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Ausgabe:

1941

Spalte:

102-104

Kategorie:

Systematische Theologie: Allgemeines

Autor/Hrsg.:

Haubold, Wilhelm

Titel/Untertitel:

Die Bedeutung der Religionsgeschichte für die Theologie Rudolf Ottos 1941

Rezensent:

Siegfried, Theodor

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Theologische Literaturzeitung 1941 Nr. 3/4

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bei den von ihm so genannten „axiologischen Beweisen", R. selber i Zeit ist hier an Pascal ZU denken, dem die Einspan-
aus seiner „antliropologischen" Grundposition herausfällt, indem er , nung des Menschen Zwischen das Unendlich Große Und.

anstelle des wertenden Menschen die Werte als solche zum Aus
gangspunkt seiner m. E. gerade deshalb nicht stringenten Beweis
führung nimmt. Nicht die Werte an sich, auch nicht irgendwelche in
der Welt existenten Werte, sondern die wertende Wcltauseinandorsiet-
zung des Menschen, d. h. die Begegn ng von Mensch und
Wert ist der Actus, in welchem die Fülle des Ursinnes aufleuchtet
,

das unendlich Kleine zugleich die Würde und die Ohnmacht
, Quell seines Aufschwungs und Wurzel der Verzweiflung
war, in neuerer an Eucken und Troeltscb,
die gerade in diesem Zusammenhang die neukantische
Religionsphilosophie in die Tiefe ihrer eigenen Problematik
führten und durchbrachen.

Daii iii der Sinnfrage schon die Sinngewißheit gelegen, im j So eröffnet gerade die anthropologische Einstellung
Wahrheit-suchen schon die Wert- und Wesensfülle absoluter Wahrheit j R.s weiteste Fragebereiche. Es ist das große Verdienst

vorausgesetzt sei, ist nicht aus dem Begriff der Frage noch aus
dem Begriff von Wahrheit überhaupt analytisch herauszuholen. Aber
es ist nur das, was Kant in der Kritik der reinen Vernunft mit der
programmatischen Bewahrung der Qottesidee ausdrückte. Diese ist
ihm ja dort durchaus nicht eine bloße heuristische Formel, sondern
regulative Idee, d. h. ein im Vollzug des Denkens notwendig auftauchende
und nicht nur begleitende, sondern dem Suchen nach Totalität
, Ursprung, Kraft und Richtung gebende Rotenz (weshalb denn
Kantianer wie Br. Bauch mit nachdenkenswerten Gründen sogar
in der „theoretischen" Rhilosophic auf Grund der Intentionen
Kants selber jener Idee wieder konstitutive Bedeutung beilegten).
Im Hintergrunde steht hier die durch die Transzendentalphilosophie
zum ersten Male umfassend gestellte Frage, ob der philosophische
Zugang zur Gottesidee über die Dinge zur causa reruin führt oder
über das die Welt umfassende Subjekt zur weltsetzenden Urvernunft,
anders ausgedrückt, ob der philosophische Weg zu Gott über das
Sacherkennen oder „reflexiv" über die Sinnfindung und das Sinn-
suchen des Subjekts führt.

Zwei kardinale Fragen aber tauchen nun gerade dann
auf, wenn man der üesaimttendenz des Verf.s zustimmt.
Erstens: Ist jene im geistigen Akt enthaltene metaphysische
Urbindung notwendig und ausnahmslos personaler
Art? Schon der Hinweis auf Plato und Aristoteles,
um vom chinesischen Tao und anderem zu schweigen,
zeigt, daß Geist und Wahrheitssuchen, verantwortliches
Handeln und Erleben sich in „inipersonalen" Tiefen verwurzelt
denken und empfinden können, denen der spezifische
Charakter der Personalität abzusprechen ist, und
zwar nicht in der Abkehr von irgend einer Verzerrung
und Verkleinerung der Persönlichkeitsidee, sondern in
grundsätzlicher Abwertung der Personalität oder wenigstens
ihrer Totalität (letzteres z. B. in der platonischen
Bindung allein des vernünftigen Seelenteils an das
„objektive" Reich der Ideen oder im der aristotelischen
Abhebung des intellectus activus von dem konkreten
Individuum). R. greift hier in gefährlicher Weise auf
eine weiter nicht begründete sogenannte „Wesensnor-
wendigkeit" zurück, während in Wahrheit Personalität
selber erst sowohl als Realität wie als Idee mit dem
Christentum in ihrer Tiefe aufgebrochen ist. Dann gilt
hier die Entscheidung, ob der Mensch Person sein will
oder nicht, als Person sein Leben leben will oder
nicht. Vielleicht ist der Rücksprung auf die Antike eine
innere Unmöglichkeit, vielleicht bedeutete er das Gegenteil
dessen, was viele von ihm erwarten, nicht re-
naseimento, sondern Absturz. Aber der Entscheid, der
hier gefordert ist, ist nicht ein bloßer Entscheid für den
Geist überhaupt noch etwa für die Individualität, sondern
für ein wirklichkeitserschlossenes und zugleich gesammeltes
Selbst-Sein. Des Verf.s „anthropologischer" Ansatz
läßt an dieser Stelle eine sehr viel ausgebreitere
Analyse dessen, was Persönlichkeit heißen kann und
heißen soll, wünschenswert erscheinen, und hier ist wohl
nach Kierkegaard und Nietzsche nicht mehr mit mittelalterlichen
Kategorien auszukommen.

