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Ausgabe:

1941

Spalte:

278-279

Kategorie:

Ökumenik, Konfessionskunde

Autor/Hrsg.:

Arsenʹev, Nikolaj S.

Titel/Untertitel:

Von dem Geist und dem Glauben der Kirche des Ostens 1941

Rezensent:

Stupperich, Robert

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Theologische Literaturzeitung 1941 Nr. 9/10

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de, doch das Streben blieb, „wie in Christus selbst, so
auch in dem Christo nacheifernden Menschen das Göttliche
vor dem Geschöpflichen, Menschlichen vorschlagen
zu lassen". Der Erwägung wert ist, daß die Askese oft
als Ersatz des Martyriums gegolten habe und auch gemeint
gewesen sei.

Die oben mitgeteilten Titel der einzelnen Aufsätze
zeigen, daß das Buch keine umfassende Kirchenkunde des
Ostens bietet, sondern viele Sonderfragen behandelt, soweit
sie für römisch-katholisches Unionsbemühen von Interesse
sind (wiederum nicht alle; so finden wir z. B.
keine zusammenhängende geschichtliche Darstellung der
römischen Unionsbestrebungen und keine Geschichte des
Verhältnisses der morgenländischen Kirchen zum Protestantismus
). Aber der Wille, sich in morgenländische
Art einzufühlen, ist von achtungswerter Stärke, und die
Überzeugung, daß namentlich die Mystik eine Brücke zwischen
östlichem und westlichem Katholizismus bilden
kann, ist gewiß richtig. Der Evangelische würde im Blick
auf die heutige Lage des Christentums hinzusetzen mögen
: „zur Gemeinschaft helfen kann auch gemeinsame
Arbeit an sittlich-sozialen Aufgaben, Kampf gegen Not
und Unrecht." Dieser Gedanke begegnet in dem Buche
nicht. Zur Erklärung sei gesagt: bei der Verschiedenheit
der wirtschaftlich-sozialen Entwicklung im Osten und
Westen, d. h. weil im Osten Industrie erst viel später
aufkam, ist dort Linderung der Not viel länger rein
Sache der Barmherzigkeit Einzelner gewesen; Gemeinschaftswille
zu christlicher Sozialreform konnte dort erst
spät einsetzen. Wie in Italien und Spanien christlichsoziale
Bestrebungen erst nach solchen in England und
Deutschland aufgekommen sind, so erst recht später in
Rußland, Rumänien u. s. w. Und wie römischen Katholiken
, wenn sie in größerer Zahl etwa an den Arbeiten
der Stockholmer Konferenz beteiligt gewesen wären,
doch der Mangel an dogmatischer Übereinstimmung mit
den übrigen Teilnehmern ein stärkeres Hemmnis gewesen
wäre, als meist den evangelischen Teilnehmern untereinander
, so empfinden morgenländische Christen,
wenn es um wirkliche Union geht (die doch das Endziel
von Lausanne ist) den Mangel an Orthodoxie bei allen
Abendländern oft nicht weniger, als römische Katholiken
die Fremdheit der kritischen Denkweise vielen Protestanten
.

Dabei kann es durchaus so kommen, daß morgenländisch
-christliches Denken und Empfinden für den
Westen in nächster Zeit noch größere Bedeutung gewinnt
, als z. B. einige russische Denker für die Theologie
der Krisis bereits haben. Ohne ausdrücklich die
Parallele zur Eroberung von Konstantinopel 1453, zur
damaligen Abwanderung von Griechen nach dem Westen
und zur Verbreitung der Renaissance zu ziehen,
meint Pfleger (S. 260): „Die russische Revolution war
nicht nur durch den Bolschewismus revolutionierend,
sondern noch mehr durch die Orthodoxie, die sie in die
europäische Verbannung t/ieb. Vielleicht können schon
die nächsten Generationen feststellen, daß die Verspren-
gung der Ostkirche in den westchristlichen Raum die
größere, entscheidendere Revolution war". Und manches,
was uns heute noch fremd ist an östlichem Wesen, wird
so gedeutet werden können, daß es sich mit tiefen Gedanken
unserer Philosophen und Dichter berührt. Scheinen
uns die Ikonen starr, so ist doch, was ein frommer
russischer Fürst von der heiltuden Macht der Schönheit
sagt, verwandt der Lehre Schillers von der ästhetischen
Erziehung der Menschen. Aber vieles, was man vorbringt
, um uns morgenländischen Kult zu deuten, bleibt
verschwommen, z. B. Tyciaks Satz: „Die morgenländische
Messe ist das Opfer der Auferstehung" (S. 55).
Und Dostojewskis Satz: „Das einzige Volk, das Gottesträger
ist, ist das russische Volk" ist uns, weil hochmütig
, unchristlich. In dem weiten Gebiet russischer Frömmigkeit
gibt es auch solche Einsiedler, die mahnen, das
Gebet „Herr Jesus Christus, erbarme Dich meiner" dreitausendmal
am Tage zu sprechen, daneben solche Sekten
wie die „Lochanbeter, deren ganze Religion darin
besteht, ein Loch in einen Balken der Hütte zu bohren
und den Spruch hineinzuraunen: Du meine Hütte, du
mein Loch, errette mich" (S. 102 f.). Nur gehören solche
geistige Erkrankungen wohl zu dem Schutt, über den die
Sturmflut bolschewistischer Gottlosigkeit einherbrausen
mußte. Wichtiger als solche Absonderlichkeiten aber ist,
daß auch einige wichtige Züge morgenländischen Christentums
uns fremd bleiben, so die Meinung frommer
Russen: „Der Versucher ist das Leben, Gott aber ist im
Tode zu finden." Die Schilderungen byzantinischer Mystik
durch Wunderle oder die russischen Mönchtums
j durch Arseniew kann der Evangelische kaum lesen, ohne
I zu fragen: „was würde Luther dazu sagen?". Von daher
j begreift man, daß der um seine Kirche und sein Volk
sehr verdiente uniert ukrainische Erzbischof von Lemberg
, Graf Scheptyckij, paradox gesagt hat, Osten und
Westen dächten auch dort verschieden, wo sie vollkommen
übereinstimmen. In der Tat kann man fragen, ob,
wie Glauben im Katholizismus und im Protestantismus
Verschiedenes bedeutet, so auch das Glauben orthodoxer
und römischer Christen verschieden sei, und in
welchem Sinne.

