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Ausgabe:

1941 Nr. 1

Spalte:

322

Kategorie:

Religionswissenschaft

Autor/Hrsg.:

Lanckoroński, Leo

Titel/Untertitel:

Das griechische Antlitz in Meisterwerken der Münzkunst 1941

Rezensent:

Herter, Hans

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Seite 1

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Theologische Literaturzeitung 1941 Nr. 11/12

322

die anderweitigen Zeugnisse der Religiosität der Zeit;
denn wenn diese allerdings nicht alle gleichartig und
gleichwertig sind (S. 69), so kann das Material der Komödie
doch nur auf der Folie dessen, was uns sonst aus
literarischen, epigraphischen und archäologischen Denkmälern
bekannt ist, in seiner spezifischen oder typischen
Bedeutung beurteilt und zu weitergehenden Feststellungen
benutzt werden. Zweitens sind besonders die beiden
ersten Kapitel über öeoc, und tuxi von einer religionshistorischen
Anschauung inspiriert, die keinesfalls anerkannt
werden kann.

Unter den für üroc angeführten Stellen finden sich verhältnismäßig
viele Beispiele für den prädikativen Oehrauch des Wortes, der
nach WilamowHz der ursprüngliche ist und von ihm gerade mit dem
Menanderfragment 257 Kock illustriert wird: S> (teyffft»! Tiöv öewv
vüv ovo' dvcuÖEi', El tteov xafaOV oe ÖEi. Sei öe- to xpatow
Y«Q Jitiv yoiu'Cetui flEÖc,- Gunning bestreitet nun, daß in diesem
und in den andern Fällen eine Personifikation oder gar üeifikation
vorliege; der Sprecher drücke nur soviel aus, daß er sich einer Macht
gegenüber fühle, die er nicht beherrschen könne. Aber so ließe sich
doch nur für eine Zeit argumentieren, wo sich der Mana-Olaube noch
nicht zu persönlichen Gottesvorstellungen entwickelt hatte, aber nicht
für das 4. und 3. Jhdt., wo fteöc längst die festumrissene und an
den Olympiern orientierte Bedeutung „Gottheit" hat. Schon die
erste und wichtigste Stelle, das eben zitierte Menanderfragment, ist
tödlich für Gunnings Theorie, denn der Sprecher kennt AvaCAew
offenbar als eine Göttin, wie sie ja auch wirklich in Athen verehrt
war (Istr. fr. 15 Müller u. a.), und erklärt sie nun von sich aus
für die größte Gottheit, nachdem er sich durch die obwaltende
Situation hat überzeugen müssen, daß die Voraussetzung für die Göttlichkeit
, überlegene Macht, für sie in besonderem Maße zutrifft. Ganz
analog, nur mit negativem Vorzeichen, liegt die Sache bei Philem.
fr. 137 K., wo Gunning 55 f. 65 durch seine Theorie in die merkwürdigsten
Interpretationsschwierigkeiten gerät, und wir finden auch
noch weitere Fälle von Vergottungen, die im allgemeinen Bewußtsein
der Zeitgenossen ihren Anhalt hatten (Kairos, Chronos u. a.).
An anderen Stellen handelt es sich wieder, soweit nicht bloße Vergleiche
vorliegen, um freiere Augenblicksschöpfungen von Gottheiten,
bei denen es sich höchstens fragt, ob der Sprecher sie sich momentan
wirklich plastisch-anthropomorph vorstellt; wer die Vergottung eines
Konkretums wie der Hetärenlampe fr. adesp. 152 K. streng nehmen
will, mag darin einen Fall von retrogradem Fetischismus sehen, muß
sich aber sehr hüten, danach die Auffassung von öeoc, überhaupt,
und wäre es auch nur innerhalb der Komödie, reglementieren zu
wollen. Und wie sollte man an den Stellen, wo Oeö; in landläufigster
Weise als Subjekt steht, einen „unbestimmten, unpersönlichen
Begriff" darin sehen! Im 2. Kapitel wiederholt sich Gunnings Fehldiagnose
: auch xüxil kommt nach seiner Ansicht in der Neuen Komödie
niemals als Person oder Gottheit vor. Aber als evidente Ausnahme
bucht er selber fr. adesp. 15g K., wozu er noch Timoki. fr. 3
Demianczuk hätte stellen müssen, und ebenso bezeichnend ist Philemon
fr- 137 K. mit seinem Widerspruch gegen die Göttlichkeit der Tyche;
a" vielen andern Stellen schillert das Wort zwischen appellativer
und persönlicher Auffassung, eine Erscheinung, die aus dem Griechischen
genugsam bekannt ist. Worauf Gunning eigentlich hinauswill,
zeigt sich, wenn er schließlich auch den oouuwv für unpersönlich
hält: diese Auffassung überträgt er auf den Gebrauch des Wortes
'n llias und Odyssee und gelangt so zu der Hypothese, daß auch
zur homerischen Zeit nicht der Anthropomorphismus, sondern der
Mana-Olaube die Religiosität der unteren Schichten bestimmt habe
und die Neue Komödie somit als Zeugin für die ununterbrochene
Kontinuität dieses Glaubens im „Volke" zu werten sei.

