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Ausgabe:

1941

Spalte:

247-249

Kategorie:

Religionswissenschaft

Autor/Hrsg.:

Pretzl, Otto

Titel/Untertitel:

Die frühislamische Attributenlehre 1941

Rezensent:

Paret, Rudi

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Theologische Literaturzeitung 1941 Nr. 9/10

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können, was diese Wörter ursprünglich bedeuten. Daher denn der oft
synonyme Gebrauch vieler Wörter. Verf. ist sich dieser Gefahr bewußt
gewesen, wie die Vorbemerkung zum zweiten Hauptteil zeigt. Der
Versuch des Verf., die altisländischen Wörter durch möglichst entsprechende
deutsche wiederzugeben, ist an sich zu begrüßen, doch sehe ich
nicht, wie für das Verständnis des deutschen Lesers etwas gewonnen
ist, wenn man ,audna' mit dem gänzlich unverständlichen und erdachten
„Odung" wiedergibt. — ,bönd' übersetzt man wohl besser mit
„Bande" als mit „die Bindenden". Die Götter sind eher die Bande,
die alles zusammenhalten, als die Bindenden. Ebenso ,höpt' = Hafte.
— Bei den Schrifttumsangaben vermißt man R. Gehl, „Ruhm und
Ehre bei den Nordgermanen", Berlin 1937. — Leider sind auch einige
entstellende Druckfehler unterlaufen. S. 13 muß es heißen „Unge-
bungsmänner" statt „Umgebungsmänner", ebenso S. 14, 28 u. 29. —
„forlög" isrt Plural, also muß es heißen „ihre forlög", die „forlög"
usw. — S. 126, Z. 27 f. fehlt in der Übersetzung „aldri = niemals",
also „daß du niemals Steingerd besitzen sollst".

Köln H. M. Heinrichs

Pretzl, Otto: Die frühislamische Attributenlehre. Ihre weltanschaulichen
Grundlagen und Wirkungen. München: Verlag der
Bayerischen Akademie der Wissenschaften 1940. (63 S.) = Sitzungsberichte
der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Philosophisch
-historische Abteilung, Jahrgang 1940, Heft 4.

In den Jahren 1925—1930 sind ein paar wichtige
Quellenwerke zur frühislamischen Theologie zum ersten
Mal herausgegeben worden: Al-Haiyät [gest. gegen 920],
Kitäb al-Intisär, hrsg. von H. S. Nyberg, Kairo 1925;
Al-Qäsim ibn Ibrahim [gest. 860], Kitäb ar-Rad 'alä
Ibn al-Muquaffa', hrsg. u. übers, von Michelangelo Guidi
unter dem Titel „La Lotta tra l'Islam e il Manicheismo",
Rom 1927; As'arl [gest. 935], Maqälät al - islätmyln,
hrsg. von \. Ritter, 2 Bde., Istanbul 1929/30. Die Forschung
über die Anfänge der islamischen Theologie hat
durch diese Texteditionen einen starken Antrieb bekommen
. Während man früher in der Hauptsache auf das
Material angewiesen war, das die sog. Sektenbücher des
Bagdädl [gest. 1037], des Ibn Hazm (1064) und besonders
des Sahrastäni (1153) bieten, kann man jetzt aus
Werken schöpfen, die wesentlich älter sind. Als besonders
ergiebig erweisen sich dabei die Maqälät al-islämiytn
des As'arl, da sie nicht nur ausführlich, sondern auch
weitgehend objektiv über die einzelnen Punkte referieren,
die seinerzeit im Mittelpunkt der Diskussion gestanden
haben.

