Recherche – Detailansicht

Ausgabe:

1941

Spalte:

245-247

Kategorie:

Religionswissenschaft

Autor/Hrsg.:

Wirth, Werner

Titel/Untertitel:

Der Schicksalsglaube in den Isländersagas 1941

Rezensent:

Heinrichs, Heinrich Matthias

Ansicht Scan:

Seite 1, Seite 2

Download Scan:

PDF

245

Theologische Literaturzeitung 1941 Nr. 9/10

246

ständigkeit und Sauberkeit", sodaß man sich vor dem
Tode nicht zu schämen braucht, heraus; er sieht jetzt
schon von Persönlichkeiten, deren Gewissen sich von all
diesen Werten bestimmen läßt, echte sittliche und soziale
Gemeinschaftsbildung ausgehen, und baut darauf die
Hoffnung auf, daß sich eine so bestimmte in Deutschland
durchkämpfende „Elite" allmählich in der Richtung auf
die Entwicklung eines neuen Menschentums segensvoll
durchsetzen werde.

In mancher Hinsicht gehen diese Anschauungen offensichtlich
bei der christlichen Grundauffassung zu Lehen:
wohl ohne daß er es weiß, übernimmt H. hier wesentliche
reformatorische Erkenntnisse, die ins Zeitbewußtsein
eingedrungen sind, wie z. B. die Wertung der irdischen
Ordnungen als der Stelle, an der man sich im Gehorsam
vor Gott zu bewähren hat. Andererseits wird
man aber doch die Frage aufwerfen dürfen: Hangen
nicht seine Wertungen in der Luft? Fehlt ihnen nicht, da
ihre Begründung in der inneren Bindung an den absoluten
Gotteswillen abgelehnt wird, d i e Verbindlichkeit, die
ihnen erst im Fall der Anfechtung durch viel massivere
Motive Konsistenz geben würde? Besteht nicht die Gefahr
, daß dieser „Idealismus" ohne die christliche Gottesbeziehung
als Quelle der Verwirklichung pathetische
Parole bleibt?

Man muß angesichts der heutigen Lage es in mancher
Hinsicht wünschen, daß wirklich des Verf. Sicht von
seinem „Beginn" recht hat. (Er kann selbst die Sorge, es
könne die heutige Generation ihrer Sendung nicht gewachsen
sein, nicht unterdrücken!) Ich möchte nämlich
glauben, daß eine Welt, die auch nur mit diesem Idealismus
ernstmacht, zu einer fruchtbaren Begegnung mit der
echten christlichen Wahrheit kommen könnte, sodaß dann
von einem wirklichen „Beginn" geredet werden könnte.
Ich fürchte andererseits, daß ein Idealismus, der sich der
Berührung mit den ewigen Lebenskräften entzieht, dazu
verurteilt sein würde, mag er auch jetzt noch so sehr
„Flamme" sein, sich bald als „Strohfeuer" herauszustellen
und zur „Asche" zusammenzusinken. Das echte „stille
Leuchten" ist eben doch wohl immer nur möglich als
Widerschein des ewigen Lichts.

RELIGION S WISSENSCHAFT

Wirth, Weiner: Der Schicksalsglaube in den Isländersagas. Eine
religionsgeschichtlich-philologische Untersuchung über Wesen und
Bedeutung der altgermanischen Vorstellungen von Schicksal und
Glück. Stuttgart: W. Kohlhammer [1940]. (VIII, 160 S.) gr. 8°
= Veröffentl. d. oriental. Sem. d. Univ. Tübingen. Herausg. v.
E. Littmann u. J. W. Hauer. 11. Heft (Veröffentl. d. Arischen
Sem. H. 1). RM 7.50.

Das mit tiefem Einfühlungsvermögen geschriebene
Buch setzt sich zur Aufgabe, die Schicksalsvorstellungen
der Isl. S. und besonders die Verhaltungsweisen ihrer
Menschen dem Schicksal gegenüber, „d. h. seine Frömmigkeit
(Religiosität)" nach den Quellen zu untersuchen.
Gerade für die heutige Zeit ist diese Untersuchung von
großem Wert, da, wie Verf. mit Recht betont, die Isl. S.
„uns ein Stück echtes, unverfälschtes germanisches Altertum
überliefert" haben. Verf. ist sich dabei bewußt, daß
die Sagas „uns kein vollständiges Bild von der altnordischen
Schicksalsauffassung" vermitteln, da wir aus ihnen
nur wenig über die Vorstellungen vom Weltenschicksal
erfahren.

Nachdem Verf. in der Einleitung die Entstehung des Schicksalsglaubens
, Vorstellungen vom Schicksal u. ä. vom philosophisch-psychologischen
Standpunkt aus zu erklären versucht hat, untersucht er in
dem folgenden Hauptteil die Schicksalsauffassung der einzelnen Sagas,
die er nach dem Schauplatz des Geschehens geographisch ordnet.

