Recherche – Detailansicht

Ausgabe:

1941 Nr. 1

Spalte:

324-325

Kategorie:

Religionswissenschaft

Autor/Hrsg.:

Eckhardt, Karl August

Titel/Untertitel:

Der Wanenkrieg 1941

Rezensent:

Schneider, Hermann

Ansicht Scan:

Seite 1, Seite 2

Download Scan:

PDF

323

Theologische Literaturzeitung 1941 Nr. 11/12

324

lange vor Beginn unserer Zeitrechnung, denn nicht nur
fremde Bevölkerungsteile siedelten neben Germanen, sondern
die germanische Kultur stand in ständigem Austausche
mit den Kulturen des Südens und Ostens." Der
Vf. macht Ernst mit der Anwendung dieses Satzes; nicht
nur der germanische Volksglaube, der aus fränkischen
Missionsberichten ersteht, ist ein Niederschlag „synkre-
tistischen Brauchtums", auch unsere ältesten und gemeinhin
für maßgebend geltenden Quellen sind östlich durchsetzt
. Tacitus ist ein gedankenloser Kompilator glaubensgeschichtlicher
Notizen, die Tempel, von denen wir
wissen, sind irgendwie von den Kirchen beeinflußt, Frey-
ia und Odin sind zauberisch, d. h. widergermanisch überlagert
, der ganze Vanenkult orientalisch etc. Dasselbe
gilt aber auch von der neuzeitlichen Literatur über die
germanische Religion: die Forscher vermögen sich von
den Kultvorstellungen, die aus dem Orient kommen,
nicht freizumachen; de Vries schon gar nicht, aber auch
nicht Much, Heusler, Ninck.

Man sieht daraus schon, das Buch erweitert seinen
Interessenkreis bedeutend über das Thema hinaus, das
der Titel angibt; die Missionsberichte, über die manches
(sachlich, meist nicht im Ton) Angemessene gesagt wird,
bilden in der Regel nur den Ausgangspunkt. Die Spezialuntersuchung
, die die Überschrift erhoffen läßt, und
die uns willkommen gewesen wäre, unterbleibt.

Die Frage wäre am Platz: mit welchem Recht sich
der Vf. auf diesem weiten Gebiet betätigt? Offensichtlich
ist er weder religionsgeschichtlich noch philologisch
durchgebildet. Seine Anschauungen über frühe Religionsformen
sind haltlos, wie seine wortkundlichen Erklärungen
unsicher und fehlervoll zu sein pflegen (wozu auch
die schlechte Korrektur beiträgt); erheiternd z. B. ist, wie
er sich den Begriff ,Lygisaga' für seine Zwecke zurechtlegt
(S. 52). Anerkennenswert bleibt der Fleiß, mit dem
versucht ist, das ganze große Gebiet zu umfassen. Aber er
geht leider nicht mit besonnenem Urteil Hand in Hand;
der Vf., der sich erst überkritisch gab, vergißt jede Kritik
, wenn es sich nun darum handelt, das Artechte an
der germanischen Religiosität zu ermitteln. Bei dem Zustand
der Quellen, den wir ihn vorhin schildern hörten,
müßte man ja eigentlich daran verzweifeln, je bis zum
kennzeichnend Germanischen durchzudringen. Der Vf.
traut es sich dennoch zu; er braucht nicht erst zu forschen
, was germanisch ist, er weiß es. Um es zu erfassen
, muß man zunächst alle christlichen Religionsbegriffe
hinter sich lassen, dann rationalistisch alles entfernen
, was irgendwie ,primitiv' anmutet; zaubern z. B.
ist ungermanisch, dergleichen darf es nicht gegeben haben
. Die positiven Wertungen fließen im übrigen aus den
zwei Quellen Gronbech und Kummer und aus einigen
von ihnen abgeleiteten Bächlein. Was in jenen als These
anregen konnte, ist hier Evangelium geworden: die
Form des germanischen Gottesdiensts ist die gemeinsame
Kultfeier, d i e germanische Anschauung der Oberen ist
die des Freundgottes, das Weltbild steht im Zeichen der
Doppelheit von Midgard und Utgard u. s. w. Und der
Beweis für die Minderwertigkeit unserer Quellen liegt
eben darin, daß sie mit den einfachen Linien dieses
Idealbilds so wenig übereinstimmen.
Tübingen Hermann Schneider

Grönbech, Wilhelm: Geist der Germanen. Hamburg: Hanseat.
Verlagsanstalt [1940]. (92 S.) kl. 8°. RM 1—.

