Recherche – Detailansicht

Ausgabe:

1941 Nr. 1

Spalte:

347-349

Kategorie:

Kirchengeschichte: Reformationszeit

Autor/Hrsg.:

Hultsch, Gerhard

Titel/Untertitel:

Friedrich Nietzsche und Luther 1941

Rezensent:

Knevels, Wilhelm

Ansicht Scan:

Seite 1, Seite 2

Download Scan:

PDF

347

Theologische Literaturzeitung 1941 Nr. 11/12

348

festhält, so wird dies mit der auch sonst deutlichen
Unfertigkeit seiner Gedanken sowie aus seiner Hochschätzung
des Gehorsams und des Leidens zu erklären
sein (32 f.). Er hat also seine Anschauung vom Mönch-
-tum bereits umgebildet. Eine Anmerkung (S. 30 f.) gibt
die Darstellung Holls (I 2 288 ff.) über den Kirchenbegriff
der Dictata wieder und bemerkt: „Es ist offensichtlich
, daß Luther, wenn er über die Superbi spricht, besonders
die Mönche im Auge hat", die als solche aus dieser
unsichtbaren Kirche ausgeschlossen seien, ohne daß dies
freilich näher ausgeführt würde.

Der 2. Abschnitt (S. 35 ff.) beschäftigt sich mit der
Vorlesung über den Römerbrief. Gegen Scheel, Ficker
und Holl findet der Verfasser (wohl mit Recht)
auch hier die Aufhebung des Unterschieds zwischen Geboten
und Räten und leitet daraus wieder die Aufhebung
des alten Mönchtums als eines besonderen Standes ab
(S. 41). Aus der Grundanschauung von der Rechtfertigung
, die wieder in starker Anlehnung an Holl dargestellt
wird (bes. S. 48, Anm. 126), folgt logischerweise
die Abschaffung des alten Mönchtums; die Namen der
„Stolzen" und „Hochmütigen" „charakterisieren in erster
Linie die Ordensleute. Wenn man außerdem darauf achtet
, daß die damalige nominalistische Theologie ausschließlich
von den Mönchen vorgetragen worden war,
und daß diese Theologie in dem Römerbriefkommentar
am heftigsten getadelt wird, so wird man schließen müssen
, daß Luther das Mönchtum, wie es bis dahin bestand,
in seinen Grundzügen umgebildet hat" (S. 52). Nur daß
dieses Ergebnis eben auf diesem logischen Schluß beruht
! Doch findet sich bereits hier über die Ablehnung
der Werkgerechtigkeit hinaus die Betonung des Berufsgedankens
, die Polemik gegen die selbsterwählten Werke,
den besonderen Stand, die Verachtung der Nächstenliebe
(S. 55, 58, 59, 54) und der Gedanke der christlichen
Freiheit gegen die Ordensleute gewendet (S. 63). Dabei
werden jedoch dem Mönchtum noch gewisse Vorzüge
eingeräumt, falls man darin berufen ist (S. 58) und es
aus Liebe zu Gott und ohne die Absicht auf Verdienste
erwählt hat (S. 59). Dann sind auch die Gelübde verbindlich
(S. 65). Ein solches Mönchtum würde in keiner Weise
der Rechtfertigungslehre widersprechen (S. 60). Erst
die Einsicht, daß es sich nicht reformieren lasse, hat Luther
veranlaßt, sich vom Mönchtum loszusagen. „Er hat
dem mittelalterlichen Mönchtum sein durch den inneren
Umschwung gewonnenes Mönchtum, das er vor dem Ablaßstreit
in seinen Schriften geschildert hat, entgegengestellt
. Das neue Mönchtum, das in ,De votis monasticis'
dargestellt wird, hat in sich alle Elemente, die Luther
in seinem Mönchtum vor 1517 gehabt hat" (S. 66).
„Theoretisch besteht im Protestantismus auch noch heute
die Möglichkeit der Existenz des von Luther umgebildeten
Mönchtums" (S. 67).

Die Sprache der Untersuchung verrät den Ausländer
und hätte wohl noch geglättet werden können. Ihr Verdienst
besteht freilich eher im Hinweis auf eine offene
Frage als in ihrer Beantwortung. Daß wesentliche Gedanken
der Schrift über die Mönchsgelübde schon in
früheren Arbeiten Luthers vorliegen, wird ja niemand bestreiten
; aber den Verf. scheint weder ihre Entstehung
aus dem Mönchtum, noch ihre Fortbildung und Verschärfung
vor und in dieser Schrift interessiert zu haben.
Die moderne Spezialliteratur zu seinem Thema hat er
nicht benutzt. Die Arbeit kann deshalb weder den Theologen
noch den Historiker befriedigen. Neue Erkenntnisse
oder auch bloß vertiefte Fragestellungen vermag
ich darin nicht zu entdecken.

Tailfingen (Württemberg) Ernst B i z e r

Hultsch, Dr. G.: Friedrich Nietzsche und Luther. Ofitersloh:
C. Bertelsmann 1940. (84 S.) 8° = Schriftenreihe d. Luther-Oes.,
H. 13. RM 2—.

