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Ausgabe:

1941 Nr. 1

Spalte:

327-329

Kategorie:

Kirchengeschichte: Allgemeines

Autor/Hrsg.:

Krieck, Ernst

Titel/Untertitel:

Der Mensch in der Geschichte 1941

Rezensent:

Ratschow, Carl Heinz

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Theologische Literaturzeitung 1941 Nr. 11/12

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zur Darstellung kommt. Es ist für den Leser wertvoll, in
dem vorliegenden Bande die Erreichung dieses Zweckes
in Bezug auf die Welt und Kultur der Völker der Antike
zu verfolgen und spannt die Erwartung auf die Bewältigung
derselben Aufgabe hinsichtlich der andern Völker
und Kultur. In dem vorliegenden Bande gestaltet sich
trotz der Fülle des Stoffes auf knappem Raum ein anschauliches
Bild vom Werden und Wachsen der Kirche
und von der Dynamik der Mission des Christentums in
den Ländern um das Mittelmeer. Damit ist aber nicht
gesagt daß das Buch nur gelesen sein will, es will
studiert sein.

Insofern das Buch „in erster Linie dem Studenten
eine Handreichung bieten will" sind die §§ 1—5 von besonderer
Wichtigkeit: Die Arbeit vergangener Zeiten;
Aufgabe und Methode; Die Hilfsmittel; Die Einteilung.
Hier wird Grund gelegt für eine Geschichtsbetrachtung,
die nicht unbekümmert in die Sache hineinspringt, sondern
behutsam und umsichtig an sie heranführt und bei
vielen Lesern den Blick in die Tiefe ad fontes erschließen
und die Lust, aus der Tiefe zu schöpfen und selbst Geschichtsforschung
zu treiben erregen wird. Ich denke
mir, daß der theologische Lehrer diesen Erfolg nicht als
den geringsten seiner eigenen Mühe zu buchen wünscht.

Der Verfasser nennt sein Werk „Geschichte des
Christentums", nicht Geschichte der Kirche. Er ist nicht
der erste, der diese Umbenennung vornimmt. Im § 2 begründet
er sein Vornehmen, dessen Ausführung den
engern Rahmen einer „Geschichte des Kirche" sprengen
muß. Mit Spannung sieht man den weitern Bänden entgegen
, denen man Erfüllung dessen wünscht, was der
vorliegende Band verheißungsvoll begonnen hat.

Berlin-Schöneberg lJ. Pflücker

Kriecjk, Ernst: Der Mensch in der Geschichte. Geschichtsdeutung
aus Zeit und Schicksal. Leipzig: Armanen-Verlag 1940. (XI, 362 S.)
gr. 8° = Weltanschauung und Wissenschaft Bd. 9.

RM 7,80; Leinen RM 9—.
Die von Krieck vorgelegte Geschichtsphänomenologie
gibt sich im Untertitel als eine Geschichtsdeutung aus
Zeit und Schicksal. Verf. geht davon aus, die mechanische
Zeit als überall gleichartige Unterlage geschichtlichen
Werdens als unrichtig zu erweisen. Gegenüber
der mechanischen Zeit steht die Zeit des „Schicksals, des
Glaubens, der Schöpfung" (S. 18). Mit der Zeit fällt der
kausalmechanische Entwicklungsbegriff. Die Geschichte
sieht sich so je wirklichkeitsnah in ihren epochalen Ablauf
gegliedert. Solche Auflösung der Zeit aber macht
die Bewertung des Menschen in der Geschichte, des
Menschen als Träger der Geschichte überhaupt erst möglich
. Der Mensch erscheint bei Krieck als das, was er ist,
als ein Stück Natur, das die Fähigkeit besitzt, Wirkungen
von einem etwas zu empfangen, das Krieck Gott oder
den lebendigen Gott nennt. In dem Empfang solcher
Wirkung, solchen Rufes, solcher Berufung von außen
lie,gt die zweite Komponente, die als von Oben sich dem
Unten der Natur gegenüberstellt. Der Mensch gestaltet
nun aus seiner naturhaften d. i. vor allem seiner rassischen
Gebundenheit seines Charakters in Verbundenheit
mit dem erfahrenen Rufe von Gott her durch die
schöpferische Tat auf Grund der Vernunft Geschichte!
Geschichte ist nicht da, wo naturhaft untervernünftiges
Geschehen im Zuge der Kausalität abrollt. Geschichte ist
auch dort noch nicht, wo ein Mensch in verstandgeborener
Täterschaft Taten vollführt. Geschichte wird erst da
möglich, wo ein Mensch über die Natur — die ihn mitumgreift
— herausgehoben wird auf Grund des erfahrenen
Rufes von Gott. Also nicht die Vernunft hebt den
Menschen aus der Natur heraus. Es ist allein die göttliche
Berufung, die das vermag, oder eben die Fähigkeit,
die der Mensch besitzt solche göttliche Berufung zu erfahren
. Also auch nicht die Rasse macht die Geschichte
und rasseeigenes Tun ist noch nicht darin geschichtliches
Handeln. Die Rasse ist allerdings „Formung am Grundpunkt
des Geschehens" (S. 57; 60). In der Rasse liegen
die bereiten Möglichkeiten zur Geschichte. Die Rasse
liegt wie die Vernunft im Mittel zwischen Natur und

