalb Denkproblem und Denkaufgabe
, weil er ein unmittelbares L e b e n s problem der
menschlichen und zugleich menschenwürdigen Existenz
ist. Die Beruhigung beim Zwiespalt würde sogar diesem
den Ernst nehmen. Das Ringen um Durchdringung
von Denken und Glauben ist Ringen um die Einspitzig-
keit und Gesammeltheit der Person. Im Bekenntnis zu
der Erneuung der Kreatur ist diese Einheit als Sinn und
Telos eingeschlossen. Wenn anders zum Wesen der Personalität
Gesammeltheit und Einstimmigkeit gehört, so
kann diese Denkhaltung, die die Idee der Einheit durch
die Spannungen hindurchtragen und an ihnen fruchtbar
werden lassen will, ernstes Gehör heischen. Sie, nicht
die — von Otto übrigens in erstaunlich geringem Maße
gemachten — Abstriche am Dogma sind Kern und Stern
der sogenannten liberalen Theologie, die hiermit in ein
neues und belangreiches Licht rückt. Das Material zu
solcher Diskussion bereitgestellt zu haben, ist das Verdienst
der Arbeit von Haubold. Als Motto zu der
hier kurz entwickelten Denkhaltung stellt sich jenes
Wort Goethes an die Rose ein, in welchem Ottos Art
in tiefster Klarheit sich spiegelt:

,.......wundersam Ereignis!

Du bist es also, bist kein bloßer Schein,
In dir trifft Schaun und Glauben überein;
Doch Forschung strebt und ringt, ermüdend nie,
Nach dem Gesetz, dem Grund, Warn m und W i e."
Marburga. L. Th. Siegfried

Weischedel, Wilhelm: Der Aufbruch der Freiheit zur Gemeinschaft
. Studien zur Philosophie des jungen Fichte. Leipzig
F. Meiner 1939. (XV, 200 S ) gr. 8". Kart. RM 8 —

Das Buch ist ein musterhaftes Beispiel dafür, wie
selbständiges systematisches Denken und philosophk-
gesehiehtliche Forschung sich wechselseitig erhellen und
befruchten können. Es handelt sich um eine wertvolle
und aufschlußreiche Untersuchung über die Philosophie
des jungen Fichte, die mancherlei gängige Vorurteile
und Mißverständnisse aus dem Wege räumt; zugleich
aber um systematische Klärung des Verhältnisses von
Freiheit und Gemeinschaft, um den Wesenszusammen-
} hang von Menschsein und Verbundensein. Das Buch ist
i keine ganz leichte, aber eine sehr lohnende und be-
I reichernde Lektüre. Zu Beginn wird darauf hingewiesen,
! wie schon im Aussprechen des Wortes Gemeinschaft,
i das heute besonders hoch im Kurs steht, dunkel nun-
1 cherlei Gefühlsmomente und sittliche Wertungen mit
anklingen,, „das Innige, Trauliche der Gemeinschaft,
die Geborgenheit in ihr, das Mitverschworensein; andererseits
der Wert des Gemeinnutzes vor dem Eigennutz
, die den Menschen fördernde Bedeutung der °Ge-
meinsehaftsbildutig in Freundschaft, Ehe und Staat" (1).
Das klassische Werk von F. Tönnies hat den grundlegen-