Ich hoffe, daß Gunning im weiteren Verlaufe seiner Studien die
Unnahbarkeit einer solchen Anschauung selber einsehen wird. Für
jetzt braucht nur soviel bemerkt zu werden, daß unter derartigen
Voraussetzungen seine Charakteristik der Vorstellung von Tyche und
£>aimon nur insoweit brauchbar ist, als sie sich eng an das kon-
krete Material der Komödie hält, das freilich diesen für das 4. Jhdt.
so bezeichnenden Komplex nicht voll erfaßt. Ttf*»] ist, so betont
er mit Recht, auch in der Komödie nicht blinder Zufall (wie vielleicht
nicht einmal To OÖTÖUOITOV, das den Menschen ganz ohne sein Zutun
triff0, und der Eindruck ihrer Wandelbnrkcit hat nicht zum Fatalismus
Reführt; finden wir doch mehrmals auch die Erkenntnis ausgesprochen,
daß der Mensch nur zu gern der Tyche oder dem Daimon zuschreibt,
was der eigene Charakter verschuldet hat (S. 49 ff.). Ich stimme
Gunning auch darin zu, daß er rvyr als einen von Anfang an neuralen
Ausdruck faßt; wenn das Wort in der Komödie in malam partem
tendiert, so neigen' dahin auch andere Schicksalsbegriffe, da der
Mensch — nicht nur im wechselvollen 4. Jhdt. — die Macht des
Schicksals gerade dann ZU empfinden pflegt, wenn sie ihn peinlich
betrifft. Umgekehrt stellt Gunning fest, daß die als Ofoi prädizierten
Phänomene öfter guter als schlechter Natur sind, und sieht darin
«in Anzeichen für eine Ethisierung der Oottesvorstellung; mir schiene

j wesentlicher eine Scheidung nach ernst und weniger ernst gemeinten
i Fällen, die ein Überwiegen der letzteren ergeben und damit eher auf
eine gewisse Entwertung des Gottesbegriffes schließen lassen würde.
Wenn Bakchis ihre Lampe für ihren Gott erklärt, so ist das entwürdigender
, als wenn die Unverschämtheit als Gottheit gelten soll; das
moralisch Ungebundene war ja den griechischen Götiern, diesen Ur-
und Grundgestalten des Seins, um mit W. F. Otto zu reden, urtümlich
eigen. Und doch muß man auch wieder an Aussprüche wie das von
j Gunning nach dieser Richtung nicht genügend ausgenutzte Menander-
j fragment 550 f. K. = 16 Dem. denken, das absolutes Gutsein von der
Gottheit verlangt — man kann eben von der Bühnendichtung naturgemäß
kein einheitliches Bild der Religiosität erwarten.

