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Ausgabe:

1941

Spalte:

59-61

Kategorie:

Systematische Theologie: Allgemeines

Autor/Hrsg.:

Ries, Johannes

Titel/Untertitel:

Die natürliche Gotteserkenntnis in der Theologie der Krisis im Zusammenhang mit dem Imagobegriff bei Calvin 1941

Rezensent:

Weber, Otto

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59

Theologische Literaturzeitumg 1941 Nr. 1/2

(50

„eine neue unbefangene Darstellung" der Lehre Luthers von den
beiden Regimenten Gottes „notwendig" gemacht.

Vf. bietet, indem er auf diese Veranlassung seiner Arbeit nur
amnerUungsweise eingeht und auch sonst keinerlei Literatur heranzieht
, eine solche Darstellung mit Hilfe zahlreicher, z. T. weniger
bekannter Zitate aus Luther; er geht aus vom Verhältnis des Glaubens
zu den beiden Regimeriten, schildert die Erscheinungsform beider
, bespricht ihre Unterschiedenheit und ihren gegenseitigen Dienst
und schließlich den „Konflikt" zwischen ihnen. Die gewaltsame
Säkularisierung der Gedanken Luther bei Deutelmoser und Kittel
wird dem Leser dieser Schrift jedenfalls deutlich. Ebenso auch
die Grundzüge der Anschauung Luthers selbst und ihre Verbindung
mit dem Rechtfertigungsglauben. Weniger ihre eschatologische Ausrichtung
, wie denn nach Kinder (S. 54) das „Reich Christi" das
weltliche Regiment in sich aufnimmt, während nach Luther beide
Reiche dem regnum gloriae weichen, in dem Gott ,,ipse per se,
non amplius per humanitatem regnabit" (W 2, 457); das ist auch
der Sinn von Kinders Belegstelle S. 54, Anm. 10. Das herkömmliche
Schema der Behandlung dieser Gedanken als eines „Lutherischen
Lehrstücks" — nicht ohne daß idealistisdi-neulutherische Ideen sich
einschleichen, z. B. daß der Gesichtspunkt der Ordnung das geistliche
Amt begründe (S. 27) — läßt freilich die bewegte Schau des
„unterschiedenen Beieinander" der beiden Reiche verblassen und
damit auch den existenziellen Ernst dieser Schau; sie werden vielmehr
zunächst so sehr bloß nebeneinander gestellt, daß die positive Beziehung
auch der weltlichen Ordnung als „Zeichen göttlicher Gnade"
auf das Reich des Heids etwas unklar bleibt (S. 16); daß dann
die nachträgliche Verhandlung des lebendigen Verhältnisses beider
Reiche zueinander fast wie eine Korrektur der bisherigen Darstellung
wirkt; daß schließlich die konkrete Auseinandersetzung beider auf
„Konflikte" reduziert wird. Manche Formulierungen erklären sich
aus dieser Methode; sie treffen aber sachlich nicht zu: z. B. daß —
nach Luther — der Christ eben als solcher sich „der Welt ganz
hingeben" (S. 20), oder daß Gott für sein weltliches Regiment
unmittelbar „inspirieren" könne (29). Die Nöte (vgl. z. B. S. 36, Abs. 1,
Ende; 41, Abs. 2, Ende; S. 44, Mitte, wo die durch das Evangelium
dem weltlichen Regiment vermittelte „tieferliegende . . .
rechte Gesinnung" doch an Deutelmosers „Innerlichkeit" grenzt!),
Vor die dieses lutherische „System" heute führt, werden übergangen
; so ausdrücklich das Problem des Widerstandsrechts (51).

Wesentlich neue Erkenntnisse sind nicht errungen; es kam auch
nicht darauf an. Mit seiner besonderen, apologetischen Absicht wird das
Heft sicher den erwünschten Dienst leisten. Bedauerlicherweise hat
Vf. andere, tiefer eindringende Bemühungen um seinen Gegenstand
ignoriert. So die z. T. auch gegen Deutelmoscr gerichtete Studie
von H. Diem, „Luithers Lehre von den zwei Reichen", 1938, die
der Sachproblematik selbständig und vom richtigen Einsatzpunkt,
nämlich von der „christlichen Unterrichtumg der Gewissen" als dem
Grundanliicgen Luthers aus nachgeht. Sie läßt deutlich erkennen,
wie das „unterschiedene Beieinander" der beiden Reiche die Anwendung
der Gedanken Luthers darüber stets neu zu einer gefährlichen
und verantwortungsvollen Aufgabe macht.

Halle/S. E. Wolf

Ries, P. Dr. Johannes, O.M. I.: Die natürliche Gotteserkenntnis
in der Theologie der Krisis im Zusammenhang mit dem
Imagobegriff bei Calvin. Aufweis der Grundlagen und Versuch
einer Kritik. Bonn: Peter Hanstein 1939. (XVII, 282 S.) gr. 8° =
Grenzfragen zwischen Theologie u. Philosophie hrsg. v. Arnold Rademacher
t u. Gottlieb Söhngen. Bd. XIV. RM 9.20.

