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Ausgabe:

1941

Spalte:

265-267

Kategorie:

Kirchengeschichte: Allgemeines

Autor/Hrsg.:

Stock, Wilhelm

Titel/Untertitel:

Die Judenfrage durch fünf Jahrhunderte 1941

Rezensent:

Schlichting, Günter

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265 Theologische Literaturzeitung 1941 Nr. 9/10 266

weis, daß der Archetypus der 3 Handschriften des Diur- urteilung unter nationalsozialistischem Blickpunkt. — Die
nus/die aus dem 9. Jahrhundert erhalten sind, nur aus Mehrzahl dieser lutherischen Theologen zeigt eine ausge-
der'päpstlichen Kanzlei stammen konnte. Von den dafür , sprachen antisemitische Haltung. Stock behandelt jedoch
angeführten Gründen ist besonders eindrucksvoll, was weit ausführlicher als diese lutherischen Antisemiten
Peitz über die im Diurnus stehen gebliebenen, konkre- Andreas Osiander und den Altdorfer Gelehrten Wagenten
, nur auf Rom zutreffenden Angaben ausführt (S. 1 seil, die er als Judenfreunde kennzeichnet. Dabei stellt
23 f.). Er sucht dann weiter zu zeigen, und zwar mit j er Osiander, dem Nürnberger Reformator, Dr. Eck aus
recht einleuchtenden Gründen, daß der Diurnus aus- Ingolstadt als vorbildlichen Antisemiten gegenüber,
schließlich päpstlich ist. Die letzten Abschnitte der | Stock will an den Verfassern dieser Schriften „einen
Abhandlung erörtern in sehr komplizierter Beweisfüh- für ganz Deutschland beispielhaften Typ" zeichnen. Er
mag verschiedene liturgische Quellen, die in zahlreichen laßt dabei deutlich genug durchblicken, daß für ihn der
Hss. überliefert sind, nämlich die sog. „Ordines" der katholische Antisemit und der protestantische Juden-
Bischofsweihe und der Papstweihe, mit deren Hilfe Peitz freund die beispielhaften Typen sind (S. 55). Die Be-
ebenfalls zu beweisen sucht, daß der Liber Diurnus das vorzugung des Katholizismus in dieser Beziehung durchoffizielle
Handbuch der päpstlichen Kanzlei gewesen sein | zieht das ganze Buch; vgl. S. 30, 33, 55, 57, 64, 66,
müsse; dabei gibt er verschiedene methodische Winke für I 70, 72, 75, 102ff., 105, 119 f., 123, 223 f., 381, 503 ff.
die Erforschung dieser Quellen. Die päpstliche Kanzlei u. ö. Dieses heute in katholischen und ehemals katho-
wnr bis ins 11. Jahrhundert „das einzige Zentralamt der lischen Kreisen oft begegnende, aber noch nie bewiesene
päpstlichen Verwaltung", sozusagen „Staatssekretariat i Urteil erinnert lebhaft an die These vom Sieg des Semi-
und Ritenkongregation und Schatzamt und Archivbehörde ! tismus in der Reformation, die einst der alternde Jude
zugleich" (S. 85). An zahlreichen Stellen seiner Arbeit Disraeli aufgestellt hatte.

weist Peitz auf weitere, von ihm geplante Untersuchungen i Ein zweiter Abschnitt (S. 263—299) behandelt die
zu dem Problemkreise hin. Die Studie wäre endgültig nur Schriften der getauften Juden Otto, Kirchner, Matthäi
von jemandem zu kritisieren, der sämtliche von Peitz und Leonhard, die meist rein archäologischen oder judenherangezogene
Quellen samt ihren Hss. durchnimmt, also kundlichen Darstellungen synagogaler Riten einen sehr
die Arbeit noch einmal macht. Ohne mich der gleichen breiten Raum widmen. Dabei läßt Stock mit Recht das
Vertrautheit mit diesen Quellen rühmen zu können, wie rein Innerjüdische beiseite und richtet sein Augenmerk
sie Peitz an den Tag legt, habe ich doch durch seine auf die Judenfrage, d.h. die Beziehung zwischen Juden

Darlegungen den Eindruck gewonnen, daß er mit seiner
Hauptthese auf dem richtigen Wege ist: Der Liber Diür
nus stammt aus der päpstlichen Kanzlei

und Nichljudeiitum (S. 286, 343).

