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Ausgabe:

1941 Nr. 1

Spalte:

331-332

Kategorie:

Kirchengeschichte: Alte Kirche, Christliche Archäologie

Autor/Hrsg.:

Gericke, Wolfgang

Titel/Untertitel:

Marcell von Ancyra 1941

Rezensent:

Nestle, Erwin

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Seite 1

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Theologische Literaturzeitung 1941 Nr. 11/12

332

scher Frömmigkeit will nicht eine wissenschaftliche Quellensammlung
sein zu einer besonderen historischen Frage
, will auch nicht polemisch oder apologetisch Beweismaterial
zur Entscheidung einer neuerdings viel erörter- i
ten Streitfrage liefern, sondern will allein die Wirklich- j
keit inniger Verbundenheit von deutschem Wesen und
christlichem Glauben an den Beispielen großer Persönlichkeiten
aufzeigen, „aus deren Haltung einem jeden
Deutschen wohl Zuversicht erwachsen kann zu der Le- I
benstüchtigkeit und Ewigkeitsverankerung des Christentums
". Bewußt ist diesem Zwecke entsprechend der j
Rahmen der Auswahl äußerst weit gehalten: aus allen |
Zeiten der deutschen Geschichte, aus allen Schichten j
des deutschen Volkes und aus den verschiedenartigsten |
Berufen sind die Gestalten gewählt, die zumeist in I
Selbstzeugnissen zu uns reden. Zwar ist der Kreis — i
wohl nicht zufällig — hauptsächlich auf Protestanten !
beschränkt, ist aber insofern wieder sehr erweitert, als I
er nicht nur solche Männer und Frauen zu Worte kommen
läßt, „die ihr Christsein bekennen und leben und
aus ihrer christlichen Wesenheit sich Kräfte holen und
Schaffensantriebe empfangen", sondern auch solche, „die i
das Christentum weniger als Wertstück ihrer Seele denn
als unersetzliches Bestandstück unseres Volkslebens bezeugen
" und sogar den Stimmen noch Raum gibt, „deren
Träger auf dem christlichen Wege' sind".

Bei solcher Weite der Zielsetzung empfindet man
unumgänglich Lücken und vermißt man wertvolle Zeugnisse
. Dennoch ist es dem Herausgeber weitgehend gelungen
, nicht nur über eine bloße Zitatensammlung hinaus
die Worte jeweils als Zeugnisse der Frömmigkeit
möglichst aus der gläubigen Wesensbestimmtheit der
ganzen Persönlichkeit lebendig werden zu lassen, sondern
auch die einzelnen Gestalten wieder als Glieder
einer zusammenhängenden Folge von Geschlechtern bewußt
zu machen und dadurch eine tiefe Einsicht in die
tragende und gestaltende Kraft des Christentums für |
das deutsche Kulturleben und in ihren unlöslichen Zusammenhang
zu vermitteln.

Gewiß wird eine derartige Sammlung die innige
Verschmolzenheit der deutschen Kultur mit dem Christentum
in ihrer ganzen Weite und Tiefe niemals wirk- j
lieh anschaulich machen können, hier bleibt ihr Wert begrenzt
. Man darf zudem das Bedenken nicht unterschätzen
, daß „eine solche Bestandsaufnahme" allzu
leicht den Eindruck eines Bemühens macht, die Existenzberechtigung
des Christentums wegen Mangel an lebendiger
Substanz wenigstens aus der Historie nachzuweisen
, bei der erstaunlichen Unempfindlichkeit der Gegner
des Christentums gegenüber den geschichtlichen Tatsachen
doch ein vergebliches Bemühen. Aber das soll den
Wert des Buches für uns nicht mindern, das die ihm
von seinem Herausgeber gestellte Aufgabe im Ganzen
und Großen erfüllt: die innige Glaubenskraft großer
christlicher Deutscher als beispielhaftes Zeugnis für den
gültigen Bund von Christentum und Deutschtum der
heutigen Generation inmitten ihrer Problematik vor
Augen zu stellen und ihr das Erbe der Väter als unauf-
gebbar für sich und ihre Nachfahren zu erweisen.

Daß der Herausgeber keine genauen Quellenangaben
macht, ist bedauerlich, doch bei dem besonderen Charakter
dieser Sammlung allenfalls zu rechtfertigen.

Walter E 11 i g e r

KIRCHENGESCHICHTE: ALTE KIRCHE

Gericke, Lic. Wolfgang: Marceil von Ancyra. Der Logos-Christologe
und ßiblizist. Sein Verhältnis zur antiochenischen Theologie und
zum Neuen Testament. Halle (Saale): Akademischer Verlag 1940.
(X, 264 S.) gr. 8° = Theolog. Arheiten z. Bibel-, Kirchen- u. |
Geistesgesch. hrsg. v. E. Barnikol. Bd. X. RM 7.20.