Die seit Jahren bestehenden Streitigkeiten über die
theoloigia naturalis greifen so tief in zentrale Fragen
katholischer Theologie ein (vgl. Vaticanum und An-
timodernisteneid), daß die lebhafte Beteiligung katholischer
Theologen nicht verwunderlich ist. Die vorliegende
Arbeit, eine Bonner Dissertation, ist innerhalb
dieses Zusammenhangs von besonderem Wert. Sie entwickelt
in ihren drei Teilen den Begriff der imago
Dei bei Calvin, alsdann die Problemstellung bei Barth
und schließlich eine kritische Stellungnahme von beachtlicher
Klarheit und systematischer Kraft. Die Kontroversliteratur
neben Barth ist herangezogen, bleibt aber
im ganzen, abgesehen von Brunner, mehr abseits. Die
Darstellung der Lehre Barths ist als zutreffend zu bezeichnen
. Die Kritik geht von Barths Sündenbegriff aus
und wendet vor allem ein, daß die „Identität des sündigen
und des begnadigtien Menschen" bei ihm nicht gewahrt
bleibe und die Auffassung der Sünde als „transzendentale
Disposition" den Schuldcharakter der Sünde
zerstöre. Es folgt dann eine Exegese von Rom. 1,18 ff.

und Hörn. 2,14—16, die im ganzen dem entspricht, was
: auch von evangelischer Seite gegen Barths Interpretation
eingewendet worden ist. In zwei weiteren Kapiteln
wird sodann der Begriff der imago Dei kritisch und
positiv entwickelt. Wahrend der Verfasser die Unter-
i Scheidung Brunners (formale und materiale imago) als
inkonsequent ablehnt, unterscheidet er selbst zwischen
j „natürlicher" und „übernatürlicher" Ebenbildlichkeit.
Dein entspricht die weitere Unterscheidung zwischen
I „Seins"- (natürliche Gottebenbildlichkeit) und „Tätig-
I seins-Bildsein" (übernatürliche Gottebenbildlichkeit) „auf
| Gott hin". Das letztere ist durch die Sünde verloren,
j Aber „es bleibt eine von der Sünde nicht zerstörte Wirk-
i lichkeit zurück", die freilich ihrerseits „unter der Aus-
| sage der Erlösung steht, sofern das Ziel der Erlösung
< die Wiedererlangung der übernatürlichen Gotteserkennt-
j nis und ihrer Gerechtigkeit ist." Nur auf diese Weise
j ist nach der Ansicht des Verfassers die Wahrung der
i Identität des Sünders mit dem Gerechten möglich. Nach
! einer sehr aufschlußreichen Konfrontierung des Thomas
mit Barth und Brunner kommt der Verfasser dann in
der Behandlung der analogia entis und der analogia
fidei auf die oben erwähnte Unterscheidung von einer anderen
Seite zurück: dem „natürlichen Bildsein" oder
„Seins-Bildsein" entspricht hier die analogia entis, dem
„übernatürlichen" oder „Tätigseins-Bildsein" die analogia
fidei. Wie die beiden Arten des „Bildseins", so
sind auch analogia entis und analogia fidei aufeinander
angelegt. Dies ist der Grundgedankengang, der mit
ausgezeichneter Sauberkeit und Straffheit, auch durch
eine Fülle von Einzelproblemen, durchgeführt wird.
Fraglos ist damit ein sehr beachtlicher Beitrag zur Diskussion
geleistet: der thomistische Grundsatz gratia per-
fkit naturarn ist in seinem ganzen Schwergewicht entwickelt
. Der Verfasser ist sich darüber klar, daß die
evangelische Theologie, die ja eben diesen Grundsatz
nicht zu teilen vermag, ihm im ganzen nicht zustimmen
kann. Aber das schließt nicht aus, daß sich sehr viel
von dieser Arbeit lernen läßt.

Ries hat sich nun durch Barths wie Brunnets Bezugnahme
auf Calvin dazu bringen lassen, im ersten Teil
seines Buches auch die Stellung Calvins zum Problem
der imago Dei und zur natürlichen Theologie, hier auch
in gelegentlicher Auseinandersetzung mit Gloede, einer
Untersuchung zu unterziehen. Der Rezensent kann sich
des Eindrucks nicht erwehren, als ob es für den Wert
' der vorliegenden Arbeit besser gewesen wäre, wenn die-
j ser an sich gut entbehrliche Abschnitt fehlte. Ries hat
sich von der Neigung Barths und seiner Schule, Calvin
für sich in Anspruch zu nehmen, anscheinend stark beeindrucken
lassen, zumal ihn der, wenigstens zu Anfang,
etwas unglücklich angesetzte umgekehrte Versuch Brunners
und Gloedes wohl von vornherein nicht befrie-
digt hat. Seine Abschlußbehauptung, die Stellungnahme
Barths sei „die folgerichtigere reformatorische Haltung"
I (281), ist jedenfalls nach Ansicht des Rez. weder gegen-
| über Luther, noch gegenüber Calvin haltbar. Die Un-
j tersuchung der Ansicht Calvins baut sich auf ein recht
I eng begrenztes Quellenmaterial auf und leidet an dem
| in der Calvinforschung so oft begangenen Fehler, sich
im wesentlichen nur an die unmittelbar einschlägigen
Stellen der Institutio und der Kommentare zu halten
und diese ohne hinreichende Beachtung des Ganzen
zu interpretieren. So ließe sich z. B. entgegen der
j von Ries ohne wesentliche Einschränkung vertretenen
j Behauptung, nach Calvin habe der Mensch die imago
Dei verloren, ein ganzes Heer von Stellen, vor allem
aus den Vorlesungen und Predigten, aufführen, die zeigen
, daß Calvin den Menschen, so wie er ist, auf die
imago hin anredet. Wenn Ries ferner, wie auch Barth,
behauptet, Calvin erkenne in dem semen religionis und
im Gewissen nur den Zweck, den Menschen unentschuldbar
zu machen, so läßt sich zeigen, daß nach Calvin
auch die v o x externa der Predigt t a n t u tu
inexcusabiles reddit qui eam audiunt, neque ob-