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Ausgabe:

1941 Nr. 1

Spalte:

352

Kategorie:

Kirchengeschichte: Neuzeit

Autor/Hrsg.:

Franz, Eugen

Titel/Untertitel:

Ludwig Freiherr von der Pfordten 1941

Rezensent:

Lerche, Otto

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Seite 1

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Theologische Literaturzeitung 1941 Nr. 11/12

352

wesens vorgeführt. Auch das Ziel der philologisch-histo-
rischen Bibelbildung soll möglichst breite Volkskreise
erreichen (vgl. die Gestaltung der „Prophezei"), bei den !
nach bestimmten Zwecken abgestuften Predigten sind J
sogar besondere Plätze für die Schwerhörigen nicht '
vergessen. Die Sittenzucht geht bis ins Einzelste und
wird im Wesentlichen durch das Ehegericht geregelt.
Immer aber bleibt die Volkser'ziehung „gottbezogen",
weil eben die beiden Erziehungsmächte Kirche und
Obrigkeit sich gemeinsam unter das göttliche Wort und
seinen Propheten Zwingli selbst, stellen und sich gegen-
seitig durchdringen. Der Darstellung der Volkserziehung
schickt Meister eine selbständige Analyse von Zwingiis
„Lehrbüchlein" voraus, um die pädagogische Wirkung
der Reformation im Bereiche des Einzelnen zu illustrie- i
ren. Richtig ist gesehen, wie hier das Evangelium Tota-
litätsanspruich erhebt, es hätte nur schärfer unterstri- j
chen werden sollen, daß dieser Anspruch nicht glatt
durchgeführt werden kann. Gewiß, „das Ja zum Huma- !
nismus ist ein gebrochenes", aber das Ja zum Evange- |
lium ist auch gebrochen, eben durch die Antike, und der j
Krieg wird gerechtfertigt mit dem Alten Testament,
nicht mit dem Evangelium. — Über Vorzüge und Nach- {
teile dieser Theokratie ist hier nicht zu handeln. Daß sie
Großes geleistet hat, führt Meister eindringlich vor; !
daß aber auch hier, und nicht nur im Luthertum, eine
Pastorenherrsehaft drohen kann, zeigt der S. 119 mitgeteilte
Fall des Dringens der Pfarrersynode auf Wahrung
des Standesbewußtseins.

Ein paar Kleinigkeiten: Man kann nicht sagen, daß bei Luther
der Gemeinde neben der Wortverkündigung „keine selbständige Bedeutung
zukomme" (S. 56), vgl. seine Schrift: „Daß eine christliche
Versammlung Macht habe, alle Lehre zu urteilen" (1523) u. a.
— Daß Zwingli die Zürcher Schule „zu einer vollständigen Universität
ausbauen wollte" (S. 82), kann aus der hingeworfenen Äußerung:
„ich hoffe, daß Zürich vielen Universitäten nicht nachsteht", schwerlich
gefolgert werden. — Der Bann sollte ursprünglich doch „Bestandteil
rein kirchlicher Ordnung" sein, nämlich beim Abendmahl,
aber die Obrigkeit ließ es nicht zu (vgl. Krit. Zwingliausgabe
IV 25 ff.).

Heidelberg W. Köhler I

I

KIRCHENGESCHICHTE: NEUERE ZEIT

Angelus Silesius: Cherubinischer Wandersmann. Eingel. u. I
erl. von Wil!-Erich Peuckert. Leipzig: Dieterich [o. J.]. (XXXVIII,
248 S.) kl. 8° = Sammlung Dieterich 64. RM 2.80. J

