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Ausgabe:

1941

Spalte:

35-37

Kategorie:

Kirchengeschichte: Mittelalter

Autor/Hrsg.:

Grabmann, Martin

Titel/Untertitel:

Methoden und Hilfsmittel des Aristotelesstudiums im Mittelalter 1941

Rezensent:

Meinhold, Peter

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85

Theologische Literaturzeitung 1941 Nr. 1/2

j der quaestiones disputatae gehaltenen Kommentare von
i Siger von Brabant, die Qrabmann aufgefunden und Van
KIRCHENGESCHICHTE: MITTELALTER Steenberghen in seinem ausgezeichneten Sigerbuch (1931)

I verwertet hat, sehen ihr Ziel in der Ermittelung der in-
Grabmann, Martin: Methoden und Hilfsmittel des Aristote- ! tentio philosophi und andererseits darin, Aristoteles nach
lesstudiums im Mittelalter. München: c. H. Beck in Komm. 1939 Averroes zu verstehen und umzudeuten. Der Begründer
(198 s.) 8° = Sitzungsber. d. Bayer. Akad. d. Wissensch. Philo- des christlichen Aristotelismus, Albert der Große, hat
soph.-Histor. Abt., Jahrg. 1939, Heft 5. RM 10— { bereits nicht mehr Kommentare im engeren Sinne hinter

Martin Grabmann, der in den letzten Jahren eine
Reihe von Monographien, Aufsätzen und Editionen neuaufgefundener
Texte zu dem für die Theologie- und Philosophiegeschichte
bedeutsamen Problem des mittelalter

lassen; seine Erklärungen sind freie Textparaphrasen, in
denen die eigenen philosophischen Gedanken niedergelegt
werden. Der Meister in der Kommentierung von
Aristoteles ist Thomas von Aquino; seine Erklärungen

liehen Aristotelismus veröffentlicht hat, bietet in seiner | beruhen auf sicherer philologischer Grundlage, berück
letzten Münchener Akademieabhandlung die Bearbeitung j sichtigen stets Kontext und Zusammenhang der zu erklä-
eines neuen, im Zusammenhang und auch im einzelnen : renden Stelle, versuchen Widersprüche auszugleichen und
bisher noch nicht in Angriff genommenen Gebietes dar. I wollen ebenfalls die intentio Arristotelis feststellen. Mit
Seine Untersuchungen gelten der Frage der Rezeption i Nachdruck betont Grabmann gegen die entgegengesetzte
von Aristoteles im Mittelalter, die vor allem nach der j Auffassung von Renan, Mandomnet und H. Meyer, daß
methodisch-technischen Seite der mittelalterlichen Aristo- I Thomas in den Methoden seiner Aristoteleserklärung
telesliteratur hingeführt wird. So wird die Entwicklung
des mittelalterlichen Aristotelismuis an Hand einer Untersuchung
der Erklärungen und Bearbeitungen verfolgt,
welche die Werke des Aristoteles gefunden haben, sowie
der verschiedenen, eine eigene Literaturgattung bildenden
Hilfsmittel, die sich das Mittelalter für die Aneignung
der aristotelischen Philosophie geschaffen hat.
Grabmanns Darlegungen stützen sich dabei, wie alle
seine Arbeiten, auf viel neuerschlossenes und erstmalig
unter den genannten Gesichtspunkten hin durchforschtes
und auszugsweise wiedergegebenes handschriftliches Material
- Sie vermitteln einen lebendigen Eindruck von dem
Bemühen des Mittelalters, sich den antiken Bildungsstoff
anzueignen und in seiner Reproduktion sich selbst zu
entwickeln. Gerade durch eine Darstellung der Wege,
auf denen sich die Rezeption von Aristoteles vollzogen
hat, gewinnt man ein reizvolles Bild, wie das Mittelalter
allmählich in die Probleme der aristotelischen Philosophie
eingedrungen ist und sie sich zu eigen gemacht hat
und wie der Aristotelismus zu einem integrierenden Bestandteil
des mittelalterlichen Weltbildes, so verschieden
es auch im einzelnen sein mag, geworden ist.

Die vorliegende Abhandlung geht von der Würdigung
und Beschreibung der Handschriften, aus, wobei
die Latinität, die Zusammenstellung der aristotelischen

nicht von Averroes abhängig ist; in der Tat begegnen
die von Thomas angewandte Methode und Technik bereits
im 12. Jahrhundert vor Adam von Bocfeld. Ende des
13. und Anfang des 14. Jahrhunderts treten dann die
beiden bei Thomas noch vereinigten Typen der Aristo-
telesauslegungen auseinander, die Erklärung per modern
quaestionis und per modum commenti. Jene lockert den
Zusammenhang mit dem Grundtext, der lediglich den
Ausgangspunkt für die Entfaltung der eigenen Gedanken
abgibt, während diese auf die Ermittlung des Wortsinnes
und Gedankenganges gerichtet bleibt. Das Übergewicht
fällt, wie an Johannes Buridanus und Walter Bur-
leigh gezeigt wird, der in Quaestionenforrn gehaltenen
Erklärung zu- Dieser geschichtliche Überblick über Methode
und Technik der Aristoteleserklärung stellt zugleich
eine interessante Beleuchtung des mittelalterlichen
Aristotelismus in ideengeschichtlicher Hinsicht dar, haben
doch alle philosophischen Richtungen des Mittelalters
sich an Aristoteles geschult und mit ihm auseinandergesetzt
.

