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Ausgabe:

1941

Spalte:

93-94

Kategorie:

Kirchengeschichte: Alte Kirche, Christliche Archäologie

Autor/Hrsg.:

Gerke, Friedrich

Titel/Untertitel:

Die Zeitbestimmung der Passionssarkophage 1941

Rezensent:

Campenhausen, Hans

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98

Theologische Literaturzeitung 1941 Nr. 3/4

CHRISTLICHE ARCHÄOLOGIE
UND KUNSTGESCHICHTE

Oerke, Friedr..- Die Zeitbestimmung der Passionssarkophage.

Abhandlungen des archäolog. und kunstgesch. Instituts der Päzmäny
Universität iu Budapest XXI. Sonderabdruck aus „Archaeologiai
Ertesito" Bd. LIi. — Magyar Tudomänyos Akademia, Budapest 1940.
Das kürzlich erschienene monumentale Werk Friedrich
Gerkes über die christlichen Sarkophage der vor-
konstantinischen Zeit (Studien z. spätantiken Kunstge-
sch. Nr. 11, 1940; vgl. dazu die „ideengeschichtlichc"
Ergänzung ZKG. LIX, 1940, S. 1 — 102) bringt für diesen
Zeitraum den krönenden Abschluß einer ganzen
Reihe von Studien zur altchristlichen Plastik, die im besonderer
Weise als Domäne des Verf.s gelten kann.
Aber auch für die folgenden Jahrhunderte ist die Entwicklung
von verschiedenen Seiten, ganz besonders aber
wieder durch ihn weitgehend geklärt worden. Die Zeit
der willkürlichen stilgeschichtlichen und ikonograpbischen
Vermutungen, die keine sicheren Ergebnisse aufkommen
ließen und manchem Theologen allen Geschmack
an der „christlichen Archäologie" nahmen, ist
heute vorüber; auch die Kirchen- und Geistesgescbichte
des Altertums kann an den ihr gebotenen Erkenntnissen
nicht mehr achtlos vorübergehen.

Die vorliegende Eimzelstudie, erschienen als eine Anton
Hekler gewidmete Abhandlung des archäologischen
Instituts in Budapest, behandelt eine Gruppe von Sarkophagen
, wesentlich des 4. Jahrhunderts, die in vieler
Hinsicht besonderes Interesse bieten. „Passionssarkophage
" gruppieren in einem festen Rahmen Szenen aus
der Passion Christi und aus den Martyrien des Petrus
und Paulus in wechselnder Auswahl um das „Triumph-
kreuz", die siegreiche Standarte mit dem Monogramm
Christi bzw. um eine Darstellung Christi selbst in seiner
paradiesischen Herrlichkeit. Mehrere der berühmtesten
Stücke der altchristlichen Plastik, so vor allem der
Bassus-Sarkophag (vgl. über diesen Gerkes Monographie
von 1936), gehören zu den P., die, unter sich nah verwandt
, deutlich aus der Masse der übrigen Sarkophage
herausgehoben sind. Um ihre Deutung und richtige
Einordnung haben sich schon zwei ältere Arbeiten, von
mir (1929) und von Marg. Lawrence (1932), bemüht,
ohne zu wirklich gesicherten Ergebnissen gelangen zu
können, weil die stilkritischen und damit auch die chronologischen
Grundlagen der Untersuchung noch nicht
feststanden. Der Verf. hat besonders meine, nur an der
Komposition des Bilderzyklus interessierte Studie mit
der ritterlichsten Aufmerksamkeit berücksichtigt; aber
man kann die älteren Versuche mit seiner Arbeit nicht
mehr in eine Linie stellen. Erst jetzt erhalten wir eine
gründliche Aufarbeitung des — auch durch neue Funde
vermehrten — Materials, die allen Fragestellungen gerecht
wird. Der Titel gibt insofern nur den leitenden
Gesichtspunkt der Untersuchung an, erschöpft aber keineswegs
ihren ganzen Inhalt: um die „Zeitbestimmung"
der P. zu ermöglichen, wird auch ihre Komposition und
Ikonographie, die Entwicklung ihres Stils, die ganze
künstlerische und geistige Eigenart der P. und jeder
ihrer Szenen und ihrer wichtigsten Gestalten ausführlich
behandelt, und in der Geschichte der ganzen Gruppe
wird auch die Geschichte des dahinter stehenden religiösen
Bewußtseins faßbar, „überblickt man die Entwicklung
der P . . . . als Geschichte einer Idee, so ergibt
sich, daß von vornherein die victoria Christi der
geheime Angelpunkt aller Kompositionen ist. Am Anfang
steht das Kampfeszeichen des Feldherrn Christus:
das unbesiegte Kreuz; am Ende steht der siegreiche
Kaiser Christus mit dem Attribut des vexillum crucis.
Die erste Generation sah vor allem den Todesgang
Christi, und die crux invicta ist ihr das Zeichen seines
eigenen Sieges. In der zweiten Generation ist Christus
der Vorkämpfer seiner militia; die crux invicta

