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Ausgabe:

1941 Nr. 1

Spalte:

354-355

Kategorie:

Kirchengeschichte: Neuzeit

Autor/Hrsg.:

Imendörffer, Nora

Titel/Untertitel:

Johann Georg Hamann und seine Bücherei 1941

Rezensent:

Stephan, Horst

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Theologische Literaturzeitung 1941 Nr. 11/12

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bekannt geworden. In der niederländischen Theologiegeschichte
ist er der hervorragendste Vertreter der Vermitt-
lungstheologie des 19. Jahrhunderts, jenes letzten verzweifelten
Versuchs, auf dem Boden eines stark apologetisch
auftretenden Supranaturalismus und mit den Kräften
der Erwcckungsbewegung das Auseinanderfallen der
Theologie in völlig getrennte Lager (in den Niederlanden
in die großen Gruppen der „Modernen", der „Ethischen
" und der „Gereformeerden") zu verhindern.

Es liegt über jedem derartigen Versuch eine tiefe
Tragik. Das zeigt auch die Geschichte der deutschen
Vermittlungstheologie, mit der van Oosterzee in lebendiger
Verbindung gestanden hat.

Die vorliegende Arbeit unternimmt es nun, auf Grund
des vielerorten verstreut aufbewahrten Briefwechsels van
Oosterzees sowie auf Grund seiner eigenen Lebenserinne-
rungen, die neben der Druckform auch im Manuskript
herangezogen wurden, diese Tragik im Leben und Wirken
des Utrechter Meisters zu schildern. Es geschieht
dies mit eindringender Liebe und unter breiter Entfaltung
des sonst ja nicht ohne weiteres zugänglichen Stoffes
. „Gemeinschaft und Vereinsamung" — das ist das
Gesamturteil über dies Menschenschicksal. Wir begleiten
van Oosterzee an die Stätten seiner machtvollen und
menschlich erfolgreichen Tätigkeit als Prediger (vor allem
in Rotterdam), lernen die Menschen der verschiedensten
Lager kennen, mit denen er in Beziehung gestanden
hat, spüren die mächtigen Antriebe, die ihm die öffentliche
Anerkennung und der junge Ruhm verschaffte, erleben
dann aber, wie er, vor allem etwa seit 1848, immer
einsamer wird, wie alte Freundschaften sich lockern, wie
in seiner Gemeinde das Verständnis abnimmt, wie er
unter einem Übermaß an praktischer Arbeit die geliebte
Wissenschaft verlieren zu müssen fürchtet, wie er immer
und immer wieder in der Hoffnung, auf die Universität
übergehen zu können, enttäuscht wird, und wie vor allem
neue Strömungen machtvoll heranwachsen, radikaler, als
er sie innerlich verkraften konnte, und all sein Schaffen
wirkungslos zu machen beginnen, auch, nachdem er endlich
1S03 das Rotterdamer Pfarramt für zwei Jahrzehnte
mit der Utrechter Professur hat vertauschen können. Immer
wieder, bei zahllosen Menschen, denen er begegnet,
das gleiche Bild: zuerst persönliche Sympathie auf beiden
Seiten, Anregungen von da und von dort — und dann
doch bald das Gefühl, von dem anderen im Eigentlichen
nicht verstanden zu werden und ihm auf seinem Wege
nicht folgen zu können. Es wird deutlich, daß hier nicht
nur die Tragik wirksam ist, die über jeder Vermittlung
lastet, sondern auch eine unglückliche psychische Konstitution
, ein zu starkes Hervortreten des Gefühlsmäßigen,
eine zu große Nachgiebigkeit gegen andere und gegenüber
den eigenen Stimmungen, ein unsicheres Schwanken
in der Wahl des eigenen theologischen Arbeitsgebiets,
eine merkwürdige Unsicherheit im Bezug auf die Grundlagen
seiner Arbeit. Dem allen geht der Verfasser in liebevoller
Analyse nach, und aus der Fülle von Einzelheiten
gestaltet er, ohne nach billigen Effekten zu haschen,
ein geschlossenes, packendes Gesamtbild.

Wir haben aber nicht nur Anlaß, für diesen lebendigen
Beitrag zur Geschichte der Vermittlungstheologie
des 19. Jahrhunderts und zur Problematik jeder Vermitt-
lungsthcologie dankbar zu sein. Für den, der die Theologiegeschichte
des 19. Jahrhunderts kennenlernen will,
ergibt sich aus diesem Buche reiches Material allgemeinerer
Art. Die niederländische Theologie lebt auf einem
geographisch engen Raum. Das hat zur Folge, daß einmal
fast alle Theologen einer Epoche in unmittelbarer
persönlicher Beziehung zueinander stehen und daß zum
anderen die Einwirkungen ausländischer Theologie, besonders
der deutschen, recht stark sind. Bei einem Vermittlungstheologen
liegt es außerdem in der Natur der
Sache, daß er seine Beziehungen nach allen Seiten hat.
So ist das Leben van Oosterzees, in das uns das vorliegende
Buch einen Einblick gewährt, gleichsam ein Brennspiegel
der gesamten niederländischen Theologie im zweiten
Drittel des vorigen Jahrhunderts. Da aber seit etwa
1850 jene Strömungen entstanden, die noch heute die
niederländische Theologie maßgebend bestimmen, so erfahren
wir zu ihrer Gesamtcharakteristik und damit auch
zum Verständnis der heutigen niederländischen Theologie

