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Ausgabe:

1941

Spalte:

282-285

Kategorie:

Systematische Theologie: Allgemeines

Autor/Hrsg.:

Otto, Rudolf

Titel/Untertitel:

Freiheit und Notwendigkeit 1941

Rezensent:

Ratschow, Carl Heinz

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Theologische Literaturzeitung 1941 Nr. 9/10

282

das Fremdheitsgefühl des Menschen in dieser
Welt. Er zeigt, daß wir eigentlich so leben, als könnte
der Tod der Gesinnung und den inneren Werten nichts
anhaben, als behalte das Positive in unserem Dasein
über allem Negativen recht, als sei die Brücke zur wahren
Heimat trotz allem heruntergelassen und verschließe
sich dem Wagenden nicht. Ihre Kraft zieht eine solche
Haltung — hier wird die Beziehung auf Kant für den
Verf. wichtig — aus dem Gewissen, das uns mitten unter
den Eindrücken unserer Vergänglichkeit, Unbefriedigtheit
, Einsamkeit der Zugehörigkeit zu einer bleibenden
Ordnung inne werden läßt. — Mit diesen Hinweisen
auf die Bruchstellen des menschlichen Daseins gräbt
Verf. eigentlich Grundmotive des religiösen Lebens auf
(denen in verwandter Weise meine Abhandlung über das
religiöse Ich, Z. f. syst. Theol. I. 1923 nachgeht); die
nähere Ausführung ist dabei doch wohl von der Rücksicht
auf den Gesprächspartner, d. h. den modernen
Menschen, der von Sündenangst „nichts mehr hören will',
bestimmt. Gewiß neigt Kierkegaard zu krampfhafter
Übersteigerung, doch Lieblosigkeit als Schuld, das Sichvergehen
am Bruder, Zerstörung der sittlichen Gemeinschaft
, innere Zerrissenheit bleiben Wirklichkeiten, die
auch den Philosophen erschüttern müssen, denen gerecht
zu werden seine Forderung an sich selbst sein wird, —
und daß die Philosophie das rätselvolle Geheimnis der
Vergebung so sorgfältig zu umgehen pflegt, das hat mir
stets die Unentbehrlichkeit der Theologie zu Gemüte geführt
. Verf. rührt mit vorsichtigen Worten gerade noch
an jene Erscheinungen, was allerdings einer gewissen
Weltgläubigkeit von heute noch zu viel sein dürfte. Im
Grund liegt das, was ich meine, in dem drin, was er sagt
und wie er es sagt, und schließlich kommt es vor allem
darauf an, daß das von ihm Gesagte gehört und zu Herzen
genommen werde. — Nun zeichnet Verf. das Bild
des tapfersten Menschen, der jener dreifachen
Anfechtung standhält, der, ein Überwinder der Welt und
seiner selbst, im Hier und Jetzt kein Genüge fände, aber
das, was darüber hinaus geahnt werden kann, Heimat,
Vater, Heimkehr, von seiner innersten Bindung her bestätigt
sähe, — zum Teil sind wieder Züge des Bildes
von Kant geliehen. Die Rede von einem Jenseits kann
also neben der anderen vom Stufencharakter der Welt
nicht entbehrt werden. „Nur die höhere Welt, die werthaltige
, die von zeitüberlegenen Gehalten durchwaltete
Welt ist die wahre Welt." Darum wird die Weltfrömmig-
keit mit jenen aufregenden Grunderfahrungen nicht so
leicht fertig, wie sie es heute manchmal meinen möchte.
Richtig verstanden ist sie Glaube an etwas, was mehr ist
als die irdische Welt. So ist sie, wie Spranger offen und
wahr betont, mit einem Grundzug des Christentums verwandt
. — Ja, woher nimmt sie den Mut zu ihrer bejahenden
Lebensansicht? Eigentlich aus der Voraussetzung,
daß die Versöhnung zwischen dem unbekannten Gott und
der Welt bereits vollbracht ist, d. h., historisch gesehen
stellt sich in ihr ein Stück unbewußten Christentums
dar. Unbewußt werden konnte dieses, meint
Verf., weil der Sachverhalt aus der letzten Tiefe
des Menschenlebens selbst, ihrem ewigen Gehalt
, emporsteigt, und das ist allein ihre bleibende Begründung
.