Gottesruf als Möglichkeit und Anlage des Menschen zur
Geschichte hin. —

In dieser Sicht also wird der Gleichlauf der Zeit zerbrochen
und zum Kairos hin aufgelöst, was den Zeitpunkt
anzeigen soll, der der Brennpunkt der Geschichte
überhaupt ist, wo ein Gottesruf in einem Menschen Tat
aus Vernunft und Charakter auslöst, welche Tat allerdings
ihre eigentliche geschichtliche Reichweite nicht
allein aus der Tat zieht, sondern die sich als Exponent
: einer „epidemischen Seelenergriffenheit" gleicher Richtung
geeint findet. „Nur das was innerlich vorbereitet
ist, und angesetzt hat, wird, wenn es bei einem schöpferischen
Menschen hervortritt, von der Gemeinschaft auch
| aufgenommen und kommt zu geschichtlicher Wirklichkeit
und Wirkung" (S. 52). Der Kairos also, der eigentlich
geschichtliche Zeitpunkt der epochalen Wende — wofür
Krieck Luther sehr viel zitiert — ist also a) vorbereitet
in der öffentlichen Meinung, b) ausgelöst durch den
Gottesruf, c) verwirklicht in der schöpferischen Tat, die
] sich bildet, wo Charakter und Vernunft den Gottesruf
zur Tat formt, ihm in der Tat Gestalt verleiht. Solche
Erfassung der Zeit vermag den gleichförmigen Ablauf
i der Geschichte dann aufzulösen in ihre wirklichkeitsechten
Bezüge zum Menschen als dem, der mit seinem
schöpferischen Geheimnis Neues gestaltet, worin die Geschichte
ihre notwendige Scheidung vom Naturvorgang
erhält. Zugleich aber ist in diesem Ansatz der Geschichte
ihr eigenstes Geheimnis im Aufbruch der Epoche inso-
j fern gelassen — kann weder realistisch noch idealistisch
I überfragt oder getötet werden — da der schöpferische
I Mensch eben als Wirker unter göttlichem Anruf gesellen
i wird. Der Geschichte also wird so ihre Echtheit als
I Menschen-Geschichte darin gegeben, daß der Mensch
nicht flach erscheint als naturhaftes Phänomen — sondern
als Hoheitsträger unter Anruf. —

Die zweite Komponente neben der Zeit ist von Krieck
als Schicksal gesetzt. Unter Schicksal sieht Verf. das,
was er auch göttlichen Anruf anscheinend nennt. In zweifacher
Richtung wird dies Schicksal näher bestimmt.
1) Schicksal ergibt sich aus „Charakter" und „Zufallen-
' dem" (S. 66). Also zu dem Zufallenden kommt als vom
| Charakter her: „der Glaube, die Berufung, die zu ihrer
! Stunde den Menschen ergreift und emporträgt" (S. 67).
So webt sich also Schicksal aus dem Zufallenden und
dem Charakter und gibt so 2) gleich mit die Forderung
der „Selbsterhebung und Selbstgestaltung". „Schicksal
ist die Antwort auf den Ruf, Tat oder Untat auf eine
Gefahr, Notwendigkeit auf eine Not, Verhalten auf einen
Zufall" (S. 70). Die Unentrinnbarkeit des Schicksals
liegt darin, daß kein Mensch der Notwendigkeit entgehen
kann, sich vor Zufall, Not, Gefahr und Ruf entscheiden
zu müssen. Das Schicksal aber ist die Entscheidung
selbst, die je und je zu geschichtlicher Tat wird. Also
wenn Krieck S. 67 sagt: „Außerhalb der Sterngötter ist
das Schicksal des Menschen der Wille, das Geschenk,
das Geschick, der Ruf, die Begnadung des lebendigen
Gottes, die nicht errechenbar sind", so ist dazu zu sagen:
aber nun eben nicht der Ruf per se, sondern der Ruf in
I seinem Wirken am lebendigen Menschen, in seiner Beantwortung
durch den Menschen, die in ihrer vorgegebenen
! Bestimmtheit als vertikaler Rassebezug und als horizon-
j taler Gemeinschaftsbezug solchem Schicksal doch wohl
j etwas mehr noch an Unentrinnbarkeit verleihen dürfte
als die bloße Entscheidungsnotwendigkeit. —

Wir entnehmen diese Charakterisierung des Schicksalsbegriffes aus

Abschn. I, 8, der also das Schicksal grundsätzlich als komplexe Größe
j aus Zufallendem und menschlicher Entschiedenheit faßt. Wir erkennen

also, daß dieser Doppelcharakter damit auch immer da mit zu sehen
! ist, wo wir das Zufallende als Berufung durch Gott erscheinen sehen.
; Solch Glaube wird als „arischer Schicksalsglaubc" dem „orientali-
; sehen Fatalismus" entgegengestellt und das sei nur angemerkt als

Glaube Luthers vindiziert (I).

Zunächst dürfte es nun wohl fraglich erscheinen, ob Krieck sich

mit solcher Erfassung des Schicksals wirklich in Bahnen bewegt, die
I das Kecht geben, von germanischem oder griechischem Denken als der
I Grundlage hierfür zu reden. Die Moira trägt doch wohl bei Homer
i wie bei den Tragikern ein ganz anders Gesicht. Sie erscheint zwar als

etwas Zufallendes — jedoch als Verhängnis. Die Moira Dios läßt