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Ausgabe:

1941

Spalte:

91-92

Kategorie:

Kirchengeschichte: Territorialkirchengeschichte

Autor/Hrsg.:

Maurach, Reinhart

Titel/Untertitel:

Russische Judenpolitik 1941

Rezensent:

Stupperich, Robert

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Theologische Literaturzeitung 1941 Nr. 3/4

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wertvoll ist es, daß er den ausführlichen Wortlaut der zwölf Punkte |
gibt, den die Nonjurors 1716 den östlichen Patriarchen unterbreitet
haben als eventuelle Grundlage einer Vereinigung zwischen den beiden j
Kirchen.

Pfarrer A. Roth (Binningen, Schweiz) bespricht j
„Die kirchliche Einigungsarbeit zwischen Altkatholiken j
und Orthodoxen". Dr. Paula Schäfer — „Die Be- j
Ziehungen zwischen der anglikanischen und der ortho- j
doxen Kirche" (durchaus richtig, aber etwas zu summarisch
dargestellt). Lic P. Schorle mm er schildert
„Osten und Westen in ihrer liturgischen Einheit", j
Derselben Frage der Verwandtschaftsbeziehumgen zwi- |
sehen den Liturgien des Westens und Ostens widmet
Friedrich Heiler einen lehrreichen Aufsatz.

Allgemeineren, grundlegenden Charakter haben z. B.
die Aufsätze „Die Frömmigkeit des evangelischen Volkes
" von einem ungenannten Verfasser (stammt er nicht
auch von Friedr. Heiler?) und des katholischen Professors
Otto Urbach „Das Gespräch zwischen den Konfessionen
". Im ersten Aufsatz wird von einer Neueinstel-
lumg der Gläubigen innerhalb der Evangelischen Kirche
geredet, besonders unter der jüngeren Generation, einer
Neueinstellung, die Züge des Heroischen und Altkirch-
iiehen und die Betonung der objektiv göttlichen Gegebenheit
aufweist, im Gegenteil zum allzu „bürgerlich" gefärbten
, allzu gemächlichen Subjektivismus der vorangehenden
Entwicklung. In dieser Neueinstellung erblickt
der Verfasser einen Unterpfand der künftigen gegenseitigen
Annäherung der Kirchen.

„Die Hallung, um deren Lebensgestalt unsere junge Generation
kämpft, läuft, soweit immer ich sehe, vollkommen parallel zu
der neuen Haltung der katholischen Jugend. Wollte man sie mit
einem Satze bezeichnen, so müßte man sagen, sie ist eine Abkehr
von aller bürgerlichen, gesicherten, individualistischen Frömmigkeit
und eine Hinkehr zu der klassischen und heroischen Größe und objektiven
Gegebenheit der alten Kirche, ihres Glaubens und Lebens.
Ich glaube daher, daß die Frage nach der Wiedervereinigung der
getrennten Kirchen dieser neuen Jugend einmal ein gut Stück näher
stehen wird als der bisherigen selbstgenügsamen evangelischen Frömmigkeit
". (S. 239).

Prof. Urbach spricht in seinem Aufsatze die Meinung
aus, daß viele von den Gründen der damaligen
Trennung zwischen Katholizismus und Protestantismus |
gegenwärtig schon behoben sind und daß viele gläubige
Protestanten und Katholiken sich gegenwärtig im Glauben
weit näher stehen als verschiedene grundsätzlich —
in den wichtigsten Stücken des Glaubens — voneinander
•divergierende Sektionen der Protestantischen Kirche.

Alles in Allem, dieses Sammelbeft, dem die „Einheit
der Ost- und Westkirche", als fernes, schönes Ideal'
ziel vorschwebt, bietet — ungeachtet der etwas ungleichen
Gestaltung und des ungleichen Wertes der einzelnen
Aufsätze — eine Menge lehrreichen kirchenhistoiri-
schen Materials und auch einige innerlich erlebte Hin-
Weisungen auf den Weg zu einer künftigen Verständigung
der christlichen Kirchen.

Königsberg i. Pr. Nikolaus v. Arsenievc

Maurach, Dr. jur. habil. Reinhart: Russische Judenpolitik. Berlin
: Deutscher Rechtsverlag 1939. (442 S., 10 Abb. auf Taf., 2 Ktn.)
gr. 8°. RM 16—

Die Judengesetzgebung ist im Rußland bis zum Weltkrieg
ein so aktuelles Thema gewesen, daß ihre geschichtliche
Entwicklung von russischen wie von jüdischen
Autoren des öfteren behandelt wurde. Zum praktischen
Gebrauch sind von jüdischer Seite auch Sammlungen der
geltenden Judengesetze veranstaltet worden. Aber eine
Zusammenfassung des gesamten umfangreichen Stoffes
hat bisher gefehlt. Das vorliegende Werk stellt den
Versuch dar, diese Lücke auszufüllen. Die Arbeit ist vom
juristischen Standpunkt geschrieben und zeigt die Vorteile
und Nachteile einer solchen Betrachtungsweise.
Um es gleich zu sagen: ein Historiker würde diese Arbeit
anders angepackt, die Quellen anders behandelt,
dafür aber auch die rechtlichen Verhältnisse nicht so eindeutig
herausgearbeitet haben.

