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Ausgabe:

1941 Nr. 1

Spalte:

350-351

Kategorie:

Kirchengeschichte: Reformationszeit

Autor/Hrsg.:

Meister, Willi

Titel/Untertitel:

Volksbildung und Volkserziehung in der Reformation Huldrych Zwinglis 1941

Rezensent:

Köhler, Walther

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Theologische Literaturzeitung 1941 Nr. 11/12

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Die große und richtige Oesamtschau, die Hultsch gibt, hätte eine
„Widerlegung" der Position Nietzsches überflüssig gemacht. Leider
belastet Hultsch nun doch sein Büchlein allzustark mit einer Widerlegung
der Ansichten Nietzsches im einzelnen und einer jeweiligen
Ehrenrettung Luthers. Er sagt vieles, das sich von selbst versteht,
vieles, das nicht der Mühe wert ist gesagt zu werden, manches, das
nicht stichhaltig ist, und manches, das Nietzsche gegenüber banausisch

ter reichlicher Wiedergabe der Statuten und Regeln zu
schildern.

Wie die Fragen des Glaubens den starken Besuch
der sedierenden Jugend aus der ganzen Welt nach
Wittenberg ausgelöst und gesteigert haben, so brachte
auch die ernste Krise der neuen Lehre nach Luthers Tode

Thesemnann, mitten zwischen seinem deutschen Volk, /wi chen Bauernkrieg
und Schwärmcrtum, auf seinem Theologen-Bauerngut und dort
den Mann von Sils Maria zu sehen, der auch in Liebe, aber fern von
Deutschland, seine Blitze nach Deutschland hinüberzucken läßt. Eins
ist deutlich: jeder wahrhafte Führer ging ins Volk hinein! Ist das
nicht ein Urteil über die beiden Arten von Lutherscher und Nietzschescher
Sittlichkeit?" Ferner: „Nietzsche versteht Luther gar nicht oder
will ihn nicht verstehen. Wie kann jemand, den das feinste Auskosten
des Daseins, Macht- und Lebensgenuß berauschen, noch Sinn
für einen Luther haben, der Christus suchte. Wie kann ein Nietzsche,
dem dieser Erde pralle Fülle schon in Gedanken den Kopf verwirrte,
einen Mann verstehen, der Qott, seinen urgewaltigen Herrn und Herrgott
, suchte und fand!" (S. 64). Andererseits betont er die Weltzuge-
wandtheit lutherischer Frömmigkeit, die Bildungs- und Geiste-ifrcund-
lichkeit Wittenbergs im Eifer des Gefechts zu stark, ebenso die kul-
tur- und kunstschöpferische Art evangelischer Glaubenskraft, die er
in dem anfechtbaren Begriff eines evangelischen Barock darlegt (S. 74
bis 78; vgl. auch S. 47, wo er ein Zitat von Weimer bringt, das
als Grundüberzeugungen von Humanismus und Reformation den Glauben
an das Recht und die Verantwortung des Einzelwesens und seines
Gewissens, sowie der diesseitigen Welt und ihrer Ordnungen hinstellt,
und dazu bemerkt: „Wenn hierin manclie Vorzüge der Reformation
ein wenig zu rasch auch als Wesensmerkmale des Humanismus ausgegeben
werden, so zeigt sich doch, daß von einer Beeinträchtigung
der Wissenschaft und Bildung durch die Reformation nicht die Rede

,, —"TC^. I den Zustrom zum Stocken und aus dem ungarländischen
wirkt. Beispiel für letzteres S. 31: „Es .st beze<chr | Südosten alsbald mm &liegen_ Mjt stark zugespitzten

Formulierungen legt Szabö dar, daß Ungarn seinen Kalvinismus
aus Wittenberg bezogen habe, und zwar aus
der nächsten Umgebung von Melanchthon, und daß die
Vermittler dieses Kalvinismus die Mitglieder des Coetus
Ungaricus gewesen seien. Mit dem Heraufkommen und
der Alleinherrschaft der lutherischen Orthodoxie in Wittenberg
und in Sachsen hatte daher für den philippisti-
schen Coetus das Stündlein geschlagen: es kam zum
Konflikt, darauf zur Ausweisung, der später dann noch
ein geduldetes Nachleben von zwei Jahrzehnten folgte.

Die Inanspruchnahme Melanchthons für die Anfänge
des ungarischen Kalvinismus hat mancherlei Bestechendes
. Im Grunde genommen aber ist es die alte lieblose
Manier, in der wir dem empfindsamen Manne mit dem
schrockenen Gewissen seit Jahrhunderten begegnet sind.
Auch Szabö bleibt uns den schlüssigen Beweis in puncto
Melanchthon als Vater des ungarischen Kalvinismus so
gut wie schuldig. Seine Beweismittel bestehen weithin
in der Anführung zahlreicher Nummern aus Schotten-
lohers Bibliographie zur deutschen Geschichte im Zeitalter
der Glaubensspaltung 1517 — 1585 (Leipzig 1933ff.)
■ — und zwar nur der Nummern, nicht einmal der Titel,
sein kann"). Die Auseinandersetzung mit Nietzsche und **» ?" , ßaß Melanchthon auf die die Entwicklung der Theo-

Nietzsches Lutherauffassung muß von e.ner | ,ogje auch jn Ungarn stark eingewirkt hat, Steht außer

Zweifel. Wie weit aber Melanchthon für alle Regungen
und Äußerungen des Philippismus zumal nach 15Ö0 verantwortlich
zu machen ist, das dürfte erst noch gründlich
zu untersuchen sein.

gen und die Religiosität Nietzsches zum Ausgangspunkt nehmen. Die
bis heute besten Ansätze hat hier m. E. Theodor Odenwald: Friedrich
Nietzsche und das heutige Christentum (Gießen 1926).