Daß die römische Kirche die linierten Orientalen nach dem Ritus
anordnet, gibt keinen rechten Begriff von der sehr ungleichen Bedeutung
dieser Gruppen (von denen die Ukrainer und die Rumänen
viel zahlreicher sind als alle anderen zusammen), und daß im Buche
diese Anordnung auf die orthodoxen, d. h. nichtunierten Kirchen
übertragen wurde, ist unzweckmäßig. Und den Monophysitismus so
zu erklären (S. 358) „Die Armenier sind Monophysiten, d. h. sie erkennen
in Christus nur eine Natur an und zwar die menschliche" ist
unmöglich, widerstreitet auch besseren Sätzen an andrer Stelle des
Buchs. Daß Peter der Große die russische hl. Synode „nach protestantischem
Muster und der anglikanischen high church" eingesetzt
habe (S. 356), kann man (noch abgesehen von der Frage, ob es
sachlich richtig ist) nur sagen, wenn man high church, den Namen
einer Gruppe in der anglikanischen Kirche seit dem 19. Jahrhundert,
mit dieser Kirche selbst verwechselt. Daß die Mazedonier „Befreiung
vom türkischen Joch 1890 erlangten" (S. 305), ist ein Irrtum
. Vom „Humanismus des Auferstandenen" (S. 380) sollte man
nicht reden (gemeint ist offenbar seine menschliche Natur), und die
Einführung des Wortes „Mönchisierung" (S. 121) sollte mit schweren
geistlichen und weltlichen Strafen geahndet werden.

Niederbobritsch H. Mulert

Arseniew, Nikolaus von: Von dem Geist und dem Glauben
der Kirche des Ostens. Leipzig: Leopold Klotz Verlag 1941
(31 S.) 8°. RM 1.20.

Wunderle, Georg: Um die Seele der heiligen Ikonen. Eine
religionspsychologische Betrachtung. Zweite, erw. Aufl. Würzburg:
Rita-Verlag u. -Druckerei- 1941. (60 S.) 8° = Das östliche Christentum
. H. 3. RM 2.10-

Es ist eine erfreuliche Tatsache, daß gegenwärtig
trotz des Krieges verschiedene Schriften erscheinen können
, die für gerechte Beurteilung und tieferes Verständnis
der Ostkirche eintreten. Fraglos wird die Kenntnis
der Ostkirche weithin dadurch gefördert, daß das Wesen
und die Motive der östlichen Frömmigkeit erneut herausgehoben
werden, wenn es sich auch nur um kurze Zusammenfassungen
handelt.

Arseniews Schrift über Geist und Glauben der Ostkirche
liegt ein Vortrag zugrunde, den der Vf. am 12. 8.
1940 bei der Tagung der Lutherakademie in Sonders-

j hausen gehalten hat. Bei dieser Gelegenheit hat er den
Vertretern anderer Konfessionen seine These vom ur-

| christlichen Realismus der Ostkirche nahegebracht. Das
innere Leben der orthodoxen Kirche leitet er aus ihrer

I Liturgie ab. Der Kult erzieht den Gläubigen zur kosmischen
Schau. Von der Auferstehung her sieht er die
Welt in neuem Licht. Als weiteres Kennzeichen der östlichen
Frömmigkeit will der Vf. die ethische Haltung be-

j tonen, wobei zu fragen ist, ob sie tatsächlich in der Ostkirche
die ihr vom Vf. zugemessene Bedeutung hat. Im
Vergleich zum westlichen Christentum hat die Ethik hier
keinen so großen Einfluß. Die ostkirchliche Ethik bleibt
kontemplativ; ihre Brennpunkte sind Demut und Gebet
Im weiteren Verlauf kommt der Vf. auf den Kirchenbe-