Recherche – Detailansicht

Ausgabe:

1941

Spalte:

280-282

Kategorie:

Systematische Theologie: Allgemeines

Autor/Hrsg.:

Spranger, Eduard

Titel/Untertitel:

Weltfrömmigkeit 1941

Rezensent:

Wehrung, Georg

Ansicht Scan:

Seite 1, Seite 2

Download Scan:

PDF

'279

Theologische Literaturzeitung 1941 Nr. 9/10

280

griff und die Sakramentsauffassung der Ostkirche zu
sprechen. Nach Ansicht des orthodoxen Vf.s enthält die
Ostkirche in nuce die evangelische wie die katholische
Auffassung und müßte daher den Sammelplatz für die
Erneuerung des Christentums abgeben.

Sucht Arseniew das Wesen der östlichen Frömmigkeit
durch Zusammenfassung zu bestimmen, so gibt
Wunderle seine Deutung anhand einer Spezialuntersuchung
. Die Bilderverehrung ist für die östliche Frömmigkeit
so entscheidend, daß ihre Motive zugleich tief ins
Wesen der Ostkirche hineinleuchten. Wunderies Schrift
hat auch, wie die Neuauflage zeigt, bei Theologen und
Kunsthistorikern Interesse geweckt. Gegenüber der oft
betonten Starrheit der östlichen Ikone spricht der Vf. von
ihrer Seele als einer anima naturaliter christiana. Im
Bilde sei die Beziehung zwischen Himmel und Erde
wirksam. Während einerseits religionsgeschichtliche Erklärungen
für das Aufkommen des Bilderdienstes abgelehnt
werden, wird andererseits die Totenmaske als Vorbild
der Ikone zugegeben. Die Welt des Piatonismus
wird als Nährboden des Bilderkultes angesehen. Die
psychologischen Deutungsversuche enthalten neben richtigen
Beobachtungen auch subjektive Ansichten, die die
ostkirchliche Theologie schwerlich teilen kann. Dahin
gehört auch der Satz: „Die Ikonen sind unvergleichliche
Mittel des mystischen Aufstiegs in die Höhe göttlicher
Verklärung, mit dem die Erlösung des Menschen von
Erdenschwere und Sündennot schon auf Erden ihren Anfang
nimmt" (S. 27). Als hauptsächlicher Grund für das
Recht der Ikone wird die Menschwerdung Christi bezeichnet
. Die Ikone ist das Transparent der himmlischen
Welt und ein Hinweis auf den Prototyp. Obwohl das
Heft in zweiter Auflage erschienen ist, sind einige sachliche
Fehler nicht verbessert worden. So ist unter anderem
die Darstellung vom Patriarchen Nikon unrichtig.
Auch manche Auseinandersetzung ist nicht sachlich begründet
. Vor allem war es überflüssig, diese Schrift
polemisch gegen einen Gelehrten wie Karl Holl zu richten
. Holls Feststellungen werden im übrigen dadurch in
keiner Weise getroffen.

Berlin Robert Stupperich

Schakhovskoy, Johann, Archimandrit: Sieben Worte über das
Land der Gadarener. (Lukas 8,26 - 39) Berlin: Verlag „Die Brücke"
W. Neumann in Komm. 1941. (31 S.) kl. 8°. RM 1—.

Ders.: Lob der Auferstehung. Ebda. 1940. (31 S.) kl. 8°. RM 1 —

Der Pfarrer der russisch - orthodoxen Kirche in
Berlin, ein in der russischen Emigration weithin bekannter
Seelsorger, bietet in diesen Heften einige neutesta-
mentliche Betrachtungen, die um ihres biblischen Gehaltes
und ihrer originellen Gedankenführung willen Beachtung
verdienen. Nach der Bezeichnung „Sieben Worte
" (= slovo) und der Einteilung in viele kleine Abschnitte
ist anzunehmen, daß diese Auslegungen zunächst
als Andachten gehalten worden sind. Die deutsche Übersetzung
ist flüssig und stilgerecht.

Seine grundsätzliche Auffassung spricht der Vf. im
zweiten Heft S. 31 aus: „Jedes Wort, jeder Satz Christi
ist voll erhabener Bedeutung. Erhaben ist auch ihr offenbarer
und ihr verborgener Sinn. Denn alle Worte und
alle Geschehnisse in den Evangelien haben Bezug auf
das persönliche Schicksal jedes einzelnen Menschen." Im
Schriftabschnitt von den Gadarenern und ihrem Verhalten
gegen Jesus (Luc 8, 37 ff.) findet der Vf. das Verhalten
der Menschheit Gott gegenüber dargestellt. Es wird
durch Ausdeutung einzelner Züge ein eindrucksvolles
Bild vom gottfernen und gottnahen Menschen gezeichnet.
Die Geschichte wird zum Gleichnis und zur Allegorie.

