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Ausgabe:

1941 Nr. 1

Spalte:

340-342

Kategorie:

Kirchengeschichte: Mittelalter

Titel/Untertitel:

Das Papsttum im Spätmittelalter und in der Zeit der Renaissance 1941

Rezensent:

Lerche, Otto

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339

Theologische Literaturzeitung 1941 Nr. 11/12

340

drängte, statt nur über ihn zu berichten, auch die unbefangene
Sicherheit des Urteilens vom Standort eines nationalen
Liberalismus aus, der ja gerade auch die klassische
Zeit der mittelalterlichen Geschichtsforschung bestimmt
hat. So prägt sich der Wandel der Zeiten auch in manchen
Urteilen aus, die bei einer Mehrheit der Bearbeiter nicht
immer einheitlich sind. Aber andererseits sind es gerade
die Tugenden einer älter und reifer gewordenen Wissenschaft
, die einem solchen Werke anstehen. Zuverlässigkeit
, Vollständigkeit im Erfassen der Quellen, Übersicht
über die Literatur, Besonnenheit des Urteils und klare
Darstellung darf man ihm nachrühmen. So ist denn ein
ausgezeichnetes Studienbuch entstanden, anleitend zu
eigener Arbeit und ein ungemein nützliches Handbuch
auch für den Kirchenhistoriker!
Göttingen Hermann Dörrics

Blanke, Fritz: Columban und Gallus. Urgeschichte des schweizerischen
Christentums. Zürich: Fretz u. Wasmuth Verlag AG. [1940].
(235 S., 7 Bilder) 8°. Fr. 6—; geb. Fr. 7.50.

Die Anfänge des Christentums bei den Germanen
sind durch die neuste Literatur nicht immer in das richtige
Licht gesetzt worden. Da wirkt es befreiend, zu
sehen, wie sich in der vorliegenden Schrift eine berufene
Feder in Bewegung setzt, um von der Vorgeschichte
des schweizerischen Christentums ein wahres
Bild zu zeichnen. Es geschieht mit großer Liebe und
feinstem Verständnis, aufgrund breitester Quellen- und
Literaturkenntnis und umfassender sprachlicher und topographischer
Forschung. Dadurch wird der umsichtige
Verfasser auch befähigt, der Kritik der Quellen in jeder
Hinsicht gerecht zu werden, wobei er Hyperkritik und
Kritiklosigkeit in gleicher Weise vermeidet. Die Gründe,
die er für die Glaubwürdigkeit der späteren Gallusbiographie
des Reichenauer Benediktiners Wetti von c. 820
(ebenso wie der des Walahfrid Strabo) ins Feld führt,
sind durchaus stichhaltig. Auf der andern Seite aber erfolgt
die Abscheidung des Legendarischen mit sicherer
Hand. Wie dann der Verfasser die echten Quellen ausschöpft
und zu höchst anschaulichen Bildern verarbeitet,
ist geradezu vorbildlich, zumal da er über einen gepflegten
Stil verfügt. Manches Unbeachtete zur Charakteristik
des Heidentums der Alemannen und des Arianis-
mus und Katholizismus der Burgunden wird herausgestellt
. Noch mehr bieten freilich die Quellen zur Charakteristik
der beiden Missionare selbst. Wie Blanke
diese beiden Heroen christlicher Propaganda schildert,
gehört zu dem Besten, was bisher über Germanenmissionare
gesagt worden ist. Freilich sind es streng asketische
irländische Mönche. Diese radikale Askese und der
hohe Mut auch vor den Großen dieser Erde erstrahlen
in hellstem Lichte. Man möchte es beinahe bedauern, daß
der so trefflich ausgerüstete Verfasser zu einigen heute
mit Vorliebe behandelten Grundfragen der christlich-germanischen
Forschung von seinem schönen Schweizer
Material nicht noch besonders Stellung nimmt. Sehr bemerkenswert
ist jedenfalls, daß Columban bereits die
Absicht hatte, das Christentum über die Grenzen des
Fränkischen Reiches, ja des Abendlandes hinaus zu den
wilden Slaven zu tragen, was noch viel später sein
größerer Nachfolger Bonifatius abgelehnt hat. ,Einem
Columban ist dieser Ungedanke eines der germanischen
Rasse vorbehaltenen Christentums fremd, nicht nur weil
er Irländer und nicht Angelsachse ist, sondern weil sein
edler Radikalismus sich sträubt, das allen Menschen geschenkte
Evangelium an Volksgrenzen zu binden'. Es
kann hier nicht die Aufgabe sein, den eingehenden Tatsachenbericht
, den der Verfasser in bildhafter Sprache
und mit seltenem Takte erstattet, wobei die Schweizer
Landschaft stets den erhabenen Hintergrund bildet, im
Einzelnen wiederzugeben oder die feinsinnig entwickelte
Psychologie der beiden Missionare näher auszuführen.
Dies und vieles andere muß man bei Blanke selbst nachlesen
, der auch die weltlich-fürstlichen Mit- und Gegenspieler
voll zu ihrem Rechte kommen läßt. Der überquellend
reiche Inhalt der Darbietung sträubt sich gegen
verkürzende Wiedergabe. Eingerahmt ist die Darstel-
| lung noch durch eine gute Übersicht über das schweizerische
Christentum während der Römer- und Völker-
I wanderungszeit und über das St. Galler ,Erbe', wie es
, sich in Tutilo und Notker Balbulus verkörpert.