Die überaus schroffen Äußerungen Nietzsches über
Luther — bei einer verhältnismäßig günstigen Bewertung
der römisch-katholischen Kirche! — sind oft erörtert und

I gedeutet worden. (Zuletzt in größerem Zusammenhang
von Ernst Benz, der in der Zeitschrift für Kirchenge-
j schichte 1937 II/III den überraschenden und nicht voll
überzeugenden Versuch macht, Nietzsches religiöse Einstellung
aus der Bestimmtheit durch den deutschen Spiritualismus
von Sebastian Franck bis Edelmann zu erklären
.) Eine Gesamtdarstellung fehlte bisher. Diese hat
Hultsch in erschöpfender Weise gegeben. Schon die An-
• gäbe aller in Betracht kommenden Stellen1 bei Nietzsche,
s von denen — nach unsern Stichproben hinsichtlich sehr
entlegener Worte — wohl keine übersehen wurde, ist von
I großem Wert. Das Wichtigste aber ist dies: H. weist
I unwiderleglich nach, daß die meisten Äußerungen Nietz-
I sches über Luther nicht aus sporadischen Einfällen kom-
j men, die man kaum ernst zu nehmen braucht, sondern
einer durchaus eindeutigen, allerdings erst nach und
nach zu voller Schärfe entwickelten Position entstammen.
Die so besonders abfällige Bewertung Luthers hängt damit
zusammen, daß Nietzsche die mit den Augen Burck-
hardts gesehene Renaissance als das goldene Zeitalter
S betrachtete und in der katholischen Kirche der Renais-
j sancezeit eine Verbindung von Frömmigkeit mit Bil-
dungswerten und geistiger Freiheit sah. So sagt er von
! dem Vertreter der Kurie bei der Disputation von Regens-
] bürg, Caspar Contarini, in: Menschliches . . ., 2. Bd.,
III. Aph. 226, S. 126, Krönersche Ausg.: „Der tiefe
milde Sinn des Contarini schwebte einen Augenblick über
dem theologischen Gezänk, siegreich, als Vertreter der
reiferen italienischen Frömmigkeit, welche die Morgenröte
der geistigen Freiheit auf ihren Schwingen .widerstrahlte
"; und mit Spitze gegen Luthers Bekämpfung
der römischen Weltkirche in: Fröhliche Wissenschaft V.
I Aph. 358: „Eine Kirche ist vor allem ein Herrschaftsge-
I bilde, das den geistigen Menschen den obersten Rang
I sichert und an die Macht der Geistigkeit so weit glaubt,
um sich alle gröberen Machtmittel zu verbieten, — damit
allein ist die Kirche unter allen Umständen eine vornehmere
Institution als der Staat." Nietzsche meint —
i und man sollte diese seine, in seinem Gesamtstandpunkt
| tief begründete Meinung seinen heutigen Verehrern und
I Nachfolgern gelegentlich vorhalten—: „Daß Luthers Reformation
im Norden gelang, ist ein Zeichen dafür, daß
der Norden gegen den Süden Europas zurückgeblieben
I war . . . und es hätte überhaupt keine Verchristlichung
Europas gegeben, wenn nicht die Kultur der alten Welt
des Südens allmählich durch übermäßige Hinzumischung
von germanischem Barbarenblut barbarisiert und ihres
Kulturübergewichts verlustig gegangen wäre" (Fröhliche
Wissenschaft", V. Aph. 149, S. 177 f.). Den tieferen Zusammenhang
der besonderen Feindschaft Nietzsches gegen
Luther stellt Hultsch s o heraus: Der Mensch, der
sich mit Hilfe des katholischen Semipelagianismus mühsam
befreit hatte und in der Renaissance die letzten Ketten
jauchzend zerriß, wurde von Luther unter den harten
und vergebenden Gott gestellt. Die katholisch-halbe Lösung
hatte sich überlebt. Jetzt mußte man ganz zu Gott
zurück oder sich endgültig von Gott trennen. Luther
ging ganz zu Gott zurück. Nietzsche wollte sich endgül-
| tig befreien, und darum bekämpfte er so maßlos heftig
den Theologen Luther (S. 72). Ohne die Formulierungen
uns ganz zu eigen zu machen, müssen wir erklären, daß
hiermit der Kern der Sache getroffen ist. Nietzsche
i selbst drückt es in: Menschliches ... II. Aph. 237,
S. 224 so aus: „Dagegen hebt sich nun die deutsche
| Reformation ab als ein energischer Protest zurückgebliebener
Geister, welche die Weltanschauung des Mittel-
i alters noch keinesweg satt hatten. . . Sie warfen mit
[ ihrer nordischen Kraft und Halsstarrigkeit die Men-
sehen wieder zurück, erzwangen die Gegenreformation,..
verzögerten um zwei bis drei Jahrhunderte das völlige
I Erwachen und Herrschen der Wissenschaften, als sie das
I völlige In-Eins-Verwachsen des antiken und des moder-
I nen Geistes vielleicht für immer unmöglich machten."

1) Eine Bitte an alle: Man zitiere nicht S. .. ff., sondern gebe
I die Endseite des betr. Stückes an, was kaum mehr Platz kostet!