Zweitens erwächst eben dabei die Frage, ob die
Personalität in ihrer eigensten Struktur in letzter Tiefe
abgesehen von ihrer zentralen, explizit religiösen Heilsbindung
verstanden werden kann. Hier meldet sich der

seines Werks, die Fragen gestellt zu haben und den
Grund zu umfassender Durchforschung des weiten Gebiets
gelegt zu haben. Aber auch jene dezidiert persona-
listische Antwort ist hoher Beachtung wert. Denn hier
ist eine der zentralen Entscheidungsfragen der gegenwärtigen
Geisteslage gestellt.
Marburg Th. Siegfried

Haubold, Wilhelm: Die Bedeutung der Religionsgeschichte
für die Theologie Rudolf Ottos. Leipzig: Leopold Klotz 1Q40.
(116 S.) 8°. RM 4.50.

Wo mehrere Wissenschaften sicli aii'f denselben Gegenstand
richten, da wird die Frage nach ihrem Verhältnis
zueinander um der allseitigen und zugleich
einheitlichen Erfassung des Gegenstandes willen unumgänglich
. Diese wissenschaftssystematische Frage aber
ist als solche zugleich selber die Frage nach Haltung
und Sichtweise, Einheit oder Zwiespalt des forschenden.
Menschen, und, da das Denken im Leben wurzelt und
mit seiner Artung und Einstellung in das Leben zurückstrahlt
, des Menschen überhaupt. Die Arbeitsteilung
zwischen den „Fächern" trübt allzuleicht den Blick für
die Dringlichkeit dieser Frage. Wenn aber ein und derselbe
Denker nach verschiedenen Seiten zugleich von vielfältigen
Aspekten derselben Sache sich in Anspruch genommen
weiß, so tritt das anthropologische Moment
der wissenschaftssystematischen Frage sofort hervor. So
steht es in dem Lebenswerk Rudolf Ottos, der als
Theologe Religionskunde und -philosophie zu treiben
nicht aufhörte.

Die Arbeit von H a u b o 1 d verfolgt umsichtig und
mit dankenswerter Vollständigkeit die Selbstinterpreta-
tion Ottos in dieser Hinsicht. Sie zeigt, wie in den
Frübschriften Ottos psychologische und theologische
Fragestellung, naturwissenschaftliche und religiöse Sicht
sich ergänzen. Sodann wird in guter Auswertung der
verstreuten Bemerkungen Ottos gezeigt, wie Otto der
Wissenschaft von der Religion selber eine prinzipielle
Neuorientierung gibt. Die Wissenschaft der Religion
selber muß, indem sie sich der „gelebten Religion" zuwendet
, die Frage nach Wesen und Sein des religiösen
Objekts aufnehmen. Es macht sich hier deutlich der
Durchbruch durch die Fächergrenzen und die Tendenz
zu totaler Sicht des Gegenstandes geltend. In solchem
Sinne hat dann Otto selbst das leitende Interesse seines
Hauptwerks „Das Heilige" als „weder ein religionsge-
schichtliches noch ein religionspsychologisches, sondern
ein theologisches" bezeichnet. Für die Klarheit und
Energie der Verarbeitung bei H. zeugt es, daß er sich
nicht durch wiederholte Entgegenstellungen von Religionskunde
und Theologie bei Otto verwirren läßt, sondern
aufweist, daß in all diesen Fällen Otto eine exogene
Religionsbetrachtung, wie er sie bei Wundt fand und
wie er sie auch der bloßen Religionsphänomenologie
zuschreibt, zugrundelegte, also eine Konzeption, die ihm
selber als nur vorbereitend und vorläufig galt. ■ Der Verf.
tritt daher mit Recht und mit gediegener Beeründuno-

konfessionelle Gegensatz in der Anthropologie, hier die j den an der Oberfläche verbleibenden und das wirkliche
Frage, ob die Gnade ergänzende Übernatur oder Quell I Problem nicht ins Auge fassenden Versuchen ento-po-pn

unmittelbarer Wesenhaftigkeiit des „natürlichen Men
sehen" ist, hier auch das Problem, ob nicht jene implizite
Religion des Geistes, wie R. sie entwickelt, selber
in sich spannungsvoll, ja widersprüchlich, nicht harmonisch
, sondern wie ein Weg nach oben, so auch zugleich
ein Weg in Not und Zerrissenheit ist. In älterer

bei Otto eine subjektivistiisch-idealistische und eine realistisch
auf das religiöse Objekt gerichtete Betrachtuno-
gegeneinander auszuspielen (insbesondere bei Eisenhuth)
Vielmehr ist es Ottos durchaus einheitliche Grundanschauung
, daß die erste Sicht zur zweiten weiterleitet
aber auch umgekehrt, daß die zweite, „theologische"'