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Ausgabe:

1941

Spalte:

72-74

Kategorie:

Religionswissenschaft

Autor/Hrsg.:

Sierke, Sigurd

Titel/Untertitel:

Kannten die vorchristlichen Germanen Runenzauber? 1941

Rezensent:

Tackenberg, Kurt

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TL

Theologische Literaturzeitung 1941 Nr. 3/4

72

wissenschaftlichen Arbeit eine heilsame Lehre sein, sich
auf sich und seine faktische Möglichkeit zu besinnen.
Auch Theologisches Denken bleibt ja als Denken gebunden
in die Notwendigkeiten menschlichen Denkens überhaupt
und kann sich metaphysische oder pneumatische
Spielereien ebenso wenig erlauben, wie philosophisches
Denken. Zweitens: Das Imponierende an Rickert s Aufbau
ist sein ernstes Verantwortungs-Bewußtsein vor dem
Leben von Welt und Menschen, das besteht aus teilhaften
Sinnelementen, deren Echtheit an ihrer Zusammenordnung
zu Sinngebilden aus Wertformen erfahren werden
kann. Theologisches Denken kann sich auch an diesem
Teil nur dankbar in die Schule nehmen lassen und
sich die unmittelbare Werthaftigkeit des säkularen Schönen
wie des säkularen Wahren lehren lassen. —

Es muß allerdings bedauerlich erscheinen, daß Rickert
nicht näher von dem Weg handelte, der das Intelligible
dem Menschen vermittelt. Daß dies auf dem Wege der
Anschauung geschieht, ist klar, weil das Intelligible ja
eben nur an Sinnlichem wahrgenommen wird, jedoch
ebenso klar ist auch für Rickert, daß es nicht nur der
Vorgang der Anschauung ist, der ums am theoretischen
Gebilde von seiner Wahrheit, am ästhetischen Gebilde
von seiner Schönheit überzeugt, ja es geht ja noch weiter
, der uns das akustische Geräusch einer Quelle als
Murmeln und als lieblich erscheinen läßt, der ums alle
die unmittelbar verständlichen Metaphern gegenüber dem
Erleben von Welt und Menschen aufdrängt. Es dürfte
ja wohl fraglos so sein, daß die einzelnen Gebiete dieser
intelligibeln Universalität nicht alle im auffangenden Bewußtsein
ihren Sitz haben. Man wird auch ihrer aller
Ermöglichung nicht in einer unmittelbaren Schau oder
in einem Erleben allein zu suchen haben, da man bald
den theoretischen Wert abzustoßen gezwungen wäre.
Man wird doch wohl gemäß der Universalität des intelligibeln
Objektes auch auf eine universale Erfassung
des Subjektes auszugehen haben, dem sich die intelligible
Welt erschließt. Dies Subjekt oder Ich hat nun aber
gewiß in seiner Totalität eine ganz besondere Haltung
gegenüber dem Intelligibeln, eine andere jedenfalls als
dem Sinnlichen gegenüber. Die Person in ihrer Ganzheit
empfängt die Siinngebilde der intelligibeln Welt als
Wertformen. Die Totalhaltung der Person in solchem
Akte gälte es zu erfassen.

Dabei wird aber sogleich ein Zweites klar. Vor der
intelligibeln Welt und ihren Wertformen befindet sich
die Person ja gewiß nicht nur in einer nur aufnehmenden
oder etwa in der kontemplativen Haltung des „reinen
Ich", sondern natürlich in einer wertenden Haltung.
Wertung aber heißt Entscheidung. Entscheidung aber
fällt nicht blindlings sondern nach Maßstäben. Wert als
Positivum und Unwert als Negativum verlangt aus sich
das Maß, an dem sich Wert als Wert erweist. Rickert
scheint solchen Maßstab nicht entbehrt zu haben, denn
Wahrheit steht wie jeder Wert in zeitloser und allgemeiner
Geltung jenseits des Sinnlichen und am Unsinnlichen
fest. Nur schwer wird Theologisches Denken
solcher Absolutheit einer Wertlehre zu folgen vermögen
. —

Hiermit stehen wir vor einem Dritten. Es ist doch
wohl nur für den theoretischen Wert zutreffend, daß
er zeitlos und allgemeingültig ist, sofern er sich auf Urteile
beschränkt wie 2 + 2 = 4.' Schon der ästhetische
Wert des Schönen dürfte nicht dem wandelnden Zeitstrom
enthoben sein und ist gleich garnkht überindividuell
und allgemein, wie man durch eine Besinnung
auf die Beurteilung von Kunstwerken zu verschiedenen
Zeiten und durch verschiedene Personen zu erkennen
vermag. Es erscheint nach diesen drei Erwägungen als
überaus schade, daß Rickert zwar mit Nachdruck für
den Anfang der Philosophie im „universalen Minimum"
die Zweiheit von Ich und Nicht-Ich sieht, daß er diesen
Dualismus auch im ganzen System bedacht haben will,
daß er aber anscheinend dies nicht in dem notwendigen
Maße tut. Bei der Ausgestaltung des Nicht-Ich als des