Als wichtig erwähnen wir noch, daß Hultsch die Bedeutung des
Verständnisses bzw. Mißverständnisses des Christentums durch Overbeck
und dessen Auffassung der echten Christusbotschaft als absolute
Wcltverneinung für die Position Nietzsches aufzeigt.

Seestadt Rostock Wilhelm Knevels

Berlin

Otto Lerche

Szabö, Geza: Geschichte des ungarischen Coetus an der
Universität Wittenberg 1555 — 1613. Halle (Saale): Akad: Verjag
Halle 1941. (158 S.) gr. 8° = Bibliothek d. Protestantismus
im mittleren Donauraum. Bd. II. RM 4.60.

In seinem soeben erschienenen Buche über Wittenberg
und das Auslandsdeutschtum im Lichte älterer
Hochschulschriften (Leipzig 1941) behandelt Heinrich
Kramm S. 79—163 die Wittenberger Universitätsschriften
und das Auslandsdeutschtum. Hier läßt Kramm

Meister, Willi: Volksbildung und Volkserziehung in der Reformation
Huldrych Zwingiis. Zürich: Zwingli-Verlag |1939].
(143 S.) 8" = Erziehung u. Schule Bd. 5. Fr. 3.90.

Diese von H. Stettbacher angeregte Zürcher Dissertation
unternimmt es, das innerzürcherische Reforma-
c^ipnpnpn Buche über Witten- j tionswerk Zwingiis unter den Blickpunkt der Pädagogik
In seinem soeben 5j ;™ i ai*»«** 1 d. h. der Volkserziehung zu rücken. Mit bestem Erlolge:

es wird ein sehr eindrucksvolles Bild des dank der Reformation
oder besser, dank der Persönlichkeit des Reformators
neu gestalteten Zürcher Stadtstaates erzielt.

----- o----------- --------- ---——•»»».«J «.1z.U II.

neben den Tiesuchern aus dem Westen und aus dem Nor- Gewiß in den Einzelheiten nicht neu — das war nicht

den namentlich die aus dem Osten und dem Südosten möglich — aber als Ganzes mit der Unmittelbarkeit

an uns vorüberziehen. Neben Polen, Böhmen und Mäh- einer neuen Skht wirkend. Vf. hat sich sorgfältig in

ren spielen auf der Wittenberger Universität die in Un- ! Zwingli eingelesen und kennt Literatur und Problematik,

garn beheimateten Studenten eine verhältnismäßig große Die erzieherische Kraft der Reformation erscheint gera-

Rolle Diese Ungarn" gliedern sich wieder in die an ) dezu als die Dynamis im Zürcherischen Staatswesen,

Zahl 'geringeren Nationalungarn oder Blutsungarn und und scharf und richtig ist herausgearbeitet, daß das nur

die vielen Vertreter der Deutschtumssplitter aus Ungarn ! möglich wird infolge der vollzogenen Verbindung von

in seinem größten Umfange und anderen Balkanländern, j Obrigkeit und Kirche m der Theokratie. Es ist in Zü-

also Transsvivanen Siebenbürger, Bessarabier, Slovenen rieh eine „Volksgottesregierung" geschaffen worden, in

und Slovaken Kar'pathendeutsche, Schwaben aus Banat der nach dem Willen des Reformators das Reich Gottes

und Batschka! Rumänen und Deutsche aus Moldau und auch äußerlich in die Erscheinung tritt, kirchliche und

Wallachei u ä m Innerhalb aller dieser im Staatsrecht- weltliche Obrigkeit sich durchdringen als Einheit im

liehen Sinne als Üngarländer zu bezeichnenden Studenten Worte Gottes, die Obrigkeit ist christlich und handelt

bilden die Nationalungarn eine besondere Gruppe, die an „anstatt gemeiner Küchen". Mit Recht grenzt Meister

sozialer und kultureller Kapazität die anderen Studenten diese theokratischen Gedanken von Luther ab und zeigt

aus dem Südostraum weithin überragt und die in dem nicht minder in Auseinandersetzung mit A. Farner, wie

vermutlich in Luthers Sterbejahr gegründeten „Sanctissi- ' sie sich bei Zwungh, der hier ursprünglich wie Luther

mus Coetus Untriricus" ihre vorbildliche Gestalt findet dachte, entwickelt haben. Unter Volksbildung ist die

(Kramm 1 c S 131 ff ) 1 Summe allcr Maßnahmen verstanden, die den im Volk

Diesem Coetus ist die Arbeit von Szabö gewidmet, vorhandenen Bildungswillen und die vorhandenen Bil-

Szabö untersucht und beschreibt die Quellen für die dungsguter m harmonischen Zweckzusammenhang brin-

Geschichte des Coetus und gibt dann eine kurze Über- gen, das Volk soll hingeführt werden zur lebendigen

sieht über das Leben und die Zahl der Ungarn — der Anteilnahme an der schon vorhandenen und noch zu

Ungarländer — an der Universität Wittenberg im 16. schaffenden Kultur (wobei „Kultur" natürlich nicht Kul-

Jhdt um dann die Einzelheiten aus dem Leben der turemanzipation ist). Wirklich „das Volk", bis ins Ein-

»Natio" bezw des Coetus Hungaricus in Wittenberg un- , zelste hinein wird von Meister der Aufbau des Schul-