Der Vf. behandelt im Wesentlichen den Zeitraum
von der ersten Teilung Polens bis 1917. Über die
früheren Jahrhunderte wird nur in kurzem Überblick
berichtet. In dieser Zeitspanne von 150 Jahren hat der
russische Staat versucht, die Judenfrage vom verschiedenen
Ansatzpunkten aus zu lösen. Dabei ist die Einstellung
öfter geändert worden. Die gesamte in russischer
Sprache erschienene Literatur wird vom Vf. sehr fleißig
verarbeitet und für seine Darstellung nutzbar gemacht.
Dasselbe gilt von der neuesten deutschen Arbeit von
P. H. Seraphim „Das Judentum im osteuropäischen
Raum". Beiträge im polnischer Sprache werden unberücksichtigt
gelassen. Der Vf. geht ausführlich auf jede
erlassene gesetzliche Bestimmung ein, beschreibt die Vorarbeiten
im dem Kommissionen, die die Gesetze vorzubereiten
hatten, und beschäftigt sich mit ihren Auswirkungen
. Dabei fällt manches Urteil über geschichtliche Ereignisse
und Gestalten, das in einem Geschichtswerk
nicht so leicht gefällt werden dürfte. Hingewiesen sei
nur auf die Urteile über Nilkolaj I. und Alexander III.,
die der Vf. mit offensichtlicher Vorliebe behandelt.

Was Struktur und Geist des jüdischen Gemeiindever-
bandes anlangt, so bezieht sich der Vf. auf die Forschungen
von Seraphim, ohne auf die verschiedenen Richtungen
innerhalb des Judentums weiter einzugehen. Re-
ligionsgeschiichtlich trägt die Arbeit daher nichts aus.
Diese Frage lag dem Vf. auch fern. Für ihm waren wichtig:
die Sanktionierung der Kahal-Verfassung durch die russische
Regierung, die Eindämmung der jüdischen Auswanderung
ins russische Reich durch Festsetzung der
Siedlungsgrenze und weitere Abwehrmaßnahmen.

Das Judenproblem ist freilich von der russischen
Regierung zu allen Zeiten vom konfessionellen Gesichtspunkt
angesehen worden. Wie der Vf. mit Recht feststellt
, bedeutete für sie die Taufe die Lösung der Judenfrage
. In dieser Hinsicht hat sich die Einstellung des
kaiserlichen Rußland nie geändert. Da aber das konservative
Judentum in Rußland trotz verschiedener Versuche
von diesem Angebot kaum je Gebrauch machte,
mußten andere Lösungen gesucht werden.

Der Vf. behandelt die verschiedenen Judenordnungen
und die staatlichen Versuche, das Judentum als einheitliche
Größe aufzuheben. Auf die „judaiiisierenden Sekten
" wird hingewiesen, ohne sie näher einzuordnen.
Die tatsächlichen Verhältnisse lagen hier anders, als
der Vf. annimmt. Da weder Steuerreformen, noch Ver-
waltungs- und Rekrutierungspraxis eine Besserung der
Verhältnisse brachten, blieb auch unter Nikolaj F. die
befürwortete Lösungsmethode die Judemimission. Trotz
Kisselevs Aufhebung der Ka'halverfassung und Unterstellung
der Judenschaft unter die allgemeine Verwaltung
wird die Reformtätigkeit der Regierung als gescheitert
bezeichnet. Da es zur gewaltsamen Assimilierumg nicht
kam, wurde im der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts
die Rechtsangleichuing versucht. Die Öffentlichkeit wirkt
dabei in einem der Regierung entgegengesetzten Sinne
mit. Die Reformen Alexanders II. bringen dem Judentum
manche Vorteile, erst recht aber die Zeit des letzten
Zaren. Als größter Fehler in der Judenpolitik wird vom
Vf. die Evakuierung des Judentums aus den Westgebieten
1915 angesehen, durch die der revolutionären Tätigkeit
des Judentums der Weg geebnet wurde.

Der Vf. hat sein Werk mit Absicht für einen größeren
Leserkreis bestimmt und aus diesem Grunde vom
wissenschaftlichen Apparat abgesehen. Nützlich ist dieses
Verfahren nicht, da die Auseinandersetzung mit der
Literatur die Darstellung belastet. Daß das Buch vom
Einseitigkeiten und einzelnen historischen Fehlern nicht
frei ist, wurde bereits gesagt (vgl. S. 31, 33, 94 u. ö.).
Auffallend ist, daß von „jüdischer Kirche" (S. 198)
und von „Sektanten" (S. 47) gesprochen wird. Im übrigen
stellt das Buch im Hinblick auf die Aktualität des
Themas eine interessante Lektüre dar.
Berlin Robert Stupperich