Auch im zweiten Heft, das ins Zentrum des christlichen
Glaubens führt, wird das äußere Geschehen des
Evangeliums als Abbild des inneren Geschehens in der
menschlichen Seele gewertet. Obwohl auch hier im Wesentlichen
die neutestamentlichen Auferstehungsberichte
behandelt werden, zeigen die theologischen Gedanken

j dieses Heftes viel deutlicher die ostkirchliche Herkunft
des Verf. So wird z. B. aus Luc 24, 30 f. die Verwand-

, lung des Brotes in der Eucharistie geschlossen. Hier

| kommt es zur Berührung von Gottheit und Menschheit.
Was geboten wird, ist russisch-orthodoxe Theologie
bester Prägung. Die Form zeigt den evangelischen Ein-

| fluß, unter dem sie gestanden hat.

Berlin R. Stupperich

SYSTEMATISCHE THEOLOGIE

Spranger, Eduard: Weltfrömmigkeit. Ein Vortrag. Leipzig:
Klotz 1941. (47 S.) 8°. RM 1.20.

Diese Schrift des bekannten Berliner Philosophen
i ist bereits durch ganz Deutschland gegangen und hat
dabei wohl die gleiche verschiedene Aufnahme gefunden
wie laut des Vorworts der Vortrag, den sie wieder- und
j weitergibt. In einem sollten deutsche Leser einig sein:
[ im Verstehen des Anliegens, das den Verf. zu Rede und
: Schrift getrieben hat. Das ist nämlich die sehr aulwühlende
philosophische Sorge über die seit den
Tagen der Aufklärung zuerst langsam, dann schneller
I voranschreitende Abflachung der inneren Welt,
j die Sorge über die religiöse Verarmung, die sich weiter
Kreise unseres Volkes bemächtigt hat, oder über den Dimensionsverlust
, der mit dem Durchbruch des diesseiti-
i gen Lebensgefühls Hand in Hand gegangen ist. Der
Philosoph gewahrt mit Unruhe die Verdünnung, ja Verflüchtigung
des religiösen Sinnes in einem Zeitalter, in
dem alles Dichten und Trachten der Gestaltung des diesseitigen
Lebens zugekehrt ist; er spürt, daß damit auch
der metaphysische Zug der Verkümmerung preisgegeben
[ ist, — Metaphysik und lebendige Religion, das ist die un-
I ausgesprochene Voraussetzung, hängen eng miteinander
zusammen. In der Tat, in einem religiös bewegten Volk
findet die Metaphysik ihren fruchtbarsten Boden, und
vielleicht bedingt die ursprüngliche Religion wesentlich
die Richtung und die Spannweite des metaphysischen
Denkens. — Ed. Spranger weiß, daß man eine solche Bewegung
nicht einfach zurückschrauben kann, aber vertiefen
läßt sie sich, der Vertiefung bedarf sie dringend. Von
Goethe und vom deutschen Idealismus her wirkt in un-
| sere Tage noch die Weltfrömmigkeit herein, die jenes
Geschlecht erfüllte, die einst Welt und Überwelt lebendig
ineinandergreifen sah, die freilich unter den heutigen Bedingungen
einer stärkeren Belastungsprobe ausgesetzt
ist und deshalb selbst nicht ohne vertiefende Klärungen
in der Gegenwart fruchtbar werden kann, — hier wird
die Aufgabe sichtbar, die sich Verf. stellt. Denn ein unbestimmtes
Reden von gläubiger Haltung und von einem
religiösen Urwillen, der uns trägt, hilft uns allerdings
wenig; damit wird die Verflachung nicht aufgehalten,
überhaupt stellt uns die Wirklichkeit ernstere Fragen.

Zunächst verfolgt Verf. einige Hauptströmungen der
idealistischen Weltfrömmigkeit: die Stimmungsreligion
und Allreligiosität der Reden Schleiermachers,
i die in Goethes zweiter Ehrfurcht ihr Gegenstück findet
und, durch manchen neueren Lyriker hindurchgehend, zuletzt
in Rilke eine eigenartige Ausprägung erfährt; die
I Religion der gläubig-ungläubigen Tat im
j Sinne Friedrichs des Großen oder Fichtes in seiner frü-
J heren Zeit oder Pestalozzis; schließlich die Religion des
spekulativen Erkennens, die in Hegels Weltdichtung
glüht. Überall, das ist wahr, erscheint dieser Wcltfröm-
migkeit das ganze Dasein in mildem Glanz, vor dem
i alles Dunkel zurückweicht, und dies ist erst recht die Ge-
j fahr der heutigen Weltfrömmigkeit, soweit sie sich in
I unserer Mitte erhalten hat. — Demgegenüber weist
Spranger auf dreierlei hin, was seinem Wesen nach
den immanenten Sinn der Welt zersprengt
und woraus die Weltfrömmigkeit eigentlich erst Ernst
und Wahrheit schöpft, das ist der Tod, die Enttäuschung
, ja Verzweiflung über die Zerbrechlichkeit
jedes Glückes in der Welt,