Wenn ein Nicht-Dogmengeschichtler dieses Buch bespricht
, so mag das damit gerechtfertigt sein, daß dieses
Erstlingswerk über den Kreis der engeren Fachgenossen |

hinaus Interesse beanspruchen darf. Gericke gibt im
1. Teil eine anschauliche Darstellung des für die Geschichte
der Kirche wie für viele heutige Fragen so bedeutsamen
4. Jahrhunderts und zeichnet auf diesem Hintergrund
das Leben und Wirken Marcells. Der 2. Teil
gibt einen überaus fleißig gearbeiteten Überblick über
die Entwicklungsgeschichte der Marcell-Forschung der
letzten 150 Jahre, lehrreich als ein Beispiel dafür, wie
das Bild eines (allerdings in sich nicht ganz einheitlichen
) Mannes sich in den verschiedenen Köpfen der
Darsteller verschieden spiegelt. In kritischer Fortführung
der letzten Forschungen von Loofs gibt der aus
der Schule seines Nachfolgers Barnikol hervorgehende
Verfasser dann seine genauere Darlegung. Er zeichnet
zunächst im 3. Teil die vormarcellische antiochenische
Theologie, wie sie sich aus Theophilus von Antiochien
bzw. der von Loofs herausgestellten Quelle „JQTU" des
Irenaeus ergibt. Der 4. Teil stellt die vulgär-alexandrini-
sche Theologie zur Zeit Marcells auf Grund der anti-
marcellischen Schriften Eusebs dar. Nach dieser Grundlegung
kommt der 5. Teil zur Hauptaufgabe, der Darstellung
der Theologie des Marcell. Seine Grundeinstellung
ist der Kampf gegen den ürigenismus: „Marcell
hat . . . die mit dieser Hellenisierung des christlichen
Offenbarungsgehalts drohende Gefahr erkannt, die . . .
darin bestand, daß hier der heidnische Polytheismus in
philosophisch verklärter und christlich verbrämter Form
wieder sein Haupt erhob" (S. 103). Das wird nacheinander
an Marcells Kampf für den Monotheismus, an seiner
Trinitätslehre und Christologie aufgezeigt. Dabei zeigt
sich Marcell als „ein Theologe von nicht unbedeutender
systematischer Kraft" (S. 141). Er will auf die Bibel
zurückgehen, während die Gegner auf der Philosophie
fußen; dabei hat er allerdings auch nur das zu seinem
System passende aus der Bibel herausgenommen, sein
System „biblisch maskiert" (S. 144), und spürt zuletzt
selbst, „daß das biblische Anliegen doch etwas Anderes
ist als sein kunstvoll mit großer Konsequenz durchdachtes
und dabei doch im Letzten unbefriedigendes System
" (S. 165), in dem doch auch alexandrinische Gedanken
stark hereinspielen (S. 169).

Das wird im 6. Teil: „Marcell und die Bibel", weiter
ausgeführt. Gericke untersucht zunächst den Bibeltext
des Marcell, der im Allgemeinen dem vor der alexandri-
nischen Rezension liegenden, weithin uns in westlichen
Zeugen erhaltenen Text entspricht (für Rom. 1,4 z. B.
hat Marcell als einziger im Osten die Lesart jioooqio€6vtos;
in seiner Exegese will er philologisch vorgehen und sich
von der allegorischen Erklärung fernhalten, wenigstens
wo es in sein System paßt (S. 179 f.). So ist er allerdings
kein eigentlicher Biblizist, sondern war „durch mannigfache
Fäden mit dem Gewebe der altchristlichen und altkirchlichen
Tradition trinitarischer und christologischer
Art verbunden" (S. 187); aber er stand doch „sachlich
der Bibel wirklich näher als fast alle seine Zeitgenossen"
(S. 188); „mit der ganzen Kraft seiner Persönlichkeit
kämpfte er gegen eine Ineinssetzung menschlichen Dogmas
mit biblischer Offenbarung" (S. 188); aber er „kam
trotz allen guten Willens nicht über seine Zeit und seine
Traditionen hinaus" (S. 189); er „war selbst viel zu sehr
vom griechischen Geist beherrscht . . ., aber er hat wenigstens
das Äußerste verhindern helfen: ohne Männer
wie ihn hätte die Hellenisierung des Christentums noch
einen ganz andern Umfang annehmen können" (S. 190).
So ist er „für Kirche und Christentum der Gegenwart
nicht ohne tiefere theologische Bedeutung" (S. 191).

Zur Nachprüfung dieses Schlußurteils gibt der 7. Teil
eine Übersetzungen der 128 Fragmente Marcells und des
Briefs an Julius von Rom. Ein umfangreiches Literaturverzeichnis
und ausführliche Register beschließen das
Werk, bei dem man angesichts der Schwierigkeit der
Korrektur für den im Heeresdienst stehenden Verfasser
gern über manche Druckversehen, besonders bei griechischen
Anführungen, hinwegsieht.

Ulm a. D. Erwin Nestle