Spranger redet nicht als Theologe. Auf einen dogmenfreien
Standpunkt möchte er sich zurückziehen. Ist
aber der mehrmals unterstrichene Satz, daß nur das Metaphysische
, keineswegs das Historische selig mache, kein
Dogma? Er ist ebenso ein Dogma, wie seine Umkehrung
es ist, nur stammt jener Satz aus dem griechischen
Denken und das heißt einem exemplarisch-statischen
Denken, wie es der zugrundeliegenden griechischen Naturreligion
entspricht. Schicksalhaft gebunden scheint
doch die abendländische Philosophie an die Gestalt der
1 hilosophie, aus der sie einmal herausgewachsen ist. So
klingt das Wort von der Erlösung durch eine göttliche
Liebestat in der ewigen Zeit, wobei die ewige Zeit die
geschichtliche Zeit aufheben und entwerten muß, Hegelisch
, ja wieder griechisch-statisch, — das wäre schon
eine weitere dogmatische Formulierung! Oder so ist für
diese Weltfrömmigkeit Gott zum Göttlichen geworden, —
in der Tat wird die Frömmigkeit tief und fein als Andacht
und Erlebnis, nicht als Gebet beschrieben, immerhin
drängt das Moment des Glaubens an ein mehr als
Irdisches, des Glaubens im Sinne Kants als einer Gewissensentscheidung
, zugleich über diesen Rahmen hinaus.
Am nächsten an die Theologie streift Spranger in einer
der wertvollen Anmerkungen des Anhangs, wo er den
Zug des modernen Menschen charakterisiert, nur das als
Offenbarung anzuerkennen, was vor seinem prüfenden
Gewissen und Entscheiden, seinen Ansprüchen an Echtheit
und Würde standhält. Hier wäre wieder zu fragen,
ob der Erdgeborene ohne eingreifende Verwandlungen
(also statisch) die Prüfsteine zu eigen hat, oder ob er
erst in der Begegnung mit der Welt Gottes
zum wahren Verstehen des Echten und Höchsten instand
gesetzt wird. Denn natürlich: er selbst soll frei zustimmen
, das will Gott, wenn er der Vater ist, nicht anders.
Aber dazu muß er sozusagen aus seinen eigenen
Verwicklungen heraus, ja über sich selbst hinausgeführt
werden! — Freilich, die christliche Theologie
hat sich offenbar mit der Alternative metaphysisch-historisch
nicht genug auseinandergesetzt. Hier liegen große
Aufgaben vor uns. — Was Verf. in seiner schönen Schrift
der Theologie Besonderes zu sagen hat, sei zuletzt betont
: ohne Weltfrömmigkeit wird die Christusfrömmigkeit
eng, wird auch das Leben des Christen nicht wirklich
ganz ausgefüllt. Daß er sich um die Frage der Wertfrömmigkeit
so eindringlich und eindringend bemüht, das
sichert ihm unseren Dank.
Tübingen Georg W e h r u n g

Otto, Rudolf: Freiheit und Notwendigkeit. Ein Gespräch mit
Nicolai Hartmann über Autonomie und Theononiic der Werte. Mit
einem Nachwort herausg. v. T h. Siegfried. Tübingen: J.C.B.
Mohr 1 <J40. (40 S.) gr. 8° = Sammig. gemeinverständl. Vorträge u.
Schriften aus d. Oebiet d. Theologie u. Religionsgcsch. 187. 1<M 1,50.

Der letzte Aufsatz Rudolf Ottos befaßt sich mit den
fünf von Nicolai Hartmann am Ende seiner Ethik
(2. Aufl., Berlin, 1935) aufgestellten Antinomien zwischen
Ethik und Religion. Die erste Antinomie bezieht
sich auf die „praktische Gesamtrichtung", insofern alle
Religion aufs Jenseits tendiert, die Ethik aber ganz und
gar diesseitig eingestellt ist. „Für sittliches Streben ist
alle Transzendenz ein trügerischer Schein." Die zweite
Antinomie, die sich mit der ersten überschneidet, besagt,
daß es der Ethik auf den Menschen, der Religion aber
auf Gott ankomme. Hartmann postuliert, „es liegt im
Wesen des Menschen, daß ihm ethisch der Mensch das
Wichtigste . . . und zugleich auch das Höchste ... ist
von allem . . . Daß ihm irgendetwas im Himmel oder auf
Erden, und sei es Gott selber, darüber ginge, wäre
ethisch ... ein Verrat am Menschen . . (S. 738). Die
dritte Antinomie bezieht sich auf den „Ursprung der
Werte". Die Werte der Ethik sind eben autonom, aus
sich wertvoll. Die Werte der Religion aber erhalten als
Gottes Gebote ihren Wert von Gott her und die „Sittlichkeit
besteht im Leben nach Gottes Gebot" (S. 739). Die
vierte Antinomie sieht N. Hartmann aus dem Vorsehungsglauben
entspringen, der die ethische Freiheit des
Menschen begrenzt, in dem „finalen Determinismus" der
göttlichen Vorsehung. Menschliche Freiheit und der „finale
Determinismus" der göttlichen Vorsehung „stehen
zu einander kontradiktorisch als These und Antithese"
(S. 741). Die fünfte Antinomie, die „Antinomie der
Erlösung" besteht darin, daß die Ethik die Schuld überwindbar
erklärt in der „Möglichkeit sittlicher Erhebung",
auf Grund einer Sehnsucht des Schuldigen, die Last der
Schuld abzuwerfen, als „aktuellste Macht zum Guten"
(S. 744). Überwindung des Bösen also gibt es — aber
„nicht eine Vernichtung der Schuld als solcher", wie die
Religion mit ihrer Vergebung will. „Die Schuldabnahme
ist auch ethisch falsch", insofern sie gleichsam nun posi-