An Hand des neuen Materials untersucht O. Pretzl
in der vorliegenden Abhandlung die Frage nach der Entstehung
der frühislamischen Attributenlehre, d. h. der
Lehre von den Eigenschaften Gottes. In einem ersten
Abschnitt (S. 9—36) stellt er die einschlägigen Ansichten
der alten Autoritäten — eben auf Grund von As'aris
Maqälät — zusammen. Ein zweiter Abschnitt (S. 37—54)
bringt eine terminologische Untersuchung über das Denkmittel
„Akzidens" in der frühislamischen Theologie. In
einem dritten Abschnitt (S. 55—62), der eigentlich besser
als Anhang zu bezeichnen wäre, äußert sich der Verfasser
über den Ursprung der Lehre von Wesenheit und
Sein in der islamischen Theologie.

Pretzl kommt, kurz gesagt, zu folgenden Schlüssen:

1) Die frühislamische Attributenlehre ist nicht mit
der griechischen Philosophie in Zusammenhang zu bringen
oder gar aus ihr abzuleiten, wie man das bisher auf
Grund der späten Quellenwerke annehmen zu müssen
glaubte. „Keinesfalls hat die griechische Philosophie zur
Ausgestaltung des islamischen Gottesbegriffs beigetragen
. Es scheint mir ein Einfluß derselben auf den
Kaläm (die spekulative Theologie) in der Zeit vor
As'arl überhaupt nicht vorzuliegen" (S. 35).

2) Die frühislamische Diskussion über die göttlichen
Attribute ist aber auch nicht als autochthon zu erklären,
d. h. sie kann nicht einfach aus dem islamischen Milieu
und aus den Grundgegebenheiten der islamischen Religion
und Weltanschauung abgeleitet werden. „Wenn der
Streit um sie (die Akzidenzien) entstand, so hatte das
einen tieferen Grund darin, daß den Eigenschaften Gottes

j aus der iranischen Religion her1 noch soviel
! Substanzialität anhaftete, daß sie mit dem strengen islamischen
Monotheismus nicht vereinbar waren" (S. 35).

Zu Punkt 1 möchte ich ohne weiteres grundsätzlich zustimmen.
Die Überwucherung der islamischen Theologie durch aristotelische und
neuplatonische Denkformen setzte in stärkerem Ausmaß erst mit dem
| 10. und 11. Jahrhundert ein. Dagegen scheint mir Pretzl in Punkt 2
über das Ziel hinausgeschossen zu haben.

Gewiß, die neu herausgegebenen Texte haben uns zum ersten Mal
etwas näher mit gewissen Voraussetzungen dier frühislamischen Theo-
| logie, die vom iranischen Dualismus herkommen, bekannt gemacht.
Man bemüht sich nun mit Recht darum, im einzelnen festzustellen,
wieweit iranisch-dualistische Strömungen auf die im Entstehen begriffene
islamische Theologie eingewirkt haben, wieweit die geistige
Auseinandersetzung mit solchen Strömungen auf das neue System
selber abgefärbt hat. Aber man darf dabei doch nicht vergessen, daß
auch von anderer Seite her Einflüsse wirksam gewesen sein können.
Und vor allem soll man die geistesgeschichtliche Bedeutung und Wirksamkeit
all dieser Einflüsse nicht überschätzen. Es handelt sich dabei
doch nur um Anreize, die, von außen kommend, gewisse Reaktionen
j ausgelöst haben. Das Endergebnis, das gedankliche System der
| frühen Mu'taziliten, der Begründer der islamischen Theologie, ist damit
noch keineswegs erklärt. Es stellt eine eigene Leistung dar und
muß dem Konto der innerislamischen Entwicklung gutgeschrieben
werden.