Gunnings orendistische Theorie hat zu dem Para-

j doxon geführt, daß seine Arbeit, die die Komödie als
Quelle der griechischen Religion untersucht, die offiziellen
Götter, die trotz Tyche noch immer den wesentlichen
Bestand dieser Religion ausmachen, überhaupt

j nicht systematisch behandelt; was das 3. Kapitel bietet,
trägt den Charakter von Paralipomena, so nützlich es an
sich auch ist. Hier bespricht er im Gefolge von mehreren
Vorarbeiten die Anrufungs- und Beteuerungsformeln
mit einer Tabelle, ferner die Eide und die ernsten und
parodistischen Gebete, diese nach Kleinknecht. Sodann

| stellt er die Haltung der Dichter gegenüber ekstati-

I sehen Religionsformen und magischen Praktiken, Prie-
stertum (S. 86,1) und fremden Kulten dar (Zwiebel als

j Aphrodisiacum S. VIII. 95 f., 5 s. PW XVIII 1433). Es
folgen einige Stellen mit Gedanken über die Opfer sowie
über Tod und Jenseits, besonders Antiphan. fr. 53 K.

J (zum Jenseits als Herberge vgl. Aischyl. Hik. 156f.;
zur Begrüßung der Neuankömmlinge durch die älteren
Hadesbewohner s. H. Heß, Beiträge zum Epitaphios des
Hypereides, Leipzig 1938, 90 ff. Nilsson, Griech.
Rel. I 768). Einige Seiten gelten dann noch den
immer mehr abnehmenden Anspielungen auf My-

J then, deren Bekanntschaft den Athenern, wie schon
nach Antiphan. fr. 191 K. zu erwarten, keineswegs
ausschließlich durch Tragödie und Epos vermittelt war,
was aus Timokl. fr. 6 K. ja auch gar nicht herausgelesen
weiden kann. Abschließend die Feststellung, daß

| eleusinische und orphische Vorstellungen nicht berührt
worden sind.

Bonn Hans H e rt e r

L a n c k O r o n s k i, Leo u. Maria: Das griechische Antlitz in Meisterwerken
der Münzkunst. Amsterdam: Pantheon Akad. Vlgsanst 1940
(72 S.) 8° = Albae Vigiliae III. * rm 3.40.'

Nach einer Einleitung Kerenyis, die vom Hintergrund
des älteren, dunklen und unmenschlichen Aspektes

I den jüngeren, hellen und menschlichen Aspekt des Göttlichen
bei den Griechen abhebt, führen uns die Verf. zu
den anthropomorphen Götterdarstellungen bedachtsam
ausgewählter griechischer Münzen, die nach ausgezeichneten
Aufnahmen vergrößert mit starker Licht- und
Schattenwirkung wiedergegeben sind. Mit Hilfe von antiken
Zitaten suchen sie in den einzelnen Bildern die

i Wesensgestalt jeder Gottheit zu erfassen, aus deren Erkenntnis
ihr Antlitz von den Künstlern geformt worden
ist. An den Arethusaköpfen der syrakusanischen Münzen
verfolgen sie aber auch, wie die Kunst im Laufe des

j 5. Jhdts. mit zunehmendem Realismus erdennäher wird
und die Richtung auf das Individualporträt nimmt. Das
Büchlein zeugt von feinem Sinn und warmem Gefühl für

j griechische Religion und Kunst, und so ist ihm weite

■ Verbreitung zu wünschen.

Bonn Hans Herter

) Zenker, Gero: Germanischer Volksglaube in fränkischen Missionsberichten
. Stuttgart-Berlin : Georg Truckenmiiller 1939. (198 S.)
8« = Forschgn. z. dt. Weltanschauungskunde u. Glaubensgesch.

; H' 3- RM 6—.

Es gibt eine glaubensgeschichtliche Richtung, der jegliche
Religion auf altgermanischem Boden altgermani-

; sehe Religion ist. Dagegen liest man in der vorliegenden
Schrift S. 177f.: „Die Uberschichtung des germanischen

I Eigentums beginnt bereits in frühgeschichtlicher Zeit,