Zorge (Südharz) J Hashagen

I

| Seppelt, Franz Xaver: Das Papsttum im Spätmittelalter und
in der Zeit d. Renaissance. Gesch. d. Päpste vom Regierungsantritt
Bonifaz VIII. bis z. Tode Klemens VI. (1294—1534). Leipzig:
Jakob Hegner 1941. (479 S.) 8° = Gesch. d. Papsttums. Eine
Gesch. d. Päpste von d. Anfängen bis z. Tode Pius X. Bd. IV.

RM 12.50.

Von dieser Geschichte des Papsttums sind nun vier
! Bände erschienen, der erste ohne den Gesamttitel als
j „der Aufstieg des Papsttums" bezeichnet behandelt die
Zeit bis 590, der zweite kündigt den Gesamttitel „Ge-
j schichte des Papsttums ... bis zum Tode Pius' X." an
und führt die Papstgeschichte von Gregor dem Großen
bis zur Mitte des 11. Jahrhunderts. Der 3. Band, der
den Zeitraum von 1046 bis 1294 umfaßt, fehlt noch.
Außer dem jetzt vorliegenden 4. Band ist noch der 5.
über die Zeit von 1534 bis 1789 erschienen. Ein abschließender
6. Band über die Zeit von der französischen
Revolution bis 1914 steht noch aus.

Von dem vorliegenden Bande gilt in besonderem
Maße das, was über die früheren Bände gesagt ist: es
ist eine gut lesbare Darstellung der Geschichte des
Papsttums unter sorgfältiger Heranziehung aller Quellen
und der umfangreichen Literatur, gewiß vom Standpunkte
des katholischen Theologen aus, aber geschichtlich zuverlässig
und sorgsam kritisch, ohne Schärfe und in jeder
Hinsicht ausgleichend. Freilich war dieser vermittelnde
Standpunkt in der Papstgeschichte von Bonifaz
VIII. bis Klemens VII. nicht immer mit Gleichmut zu
vertreten. Gelegentlich namentlich betr. Kalixt III., Sixtus
IV. und Alexander VI. gibt der Verfasser die Träger
der Tiara menschlich wie kirchlich völlig preis. Im Falle
| Bonifaz' VIII. stellt und beantwortet der Verfasser die
entscheidende Frage: War Bonifaz VIII. ein Ketzer?
nicht, wie er auch in den Literaturnachweisen die maß-
j gebliche Schrift von K. W e n c k, der die Frage positiv
I beantwortet, nicht anführt.

In dem Bestreben, für alle politischen Machenschaf-
| ten der Päpste nach Möglichkeit Verständnis zu finden,
! kommt S. gelegentlich zu Widersprüchen. Fast immer
I tadelt er den Nepotismus der Päpste als für Kurie und
Kirche besonders verhängnisvoll, aber fast immer findet
er bald darauf die Entschuldigung, daß der Papst in der
konkreten Situation irgendeinen zuverlässigen Parteigänger
im Konsistorium hätte haben müssen, also die
Ncpoten.

So z. B. S. 270: „Martin V. wird der Vorwurf gemacht, er habe
seine Familie der Colonna allzusehr begünstigt und sich auf sie ge-
| stützt. Dieser Vorwurf des Nepotismus ist berechtigt. Der Papst
I sorgte dafür, daß seine Brüder mit reichen Leben im Neapolitanischen
j ausgestattet wurden; und im Kirchenstaat selbst wurde der an sich
I schon beträchtliche Güterbesitz der Colonna noch sehr erheblich ver-
I mehrt und durch Abgabenfreiheit privilegiert; der größte Teil Latiums
I war schließlich im Familienbesitz. So ungehörig und tadelnswert die-
| ser Nepotismus ist, so kann man ihn wenigstens zum Teil durch die
| Zeitumstände verständlich und entschuldbar finden. Denn bei wem
I sonst als seinen Familienmitgliedern hätte der Papst die Unterstützung
] und den nötigen Rückhalt finden können, deren er angesichts der
J völligen Zerrüttung und Auflösung des Kirchenstaates für dessen
' Wiederherstellung benötigte!"

Oder S. 344: „Mit großer Liebe hing Pius II. an seiner Vater-
i Stadt Siena und seinen Verwandten, so daß er in deren Begünstigung
nicht das rechte Maß innehielt. Man wird es ihm nicht allzusehr verübeln
, daß er zwei Nepoten, darunter den jugendlichen Francesco
di Todeschini-Piccolomini, den späteren Papst Pius III., in das Kardinalskollegium
aufnahm. Denn der Papst, der bei seiner Wahl kaum
1 zwei Jahre den Purpur trug und ein Neuling an der Kurie war,
brauchte sie als Rückhalt und zuverlässige Unterstützung, da die Kardinäle
zum guten Teil, namentlich die französischer Nationalität, sich
I vielfach seiner Politik und seinen Plänen feindlich entgegenstellten."