Die im Anschluß an diesen Abschnitt über Methode
und Technik der Aristoteleskommentierung von Grabmann
, sodann behandelten Literaturgattungen der Abbreviationen
, der Kompilationen, Konklusionen, lexikalischen
Übersichten und Florilegien zeigen, wie stark das Bemü-

Schriften, die Anordnung von Text, Glossen und Korn- | hen um die schulmäßige Aneignung sowie um die Popu-
mentar, sowie die für die Hochschätzung von Aristoteles I larisierung der aristotelischen Philosophie gewesen ist*
bezeichnende symbolisierende Ausschmückung der Hand- j Die Abbreviationen sind knappe, Aufbau und Geschritten
berührt werden; auch auf die textkritische dankengang einzelner, besonders in den Vorlesungen beBedeutung
einzelner mittelalterlicher Aristotelesüber - j handelter aristotelischer Schriften zusammenfassende Besetzungen
wird mit Nachdruck hingewiesen. arbeitungen, die in erster Linie als Hilfsmittel für die
Die sich anschließende Darstellung der geschieht- ! Scholaren der Artistenfakultät gedacht waren. Im einzellichen
Entwicklung der Aristoteleskommentierung zeigt ! nen werden dann Abbreviationen dieser Art von Robert
zweierlei: einmal die Entwicklung der Deutung der ari- j Grosseteste, anonyme aus einer Würzburger und Erlan-
stotelischen Philosophie, sodann die Herausbildung der , ger Handschrift, von Johannes Quidort von Paris, Guido
Methode und der Formen, in denen diese Deutung sich ; Vernani von Rimini, Petrus von Corveheda, Johannes
ausspricht. An einzelnen bedeutsamen oder charakteristi- Krosbein, Marsilius von Inghen und Jordanes von Bei-
schen Aristoteleserklärungen wird beides im Zusammen- ' gamo, um nur die wichtigsten zu nennen, mit reichen
hang dargestellt und damit ein geschichtlicher Überblick : Textproben erläutert- Die Abbreviationenliterautr er-
über das mittelalterliche Aristotelesverständnis gegeben, j folgt das Ziel, unabhängig von den großen gelehrten
der so noch nicht vorlag. Dieses Kapitel zeigt durch die j Kommentaren schnell eine Kenntnis der wesentlichen
Verwertung unbekannter handschriftlicher Quellen, wie i Gedanken wichtiger aristotelischer Werke zu vermitteln

die Methode und die Technik der Aristoteleserklärung
von ihren Anfängen bei Boethius an sich herausgebildet
haben und wie mit der Entdeckung und Verarbeitung
des ganzen Aristoteles das mittelalterliche Denken befruchtet
und bereichert worden ist. Unter dem Einfluß
von Abaelard, dessen ausgebildete Methode der Interpre-

Das geht besonders aus den von Jakob von Alexandrien
für König Robert von Neapel verfaßten Kompendien
hervor; sie wollen in gedrängter Form den wesentlichen
Inhalt der metaphysischen, ethischen und naturwissenschaftlichen
Bücher von Aristoteles für den durch die
Politik viel in Anspruch genommenen König zusamnien-

tation von Aristoteles für das ganze 12. Jahrhundert von fassen- Auch eine eigens für Studenten zu Examens

größtem Einfluß gewesen ist, bildet sich schon im 12. j zwecken mit Fragen und Antworten abgefaßte Quaestio-

Jahrhundert der Typus der Interpretation in Quaestio- nensammlung zur aristotelischen Logik gehört in diesen

nenform heraus, der dann im 13. Jahrhundert in den Schriftenzweig. Die Konklusionen geben die wich-

besonders zahlreichen Kommentaren aus der Pariser tigsten Thesen von Aristoteles mit dem kurz skizzierten

Artistenfakultät auf quaestio, dubitatio und soluitio er- Beweisgang wieder; sie stellen eine Anwendung des ari-

weitert wird. Das Prinzip der Auslegung beruht darin, stotelischen Beweisverfahrens auf Aristoteles selbst dar.

Aristoteles ex Aristotele zu erklären. Die in der Form , Die bekannteste Konklusionensammlung stammt von Gon-