Zu diesem schönen Bändchen der trefflichen Sammlung
Dieterich wird mancher gern greifen, der den nach
innen gewandten Sinn und das kunstvolle Wort- und Gedankenspiel
der „geistreichen Sinn- und Schlußreirne" |
auf sich wirken lassen möchte. Ob die Ausgabe freilich J
dazu helfen wird, daß nicht nur wie meist einige blitzende
Sentenzen daraus genossen und nachempfunden, sondern
die sechs Bücher im ganzen gelesen werden, auch
mit der vielen Manier, die neben großer Dichtung drin j
enthalten ist, und der reichlichen Übernahme der Bilder I
aus der bernhardinischen Mystik, namentlich im 3. Buche
? Es wäre gut, denn nur dann bekommt man ein Bild
des „Wandersmanns", das sich einigermaßen mit der
widerspruchsreichen, vielseitigen Gestalt Schefflers zu j
einem Ganzen vereinigen läßt. W. E. Peuckert gibt in
der lebendigen, in seiner impressionistischen Art geschriebenen
Einleitung und knappen Erläuterungen gute
Hilfe dazu, er stellt das Büchlein vor allem in die große
pansophische Zeitbewegung hinein. Er wird sich damit
den Dank vieler Benutzer der hübschen und praktischen I
Ausgabe erwerben. Die Einleitung ist begreiflicherweise ]
zu knapp, um zum Anlaß einer kritischen Auseinander- I
Setzung werden zu können. Ich sehe manches anders. I
Nicht nur das wie üblich zu grob schematisierte Bild der j
lutherischen Orthodoxie, auch die Gestalt Schefflers
selbst. Das starke Vorbild der gleichen Dichtungsart bei
Czepko scheint mir nicht genug, der Einfluß der katholischen
Mystikertexte aus der Sammlung des Sandaeus
in den Erläuterungen hie und da noch zu hoch bewertet.
Auch das zugleich fesselnde und abstoßende Menschenbild
würde ich bis in die Jahre des Konvertitenhasses hinein
einheitlicher zeichnen: eine verzehrende Leidenschaft in
einem Geist von eigentümlicher nervöser Schwäche; er
fällt immer stärkeren Kräften anheim, saugt sie aus,
übertrumpft jede auf ihrem Felde, die pansophische Mystik
wie den gegenreformatorischen Willen seiner katholischen
Gönner, und täuscht durch die Grenzenlosigkeit
seines Wortes eine Kraft vor, die er aus sich selbst nicht
besitzt. (Ich darf vielleicht auf meine Besprechung der
grundlegenden Ellingerschen Biographie Hist. Vierteljahrsschrift
24, 1929, S. 657 f. und auf C. Vietors ausgezeichnete
Skizze in den Schlesischen Lebensbildern III,
S. 78—89 verweisen). Seine großen Dichtungen, vor
allem seine reinsten Lieder und das Beste des Cherubinischen
Wandersmanns, zeigen das fressende Feuer seines
Geistes zu stiller Glut herabgebrannt und haben darum
etwas Beseeltes, Versöhnendes, was ihm sonst fehlt
und dem, bis heute spürbar, sein Sehnen galt.

Leipzig Heinrich Born kämm

Franz, Eugen: Ludwig Freiherr von der Pfordten. München:
C. H. Beck 1938. (XV, 423 S., 1 Abb.) gr. 8° = Schriftenreihe
z. Bayer. Landesgeschichte, Bd. 29. RM 16—.

Ludwig Freiherr v. d. Pfordten ist der Typus des tragischen
Staatsmannes. Unbedingt deutschfreiheitlich und
antiklerikal eingestellt wurde er als Professor der Rechte
in Würzburg 1841 ein Opfer der reaktionären Politik
Ludwigs I. In Leipzig als Professor und zweimal hintereinander
als Rektor der Universität erlebte er tiefe Enttäuschungen
über die Auswirkungen der Märzrevolution.
Als Sächsischer Ministerpräsident (1848/1849) hat er
die liberalen Kräfte des Bürgertums vergeblich gegen die
grobe Demokratie zu sammeln gesucht. Noch schwieriger
wurde seine Lage als Ministerpräsident in Bayern, wohin
ihn das Vertrauen des Königs Max II. rief: hier sah sich
der ursprünglich liberale Minister immer mehr auf die
Unterstützung durch die Klerikalen angewiesen, und der
alte Großdeutsche mußte schließlich nur bayrisch-parti-
kularistische Politik machen, weil sein Monarch, der ihn
in entscheidenden Momenten immer im Stiche ließ, solche
Haltung von ihm verlangte. Ganz unmöglich war die
Stellung v. d. Pfordtens endlich unter einem sehr autokratisch
regierenden Herrn wie Ludwig IL!

Kirchengeschichtlich bemerkenswert ist die Person und
die Wirkung v. d. Pfordtens in verschiedener Hinsicht. Antiklerikal
und deutschfreiheitlich eingestellt stand der überzeugte
Protestant zunächst neben dem Grafen Giech in
der Abwehrfront der Evangelischen. Wie der fränkische
Graf so gehörte auch der Leipziger Professor und Rektor
dem Zentralvorstande des Gustav Adolf - Vereins an.
Schwere Enttäuschungen erlebte der bayrische Ministerpräsident
in der Entwicklung der evangelisch-lutherischen
Landeskirche, in der selbst ein Mann wie Harleß nicht
Ordnung und Frieden schaffen konnte. Schließlich mußte
sich der König darüber beklagen, daß sein Ministerpräsident
den katholischen Bischöfen allzusehr entgegen gekommen
sei. Franz gibt in seinem quellenmäßig gut unterbauten
Buche nicht eine eigentliche Biographie, sondern
eine Darstellung des Politikers v. d. Pfordten, dem
wir unsere Sympathie nicht versagen werden, auch wenn
wir immer wieder Entgleisungen und Fehlschläge feststellen
müssen. Die Einzelheiten der kirchlichen Haltung
und der Kirchenpolitik treten in der Darstellung bei
Franz in den Hintergrund.

Berlin Otto Lerche

Rhijn, Dr. M. van: Gemeenschap en Vereenzaming. Een Studie
over J. J. van Oosterzee. Amsterdam: H. J. Paris 1940. (IX,
319 S., mehr. Taf.) gr. 8° fi. 4.90; geb. fl. 5.90.

J. J. van Oosterzee ist weit über die Grenzen seines

Vaterlandes vor allem durch seine Praktische Theologie