I vieles höchst Anregende. Es gibt keinen damaligen Theologen
von Bedeutung, beginnend bei „Modernen" wie

: Schölten über „Ethische" wie die Groninger Lehrer bis
hin zu dem großen Führer der „Gereformeerden" Abraham

, Kuyper, der nicht das Leben van Oosterzees in persönlicher
Berührung und sachlicher Auseinandersetzung gekreuzt
hätte. Das eigene Urteil des Verfassers tritt dabei
in den Hintergrund: die geschichtlichen Persönlichkeiten
begegnen uns unbeurteilt und unverfärbt. Auch die Beziehungen
van Oosterzees zur zeitgenössischen deutschen
Theologie sind gründlich nachgezeichnet, wobei
deutlich wird, daß Oosterzee der Erweckungsbewegung
wesentlich näher stand als die meisten unserer Vermittlungstheologen
(seine Beziehungen gehen vornehmlich zu
J. P. Lange und dem Kreis der Basler Missionskonferenz).

Eine Biographie van Oosterzees will der Verfasser
nicht geben. Auch eine thetische Darstellung der Theologie
des Utrechter Meisters ist außerhalb der Absicht
des Buches (ein Abriß wäre zur besseren Orientierung
immerhin erwünscht gewesen). Was wir empfangen, ist
ein tiefer und ergreifender Einblick in die Innenwelt und
in die Umwelt van Oosterzees, der zu aufrichtigem Dank
verpflichtet.

Göttingen Otto Weber

Dedic, Dr. Paul: Der Geheimprotestantismus in Kärnten
während der Regierung Karls VI. (1711 — 1740). Klagenflirt:
Ferd. v. Kleinmayr 1940. (188 S.) gr. 8° = Archiv f. vaterländ.
Gesch. u. Topographie, hrsg. v. Ueschichtsvtmn für Kärnten.
26. Jahrg. RM 7.50.

Der Protestantismus in Kärnten erscheint hier auf
Grund reichen Materials für die ersten Jahrzehnte des
achtzehnten Jahrhunderts in vielfach neuem Lichte: in
seinen Beziehungen zum Regensburger Corpus Evange-
licorum, zur Salzburger Auswanderung und zur eigenen
Umsiedelung nach Siebenbürgen. Auch sein inneres Gesicht
wird vielfach neu beleuchtet. Doch ist der vielseitige
Inhalt der wertvollen Veröffentlichung damit keineswegs
erschöpft. Ihre besondere Bedeutung liegt darüber hinaus
darin, daß hier die beiden katholischen Gegenspieler,
der weltliche der Innerösterreichischen Regierung und
der geistliche, besonders in den Jesuiten verkörpert, in
voller Nacktheit vorgeführt werden. Ihre Hilflosigkeit
erscheint um so größer, als sie echt bureaukratisch meistens
gegen einander regieren. Außerdem lassen die
Quellen keinen Zweifel darüber, daß die Schuld an der
Konservierung des Protestantismus trotz bedrängtester,
äußerer Lage auch sonst wesentlich den altkirchlichen
Mächten zuzumessen ist. Die ganze vielbewegte religionspolitische
Episode kann nicht als Ruhmesblatt dieser
Mächte und des aufgeklärten Jahrhunderts bezeichnet
werden. Der Verfasser beschränkt sich im allgemeinen
! auf eine zwar recht ergiebige, aber oft allzu ausführliche
| und nicht genügend gesichtete Aktenrelation, der ein weiterer
und festerer Rahmen noch zu geben wäre. Dann
dürfte man auch auf einen Rückblick auf die Entstehungsgeschichte
nicht verzichten. Trotzdem ist Dedics
fleißige Studie als ein schätzenswerter Beitrag zur Geschichte
des österreichischen Protestantismus zu bezeichnen
.

Malente (Holstein) J. Hashagcn

Imendörffer, Dr. Nora: Johann Georg Hamann und seine
Bücherei. Königsberg (Pr.): Ost-Europa-Verlag 1038. (VIII, 174 S.)
8° = Schritten d. Albertus-Univers. Geisteswiss. Reihe. Bd. 20.

RM 6.80.

Das dankenswerte Unternehmen, Hamanns riesige
Bücherei monographisch zu behandeln, entspringt der Erkenntnis
, daß sie in einem ganz besondern Verhältnis
zu seiner Person steht und den Beziehungsreichtum seiner
Briefe wie seiner dunkeln, aphoristisch-knappen