Pretzl ist, so scheint mir, diesem Sachverhalt nicht gerecht gewor-
i den. Die frühislamischen Autoritäten schneiden bei ihm sehr schlecht
ab. Er spricht von dem „geistigen Tiefstand der sich befehdenden
Parteien" (S. 12, Anm.), von einer „gekünstelten Auslegung, die nur
als Wortverdrehung bezeichnet werden kann" (14), von einer „grotesken
Unbeholfenheit im Denken" (25). Im Abschnitt „Allgemeine
Charakteristik der islamischen Artributenlehre" faßt er sein Urteil
folgendermaßen zusammen: „Eine zusammenfassende Kritik an den
theologischen Erörterungen über die Eigenschaften Gottes im frühen
Kaläm kommt zu dem Ergebnis, daß die islamische Attributenlehre
nicht etwa eine wissenschaftliche Diskussion, sondern ein mit Schlauheit
und Pfiffigkeit geführter Streit um Worte ist. Das Niveau dieser
Disputationen läßt in keiner Weise auf eine besondere Schulung in
Logik oder Dialektik schließen und gehört in die Gattung der im
Orient so berühmt gewordenen Rechtskniffe und Scharfsinnsproben.
Für die islamische Oottesauffassung selbst waren die Erörterungen
über die Eigenschaften Gottes absolut unfruchtbar. Der Gotteshegriff
I wurde dadurch nicht geklärt und nicht gehoben. Er war in keiner
Epoche der islamischen Religionsgeschichte so vergeistigt, daß er eine
Körperlichkeit ausgeschlossen, geschweige denn die Belüftung mit
Akzidenzien nicht vertragen hätte" (35). Ich halte dieses Urteil
! Pretzls nicht nur für überspitzt und hart, sondern geradezu für ungerecht
. Meinem Gefühl nach sind die Formulierungen der frühislamischen
Theologen durchaus positiv zu bewerten, als ernsthafte
Versuche, mit einem wichtigen und wahrlich nicht einfachen Problem
fertig zu werden. Wenn sie zu keinen glatten Lösungen geführt haben,
so liegt das weniger an der „Unbeholfenheit im Denken" als vielmehr
an der Wahrhaftigkeit der betreffenden Theologen, die sich nicht mit
Scheinlösungen zufrieden gaben, und letzten Endes an der Schwierigkeit
(um nicht zu sagen: Unmöglichkeit), den Gottesbegriff mit rein
gedanklichen Mitteln zu erfassen. Der islamische Gottesbegriff war
I allerdings „in keiner Epoche der islamischen Religionsgeschichte so
I vergeistigt, daß er eine Körperlichkeit ausgeschlossen, geschweige denn
I die Behaftung mit Akzidenzien nicht vertragen hätte". Aber das ist
doch kein Grund, den mu'tazilitischen Theologen die Ernsthaftigkeit
ihrer Gedanken über die göttlichen Attribute abzusprechen. Im übrigen
wurde der Gottesbegriff dadurch schließlich doch „geklärt und gehoben
". Denn auch in diesem Punkt haben die Mu'taziliten auf die
spätere islamische Schultheologie nachgewirkt, und nicht zu deren
Schaden.

Da Pretzl die Leistung der mu'tazilitischen Denker grundsätzlich
I negativ einschätzt, muß er notwendigerweise den Einflüssen, die von
der außerislamischen Welt her auf sie einwirkten, eine erhöhte (von
meinem Standpunkt aus möchte ich sagen: eine überhöhte) Bedeutung
beimessen. Und hierbei scheint er mir die Nachwirkungen der iranischen
Tradition zu stark hervorzukehren. „Es sind vor allem Dua-
j listen — des näheren werden Manichäer und Anhänger des Barde-
I sanes genannt —, deren Weltanschauungen die frühislamische Theo-
I logie beeinflußt haben. Wir haben schon S. 16 (dort ist von den
Lehren des Hisäm ibn al-Hakam und des Nazzäm die Rede) die Be-
| rührungspunkte in der Seelenlehre kennen gelernt. Aus Maqälät
| 347—50 geht hervor, daß auch die Anschauungen über die Akzidenzien
ihren Ursprung dort haben" (47 f.). Die Auswertung der letztgenannten
Stelle ist in dieser Formulierung nicht stichhaltig. In Maqualat
I 349 f. werden allerdings manichäische und daisänitische Lehren zitiert,
aber die verschiedenen Lehren, die auf den zwei vorausgehenden Sei-
: ten aneinandergereiht sind, lassen sich nicht so summarisch darauf
1) Von mir gesperrt. ;