Recherche – Detailansicht

Ausgabe:

1941

Spalte:

259-261

Kategorie:

Neues Testament

Autor/Hrsg.:

Michaelis, Wilhelm

Titel/Untertitel:

Es ging ein Sämann aus, zu sehen 1941

Rezensent:

Wicke, Johann Heinrich

Ansicht Scan:

Seite 1, Seite 2

Download Scan:

PDF

259

Theologische Literaturzeitung 1941 Nr. 9/10

260

ursprünglichen (von Lk. dargebotenen) Textes vorgenommen
hat, ist doch nicht so einfach von der Hand zu weisen
. Gewiß hat Lk. bei der Zusammenstellung der einzelnen
Sprüche auf seine hellenistischen Leser Rücksicht genommen
. Damit ist aber noch nicht gesagt, daß nicht
einzelne Worte in seiner Fassung den Vorzug vor der
des Mt. verdienen. Ich finde, die Lösung des Vf.s ist gar
nicht so unanfechtbar, wie er glaubt. — Ein Zweites.
Wenn der Vf. die Bergpredigt als „Erlösungsethik" bestimmt
, so trägt er damit einen Begriff in die Bergpredigt
hinein, der sich in ihr selbst nicht findet und der
m. E. nicht der Situation entspricht, um die es sich handelt
. Die Bergpredigt ist Reichs-Oottes-Ethik. Sie ist
darauf bedacht, die ethische Lebenspraxis der Menschen
zu ordnen, die schon jetzt dem Reiche Gottes zugehören.
Sie gibt Antwort auf die Frage, nach welchen Normen
das Leben der Jünger Jesu in der Zeit bis zum Hereinbruch
des Reiches Gottes zu gestalten ist.

Eine persönliche Bemerkung. Der Vf. rechnet meine
Schrift über den „Sinn der Bergpredigt" zu den gesinnungsethischen
Deutungen der Bergpredigt. Gerade diese
Deutung liegt mir fern. Ich denke, daß ich vor allem
den „eschatologischen" Charakter der Bergpredigt betont
habe.

Berlin Johannes Schneider

Michaelis, Prof. D. Wilhelm : Es ging ein Sämann aus, zu säen.
Eine Einführung in die Oleichnisse Jesu über das Reich Gottes und
die Kirche. Berlin: Furche-Verlag [1938]. (280 S.) 8°.

Kaschurbd. RM 4.80; geb. RM 5.80.

Nach der Verlagsanzeige will M. in dem in leicht
verständlicher Sprache geschriebenen Buch die Gleichnisse
vom Reich Gottes für die Gemeinde und die neu-
testamentliche Forschung so darstellen, daß die wissenschaftlichen
Ergebnisse ausschöpfend dargestellt werden.

I. Die sorgfältige Erwägung auch der für den Gesamtsinn
scheinbar unwichtigen Einzelheiten veranlaßt
den aufmerksamen Leser, sich die von Jesus vor den Hörern
ausgebreiteten Bilder und Geschehnisse in lebendigen
Farben vor Augen zu stellen. M. hat ihren Wortlaut
nach allen Seiten hin ausgeleuchtet.

Es taucht z. B. der Türhüter im Gleichnis vom heimkehrenden
Hausherrn und seinen Knechten als der einzige zum Wachen Verpflichtete
unter den Knechten auf; der seine Saat unbekümmert um
möglichen Mißerfolg ausstreuende Bauer im Gleichnis vom Sämann,
von der selbstwachsendcn Saat und vom Unkraut unter dem Weizen;
und der „Verlorene Sohn" als der sein Erbteil zum Aufbau einer
eigenen Existenz fordernde 2. Sohn des Hofes.

Des Vf. besonderes Anliegen ist, die durch diese farbige
Darbietung der Geschichten hervortretenden einzelnen
Personen und ihre Eigenart in allegorischer Deutung
so zu zeichnen, daß sich die Hörer bezw. Leser unter
ihnen bestimmte Kreise des isr. Volkes, die Jüngerschar,
den Sprecher Jesus oder Gott vorstellen sollen. Aus solcher
Allegorie ergibt sich für die Jünger oder auch eine
größere, allgemeine Hörerschaft eine bestimmte Mahnung
zu einem so und so beschriebenen Verhalten in der
oder jener Lage. Die Bilder prägen sich gut ein, und
die daraus sich ergebenden Mahnungen Jesu vermag man
leicht zu bejahen, aber über der im Verhältnis zu der Behandlung
der Grundgedanken eines jeden Gleichnisses
viel zu breiten Schilderung und Alegorisierung der Einzelheiten
vergißt der Bibelleser leicht, nach dem zu fragen
, was Jesus mit den Geschichten denn eigentlich
sagen wollte.

Es ist richtig und für eine lebendige Vergegenwärtigung
der Gleichnisse wesentlich, daß wir uns beim Hören
derselben in die Situation seiner damaligen Hörer (und
das waren in vielen Fällen insbesondere seine Jünger,
wenn auch im weiteren Sinn, als M. offenbar meistens
nur an die ausgewählten zwölf denkt) versetzen. Aber es
ist theologisch wohl nicht haltbar, in den Gleichnissen
von vornherein Mahnungen Jesu speziell an die jeweiligen
Hörer zu sehen.