wird zum Feldzeichen der Kämpfer Petrus und Paulus.
Der Christustod wird als Manifest der neuen Weltordnung
gefaßt. In der dritten Generation ist nicht
, mehr Kampf, sondern Sieg, der eroberte Himmel und
i das neue Gesetz das eigentliche Thema." (S. 105) So
findet die Uridee der Victoria Christi, mit der das
Christentum der sterbenden Antike geistig und künstlerisch
neue Lebensmöglichkeiten eröffnet hat (vgl. ZKG
J 1940, S. 18), auf den P. ihren reinsten, bekenntnisartigen
I Ausdruck, übrigens überall in unverkennbarer Auleh-
! nung an die repräsentative Kaisersymboliik. Die „Sarkophage
mit dem Thema der Huldigung vor dem unbe-
siegten Kreuz" setzen die Linie in mehr liturgischhieratischer
Weise weiter fort, während die rein historische
Darstellung der Passion im Rahmen eines
„Lebens Jesu" nur ein einziges Mal in Anlehnung
an die Buch- (und Kirchen-?) Malerei in die Sarkophagplastik
eingedrungen ist. Auch diese Stücke werden mit
behandelt; die Ablehnung wird also zu einer Monographie
der ältesten Passionsdarstellungen überhaupt,
da solche in der gleichzeitigen Katakombenmalerei noch
nirgends begegnen.

Ich kann den Ergebnissen der Untersuchung im ganzen nur
dankbar zustimmen. Wesentlichere Bedenken empfinde ich höchstens
in der Frage nach den Anfängen der Komposition. O. rechnet damit,
dali die früheste eigentliche Passionsszene, das Pilatusurteil, als Ablösung
rein symbolischer, aWtestamentlicher Vorbilder der Passion,
zunächst für sich entstanden sei, wie sie in der Tat (ohne die Gestalt
Christi!) auf mehreren Friessarkophagen auftaucht. Der erste P, sei
dann ein reiner Christussarkophag gewesen nach dem Typ des Later.
171, der älter als alle anderen erhaltenen Beispiele ist. Allein hier
sind Zweifel möglich. Wir müssen doch damit rechnen, daß von der
Fülle der einst gearbeiteten Sarkophage nur noch Trümmer erhalten
sind, so daß später bezeugte Zyklen trotzdem schon früher dargestellt
gewesen sein können. Q. selbst macht auf das Fragment eines P.
aufmerksam, das nach seinem Stil älter sein muß als der Lateranensis
171, dessen Komposition jedoch leider nicht mehr festgestellt werden
kann. Muß er einen reinen Christuszyklus getragen haben? Dafür
i scheint die Idccngeschichte, wie sie O. für die P. entwickelt,
: allerdings zu sprechen. Ich möchte aber nach wie vor für wahrscheinlicher
halten, daß die Pilatusszene von einem schon bestehenden P.
entlehnt worden ist, womit sich das Bild ein wenig ändert, und würde
aus Gründen der Komposition und Geschichte des Zyklus weit lieber
einen Christuis-Petrus-Paulus-Sharkophag an den Anfang rücken. An
andern, an den allermeisten Punkten laß ich mich sehr gerne korrigieren
. So war es z. B., wie mir schon mein Lehrer v. Soden
klar gemacht hat, zweifellos ein Fehler, eine reine Christus-Paulus
-Klasse vorauszusetzen: Paulus ist stets von Petrus verdrängt
worden, während der umgekehrte Fall niemals eingetreten ist. Methodisch
möchte ich eine selbständige Erforschung der zyklischen Kompositionen
, wie ich sie seiner Zeit im Anschluß an die Grundsätze
der Textkritik .versucht und E. Dinkler von neuem aufgenommen hat
(Marburger Jahrb. f. Kunstwiss. 1938), nicht nur für einen Notbehelf
ansehen, der mit der sicheren, stilkritischen Datierung der
einzelnen Stücke entbehrlich geworden wäre: das Alter einer Handschrift
entscheidet noch nicht über den Wert eines durch sie überlieferten
„Textes". Aber es ist am allerwenigsten meine Absicht, damit erneut
einer Isolierung der ikonographischen Forschung gegenüber der
Stilkritik das Wort zu reden. Die ganze schiefe Entgegensetzung
hat sich in der christlichen Archäologie viel zu lange gehalten;
durch die reife kunst- und geistesgeschichtliehe Methode Gerkes darf
sie jetzt als überwunden gelten.

z. Zt. Wien H. v. Ca m p en h a u sen

Braun, Joseph: Die Reliquiare des christlichen Kultes und
ihre Entwicklung. Freiburgi. Br.: Herder & Co. 1940. (XXIV, 743 S.
157 Taf. mit 602 Abb.) 4°. RM 56—; geb. RM 60—'

Reliquien gab es und gibt es auch vor und außerhalb
der christlichen Kirche (vgl. RGG2 IV Reliquien). Reliquiare
aber, das sind künstlerische zu ihrer Verwahrung
; geschaffene oder zum gleichen Zweck übernommene
: Behälter, hat, soweit sie nicht den Heiligen- und Reliquienkult
ablehnt, nur die christliche Kirche, also vor
j allem die römisch-katholische und in geringerem Ura-
; fange, entsprechend der geringeren Entfaltung des Reliquienkultus
im Osten, die griechisch-katholische Kirche.
Nun ist die Menge der Reliquien und Reliquienpartikel
so endlos groß, daß sie schon an sich die Beschaffung
eines besonderen Reliquiars für jede einzelne ausschließt.