Unmittelbaren, bei seiner Erfassung als des Zuständ-
lichen, bei seiner Zergliederung als des Sinnlichen und
, Unsinnlichen, beim Aufbau der intelligibeln Welt, bei
ihrer Erfüllung mit Sinngebilden und Wertformen, ist
das reine Ich aus seiner hochabstrakten Anfangsposition
| der reinen Kontemplation nicht mitgewachsen und dadurch
schweben die Werte am Schluß als Werte an sich
im Raum. Es scheint uns überall die bedachte Miteinstellung
der sich entscheidenden und zweifelnden, der
j am Objekt des Unsinnlichen und seinen Sinnzusammen-
i hängen nur zu oft verzweifelnden Person zu fehlen,
j Rickert verließ ja doch längst das eigentliche Unmittel-
| bare des Nicht-Ich des Anfangs. Ihm wuchs aber nicht
mit des „Reinelch", so blieb die Person vor dem Un-
[ sinnlichen und die Person unter den Werten unberedet,
| was ja beides viel mehr als eine Angelegenheit nur der
i praktischen Philosophie ist, was seine Wirkungen haben
i muß auch auf die Ausgestaltung gerade einer Wertlehre
. —

RELIGIONSWISSENSCHAFT

Sierke, Sigurd - Kannten die vorchristlichen Germanen Runenzauber
? Königsberg i. Pr.: Ost-Europa-Verlag 1939. (IV, 127 S.)
j gr. 8" = Schrift, d. Albertus-Univ., hrsg. vom Ostpreuß. Hochschul-
| kreis. Qeisteswiss. Reihe. Bd. 24. RM6—.

Die Frage, ob die vorchristlichen Germanen Runen-
; zauber kannten, ist von den meisten Runenforschern
I mehr oder minder beweiskräftig mit Ja beantwortet wor-
; den, wenn auch einige, wie z. B. G. Neckcl und A. Heier-
j meier, sich gegenteilig geäußert haben. Der Verfasser
j beabsichtigte mit der vorliegenden Arbeit, nicht darzustellen
, welche Runeninschriften „mit Magie und Zauber
zusammenhängend erklärt werden können, sondern
welche so erklärt werden müssen". Er bespricht ein-
I gehend alle Runeninschriften des älteren Futhark und
J vom jüngeren Futhark die, welche über das gewählte
Thema noch etwas auszusagen vermögen. Sierke hat
I eine neue Einteilung der Runendenkmäler nach dem
| Werkstoff und dem Verwendungszweck des beschriebenen
Gegenstandes gefunden. Nacheinander werden
Runeninschriften auf Stein (auf Grabsteinen, Felswänden
und sonstige Inschriften auf Stein) behandelt, dann
alle Inschriften auf Metall, Knochen, Holz, und Ton,
um schließlich allgemeine Fragen wie über die Runen-
j ritzerformel, das Futhark, die Begriffsrune und über
J Zahlensymbolik anzuschließen.

Runeninschriften auf Grabsteinen sind im Verhältnis
I zu den überhaupt bekannt gewordenen Runendenkmälern
besonders zahlreich vertreten (43 Exemplare). Bei ihrer
kritischen Sichtung durch den Verfasser ergibt sich,
daß zwei Drittel aller Grabinschriften einfache üedenk-
inschriften sind, die meist den Namen des Toten nennen
, und nur ein Drittel mit Magie zusammenhängen
kann. Die Zahl der wirklich magischen Grabinschriften
ist wiederum noch kleiner. Diese sind gegen Wiedergänger
und Grabräuber gerichtet. B. Kummer hat sich
in „Midgards Untergang" dagegen gewandt, daß die vorchristlichen
Germanen die Vorstellung vom Aufstehen
des Toten aus dem Grabe, um den Lebenden zu erscheinen
und sie zu quälen, besessen hätten. Einige von
Sierke gebrachten Runeninschriften sind so einwandfreie
! Belege für den Glauben an Wiedergängertum, worauf
er besonders hinweist, daß daran nicht zu zweifeln ist.
j Wenn des Verfassers Äußerungen noch einer Stützung
bedürften, könnte sie von der Vorgeschichte aus zur
Verfügung gestellt werden: Es sind gelegentlich Gräber
untersucht worden, die vollkommen ungestört sind
und in denen der Tote in einer Lage beobachtet wird,
die nur mit einer „nochmaligen Tötung" aus Angst
vor seiner Wiederkehr erklärt werden kann.

Je mehr wir uns dem Christentum nähern, erstarren
die Wiedergängerformeln und auch die Vcrfluchungsfor-
! mein gegen Grabschänder. Die Letzteren erhalten beim