Der ethische Ausgangspunkt der Auslegung führt oft

i an dem Evangelium im Gleichnis vorbei. Jesus
will an den Beispielen zeigen, wie sich die Menschen verhalten
, wenn sie unter Jesu Herrschaft und Liebe kommen
. „Das Himmelreich ist gleich ..." — Jesus verkündigt
von diesem Reich, während M. sagen möchte:

I „Das Himmelreich wird euer sein, wenn . . ." M. sucht
in jedem Gleichnis diesen einen Zielgedanken. Dadurch
wird aber der jedem Gleichnis innewohnende besondere
Skopus überdeckt oder doch wenigstens aus seiner
das Gleichnis beherrschenden Stellung gedrängt. Zum
Schluß jeder Auslegung bringt auch M. in den meisten

I Fällen, gewissermaßen als Summe seiner Überlegungen,

I den eigentlichen Inhalt des betr. Gleichnisses zum Ausdruck
, aber oft geradezu ohne innere Verbindung zu all

j dem, was er an besonders Hervorzuhebendem aus ihm
herausgelesen hat. Insofern seine Hinweise auf die bei
der üblichen Auslegung oft völlig übersehenen Einzel-
zügc den Leser zu eingehender Prüfung des genauen
Textes anregen, hat das Buch auch für den an der textkritischen
Untersuchung weniger Interessierten seine
fruchtbare Bedeutung, aber der Umfang der von ihm gebotenen
exegetischen Deutungsversuche steht so wenig in
einem Verhältnis zu dem, was für den schlichten Bibelleser
im Text besonders wichtig ist, daß dieser nur

i schwer das Wesentliche des Gleichnisses als Ergebnis
der Forschung im Auge behalten wird. Vielmehr hindern
die wissenschaftlichen Forschungsergebnisse das richtige
Verständnis der Gemeinde, da sie mehr auf den sinnfälligen
Wortlaut als auf die theologische Durchdringung
des Ganzen zielen. Das Buch beweist in dieser
Hinsicht, daß das allegorische Verfahren den theologischen
Hauptgedanken der Gleichnisse verschleiert.

II. Michaelis faßt das Reich Gottes als eine rein escha-
tologische Größe auf. Weil in den Gleichnissen gesagt wird,
daß es in „Gottes Reich" auch unfruchtbare Saat, Unkraut
, böse Winzer usw. gibt, daß das Reich in dieser
Welt seine Anfänge hat und seiner Vollendung entgegenreift
, können diese Aussagen für M. nicht auf das Reich
Gottes bezogen werden.

1) Im Gleichnis von der selbstwachsenden Saat z. B. bezeichnet
M. den Dienst der Kirche nur als Hinweis auf das Reich Gottes,
als Vorbereitung desselben, weil es nach einer Auffassung in Gottes
Reich keine Entwicklung gibt, sondern alles vollkommen ist.

2) Unkraut unter dem Weizen gibt es nach M. nicht einmal
innerhalb der Kirche, weil zwischen ihr als der sichtbaren Gemeinde
der „Söhne des Reichs" und den Bösen, die das Verderben ,.verdient
" haben, ein klar erkennbarer Unterschied besteht. Zwar wächst
beides in dem gleichen Acker, aber dieser Boden ist an sich neutral,
ist die Welt. Demnach hätte Jesus in dem Gleichnis eigentlich nicht
vom Reich Gottes, sondern von dessen Vorbereitung in der Welt gesprochen
. Aber die Söhne des Reichs sind doch ihrem Wesen nach
von Gott gezeugt, wie die Söhne des Bösen das Werk des Teufels
sind. Also ragt Gottes Reich in seinen Söhnen in unser irdisches, mit
den Bösen gemeinsam gelebtes Leben hinein. Michaelis spricht von
denen, „denen das Reich bereitet ist", als ob sie auf Grund ihrer
Einstellung gegen Gott dafür bestimmt seien. Seine transzendentale
Auffassung vom Reich Gottes steht also mit dem ethischen Verständnis
des Christen, der durch Jesu Gleichnisse Mahnungen verschiedener
Art empfange, im inneren Zusammenhang.

3) Das Senfkorn und der Sauerteig sind so unbedeutende Anfänge,
daß Michaelis in ihnen noch nicht das Reich Gottes sehen mag. Er
deutet sie auf das Wort vom Reich, auf die mit Gottes Reich noch
nicht in Verbindung zu bringende Kirche. Als Beweis dafür, daß das
Reich Gottes nicht gemeint sei, weist M. darauf hin, daß Jesus
auch sonst nirgends von solchen irdischen Anfängen desselben rede.
Aber hier hat er doch gerade von den realen, wenn auch ganz unscheinbaren
Anfängen gesprochen, die im Samen (der Kirche) vorhanden
sind.

4) Der treue bezw. ungetreue Knecht ist für den unbefangenen
Leser jeder Mensch, den der Herr mit der Verwaltung seiner Güter
betraut. Die Deutung auf von Christus zu einem besonderen Auftrag
ausgesuchte, vorbildliche Jünger mutet sehr willkürlich an und ist wohl
auch nur daraus zu erklären, daß M. die Aufforderung Jesu zur Wachsamkeit
über das von Gott uns anvertraute Gut nicht anerkennen kann,
weil er das Gut des Herrn in dieser Welt noch nicht findet und
es in Gottes Reich keine untreuen Knechte mehr geben kann.

5) Im Gleichnis von den bösen Winzern wird das Erbe in die
„Anwartschaft auf das Reich" umgedeutet, deren Früchte wohl gar