Dem 19. Jahrhundert sind drei Abschnitte gewidmet.
Aus der Aufklärungszeit geht Stock auf die Schriften

Jena Karl h c u s s i I von Döderlein, Kortum, Spaun, Ball, Elkan Henle und

einem anonymen Rabbi ein, am ausführlichsten auf die
Stock, Dr. Richard Wilhelm: Die Judenfrage durch fünf Jahr- | antisemitische Schrift Kortums, erwähnt jedoch im Ge-
hunderte. Nürnberg: Verlas des Stürmer (1939]. (539 S., 34 Abb.) | gensatz zu seiner sonstigen Übung mit keinem Wort
gr. 8°. rm 13.50. I Kortums evangelische Abkunft.
Reichhaltiges Material zur Geschichte der Juden vom Ausführlicher würdigt Stock zwei fast vergessene
frühesten Mittelalter bis in die Gegenwart ruht in den | Religionswissenschaftler des 19. Jahrhunderts (S. 365
deutschen Bibliotheken und Archiven. Während der Ge- bis 420), die damals in mutigen Vorstößen das Judenschichte
der Judenfrage seit der Aufklärung in den letz- I tum seiner Glorie entkleidet haben: G. Fr Daumer und
ten Jah ren eine Reihe wissenschaftlicher Arbeiten gewid- ^ ■ W. Ghillany. Beide anerkennen jüdische Ritualmorde
met worden ist, die in entscheidenden Punkten die in den a's. eine Tatsache, beide zerstörten in heftiger Kritik
Archiven ruhenden Quellen bearbeitet haben, ist die Ju- »die Romantik des Alten Testaments" (S. 414) _
denfrage in den der Aufklärung voraufgehenden Jahr- ■ Theologisch gesehen, ist die Zerstörung einer solchen
hunderten, gerade im Blick auf das in den Bibliotheken falschen Romantik durchaus zu begrüßen. Die Kirche
ruhende Quellengut noch weitgehend unbearbeitet geblie- jener Tage hat um die Bedeutung des Alten Testaments
ben. j weithin nicht gewußt. In derselben Zeit, sah sich z. B
Die als Dissertation entstandene Arbeit von Stock, ein Kohlbrügge zur Abfassung seiner Schrift: „Wozu
die Julius Streicher gewidmet und — mit 106 Seiten Ab- , das Alte Testament?" veranlaßt (1845). Es mag bedauer

bildungen und Facsimilewiedergaben — reich illustriert
ist — der eigentliche Text umfaßt rund 280 S. —, hat
einen dankenswerten Vorstoß unternommen, diesem Man-

lich sein, daß sich Textkritik und Religionswissenschaft
damals z. T. erst in heftigem Gegensatz zum Kirchenregiment
ihr Recht erkämpfen mußten. Allein, in der

gel abzuhelfen. Stock beschränkt seine Untersuchung auf Art, wie Daumer und Ghillany das Alte Testamen beliterarische
Quellen, er beschränkt sie weiter auf die im kämpften, untergruben sie die Grundlage des christlichen
Gebiete der Reichsstadt Nürnberg einschließlich Altdorfs , Glaubens überhaupt, und hier konnte die Kirche freil.ch
gedruckten oder in enger Beziehung zu Nürnberg stehen- «»cht untätig zusehen wenn Stock ihr dies auch zum
den Schriften zur Judenfrage. Diese sachliche und ort- i Vorwurf macht <S 370). Wenn heute die Theologie kla-
liche Begrenzung kommt der Gründlichkeit der Arbeit rer sehen kann als damals, so ist das mit eine Frucht
zueute dcr Kampfe, die damals ausgetragen wurden, und hier
In'der Fülle evangelischer und katholischer, kirch- Jjfben, kirchengeschichtlich gesehen auch Daumer und
licher und unkirchlicher, deutscher und jüdischer Schrif- Qhlllany ihr Verdienst. - Daß beide mit ihrer Wissenten
zur Judenfrage, deren Inhalt und Charakter Stock j schaff in mehr als einem Punkte auf Irrwege gerieten,
umreißt, zieht vor den Augen des Lesers ein lebendiges kann heute hundert Jahre spater nicht Wunder nehmen.
Bild vom jahrhundertelangen Kampf des Frankenlandes Stock macht selbst auf Daumers Verirrungen hinsichtlich
um die Befreiung von jüdischem Einfluß vorüber. der Herkunft der Juden aufmerksam es 382 ff.). An-
Der Hauptabschnitt der Arbeit (S. 27—262) behan- dere Irrtumer dagegen läßt er unaufgedeckt, so z. B. daß
delt die Schriften lutherischer Theologen zur Judenfrage, Abraham auf Morija dem Feuermoloch geopfert habe,
so Werke von lohannes Teuschlin, Daniel Schwenter UI'd daß der Name Isaak das „sardonische Gelächter"
(t 1636), Johannes Wülfer (f 1724), Carl Friedrich beim Verbrennungsschmerz andeute (S. 377), daß die
Lochner Johann Jodocus Beck (t 1744), Georg Ma- ! Hinrichtung Jesu ein Ritualmord gewesen sei (S. 401f.)
thias Schnitzer, Johann Christoph Wagenseil (t 1709), u.a.m.

Andreas Würfel (f 1769). Dabei umreißt Stock in der Im dritten dem 19. Jahrhundert gewidmeten Absclinit-

Regel den Inhalt der einzelnen Schriften, zeigt die Lage ; te behandelt Stock „Die Historiker und das Judenpro-

auf, in der sie entstanden sind, prüft ihre Wirkung auf blem" (S. 421—462). Es sind durchweg unbedeutende,

die Öffentlichkeit ihrer Zeit und bemüht sich um eine Be- ganz überwiegend judenfreundliche Arbeiten, die hier in