Vor mehreren Jahrzehnten erschien Grönbechs Werk:
Vor Folkeaet i Oldtiden (1909—12). Nachdem es 1931
in englischer Ausgabe erschienen war, brachte die Hans.
Verlagsanstalt 1937—39 eine gute deutsche Übersetzung
von Ellen Hoffmeyer heraus. Grönbech will ein Gesamtbild
der Welt der Germanen geben ausgehend von
den Begriffen des Sippentums, des „Heils", der Neiding-
schaft, der Hamingja, des „Friedens" u. s. w. und ihrer
Bedeutung im Leben des Einzelnen wie der Gesamtheit.
Das Werk, viel umstritten und im Original selbst für
gute Kenner des Dänischen nicht leicht zu lesen, stellt

auch in der Übersetzung hohe Anforderungen an Aufmerksamkeit
und Mitgehen des Lesers. Viele werden sie
nur mit Mühe erfüllen. Es war deshalb ein besonders
j glücklicher Gedanke des Verlags, diese kleine Schrift als
! Auszug aus dem Werk erscheinen zu lassen. Sie ist natürlich
kein Ersatz für das Werk und auch nicht als sol-
! eher gedacht. Dagegen ist sie außerordentlich nützlich
als erste Einführung in die Gedankengänge Grönbechs,
und auch Kundige werden das Büchlein als Wegweiser
bei der Lektüre des Gesamtwerks gern benützen.
Marburg Karl Helm

Eckhardt, Karl August: Der Wanenkrieg. Bonn: Ludwig Röhrscheid
1940. (VII, 109 S.) gr. 8° = Oermancnstudien H. 3. RM 6.80.

Diese Schrift schließt sich anderen kundigen und einfallsreichen
Abhandlungen des Bonner Rechtshistorikers
zur Germanenkunde an und bewegt sich gleich diesen in
| ständiger Auseinandersetzung mit einer reichen Literatur.
Sie beginnt mit einer dankenswerten Zusammenstellung
und Interpretation aller Stellen der altisländischen Quel-
I len, die sich auf den sehr umstrittenen Vanenkrieg beziehen
, und tritt dann ein in eine kritische Übersicht der
Vanengottheiten. Die wichtigsten Gedanken sind diese:
jener Krieg spielte sich ehemals nicht ab zwischen Vanen
und Asen, sondern zwischen Vanen und Riesen. Njörd
wurde zu den Riesen vergeiselt, und Tyr ist der Sohn
des Riesen Ymir. Eine alte Götterdreiheit Njörd, Tyr,
I Fjörgyn steht am Anfang der germanischen Religion, in
| der erst sehr allmählich Odin zu einer beherrschenden
Rolle aufrückt. Der Kampf dieser mehr riesischen Gottheiten
mit den vanischen hatte schließlich zu einer Ver-
j Schmelzung beider Familien geführt. — S. 60 ff. schreitet
j der Vf. zur geschichtlichen Begründung dieser Vorstel-
i lung von Kampf und Versöhnung und findet sie, einer
j Vermutung von Güntert folgend, in Zusammenprall und
Verschmelzung wesensverschiedener Volkskulturen. Er
bemüht sich um den Nachweis, daß in den Vanen die
gegen 2000 v. Chr. im Norden seßhaften Megalithleute
stecken, die von den aus Süden vordringenden Streitaxtleuten
überwunden wurden und mit ihnen verschmolzen.
Jene waren Meeranwohner, diese Binnenländler, bei jenen
herrschte Matriarchat, bei diesen Vaterherrschaft,
jene waren fremdstämmig, diese Indogermanen.

Die Arbeit zerfällt also in zwei Teile, einen literarhistorischen
(allenfalls „mythologischen") und einen vor-
j geschichtlichen. Ihr Gegenstand aber ist ohne Zweifel
glaubensgeschichtlich; und doch wird jede religionshisto-
I rische Erörterung in ihr vermieden! Eine Untersuchung
über die Vanen, die nicht von deren Wesensbestimmung
ausgeht, hat wenig Aussicht, ihre Bestimmung zu erfüllen
. Die Vanen sind Fruchtbarkeitswesen, Wachstumsgottheiten
; dadurch erklärt sich mühelos alles, was unser
Vf. den Megalithleuten mühsam erst zuerkennen
muß: die Beziehung zum Wasser, die Geschwisterehe
I (die im Matriarchat begründet sein soll). Es bleibt auch
ganz ungeklärt, wieso die uralte Kunde von der Feindschaft
und Verschmelzung von Stämmen sich nach 3000
Jahren als Kultfabel darstellen soll; denn die Asen als
wanderndes Volk, das ist doch eine ganz späte euhemeri-
] stische Umdeutung.

Wir haben damit das Grundgebrechen der Studie
angerührt: bei dem Asen-Vanenkrieg sind die Unbekannten
nicht Asen und Vanen; die kennen wir, und
wir sind uns ihrer ursprünglichen Wesensverschiedenheit
I ebenso bewußt wie der einzelnen Akte ihrer Verschmel-
j zung. Das x ist vielmehr der Kampf; war es ein wirk-
| licher Religions krieg oder war es ein bloßer Konkurrenzkampf
und eine friedliche Durchdringung? Wie ka-
j men beide Kulte in Berührung? Mag sein, durch einen
J Völkerzug. Aber das Wesentliche war dann: ein asen-
anbetendes Volk stieß auf Vanenbekenner. Eine Erklä-
I rung, die uns nicht Zeit, Ort, Grund, Art, dieser Aus-
I einandersetzung darlegt, sondern von irgendwelchen
j Kämpfen, Zusammentreffen und Vermischungen erzählt,
; die sonst einmal stattgefunden haben, leistet einfach