Der Schwerpunkt der Arbeit liegt im zweiten Teil, der die systematische
Auswertung der Quellen unter den zwei Abteilungen „D i e
Schicksalsmächte" und „Der Mensch und das Schicksal
" bringt. Von den „Schicksalsmächten im engeren
Sinne" spielt der Begriff der „W e r d u n g", den Verf. geschickt

aus den Quellen herauslöst, eine große Rolle. In den Sagas tritt er
besonders hervor im bedeutungsträchtigen Gebrauch des Zeitworts
„verda". Die Werdemacht offenbart sich nur in den Wirkungen, ein
wirkendes Subjekt wird nicht sichtbar, nur in der altgermanischen
Poesie finden wir als Personifikation der Werdung die „Wurt", die
im Altnordischen auch eine Norne ist.

Können wir bei der Werdung kein dahinter stehendes wirkendes
Wesen erkennen, so muß bei den ,sköp', den „Schaffungen"
j ursprünglich ein Schaffer, Schöpfer vorausgesetzt werden. Trotzdem
bieten die Quellen wenig, was eine Trennung zwischen schaffender
I Macht und geschaffenem Objekt zuläßt. Die „Schaffungen" beziehen
' sich nur auf Menschliches, während die Werdung den Geschehnisab-
' lauf im allgemeinen bestimmt. Bcmerkenswerterweise bedeutet der
Singular ,skap' meist Charakter. An manchen Stellen (so z. B. Korm.
I CXIX 41, 3 f. Str. 59) scheinen die ,sköp' ganz in die Nähe göttlicher
Wesen gerückt zu sein; sie bedeuten manchmal „Göttermaeht"
| manchmal „Schöpfung von Göttern", dies aber nur bei Dichtern. Auch
die ,sköp' sind notwendig und schließen Geburt und Tod in sich.

Hinter der „L e g u n g" steht eine ursprünglich wohl Lose legende
Macht, die den Dichtern zuweilen in den Nomen personenhaft
erscheint.

Schwer zu ergründen ist der Bedeutungsinhalt der „O dun g"
(,audna'). Die dahinterstehende Macht wird nicht genannt. Die
„Odting" waltet, wie die Götter walten (,rada'). Verf. meint wohl
mit Recht, daß ,audna' abgenützt und nicht mehr verstanden wurde.
Er schließt daraus auf hohe Altertümlichkeit und verknüpft es versuchsweise
etymologisch mit der „Werdung".

Die .Feigheit' im germanischen Sinn ist ein Sonderfall des
Schicksals, nämlich die ,,T o d e s b e s t i m m th e i t", die der Mensch
fühlt und in der er sich bewähren muß.

Zu den Schicksalsmächten im weiten Sinne gehört das „Glück"
I — ein blasses Wort, für welches der Isländer verschiedene unter-
I schiedliche Wörter hat. Die „G e b u n g" (gaefa, gipta) wird von
einer Macht gegeben und ist vom Schicksal bestimmt. Weshalb dieser
wenig, der andere viel „Qebung" hat, kann nicht entschieden werden
. Manche wertvolle Menschen (wie Gisli, Hörd und Grettir) müssen
zugrundegehen, weil sie keine „Gebung" haben. „Gebung", Glück
ist aber auch Charaktereigenschaft. Immer aber ist der Mensch irgendwie
auch für seine ,ga;fa' verantwortlich. Natürlich ist ,gsfa' vererblich
. Als besonders wirksam gilt die ,gaefa' des Königs. Eng zu
| ,gaefa' gehört ,heill', unser Heil. Allerdings bezieht ,heill' sich mei-
I stens auf Einzeleigenschaften. Oft wird statt „Oebung" auch .harning-
| ja' verwandt, besonders aber ist .hamingja' die „Gebung", die in
hohen Familien erblich ist oder auf magische Weise übertragen wird.
| Die Etymologie dieses Wortes ist strittig. Oft tritt .hamingja' auch
■ als Person auf und ist dann gelegentlich die Gebungsmacht selber.

Stellt man sich .hamingja' als Person vor, so wird meistens das
Wort .fylgja', auch .settar-, kynfylgja' (= Geschlechtsfolgegeist) gebraucht
. Der Folgegeist gehört zum Menschen. Das Wort Seele"
sollte man in diesem Zusammenhang nicht gebrauchen, da es zu sehr
christlich belastet ist und der Germane eine Seele im christlichen Sinne
nicht gekannt hat. Anlage, Mängel und Fähigkeiten der „Fylgje"
bestimmen das Glück des Menschen.

Auch die Götter scheinen Schicksalsmächte gewesen zu sein,
wie schon die Bezeichnungen ,regin, höpt, bond u. mjotudr(?)'
[Fragezeichen vom Ref.) andeuten. Wo man aber ihnen opfert, sind
sie es nicht mehr; denn das Schicksal ist unbeeinflußbar. Es besteht
also ein Gegensatz zwischen Götter- und Schicksalsglauben, ein Ge-
! gensatz freilich, der sich sehr wohl in der Brust eines Menschen
I finden kann.

Schließlich ist die Notwendigkeit als ethische Macht eine
| Schicksalsmacht. Die Befolgung der Gebote der Ehre, Rache und
| Treue ist notwendig, steht nicht im freien Willen des Menschen.

Versagt er sich ihnen, so verliert er seine Ehre, d. h. sein Ganzes,
i sein Ich und seine Sippe. Aus diesen Geboten erwacht die germanische
j Tragik, wenn zwei gleichstarke Forderungen an den Menschen heran-
i treten wie z. B. bei Rüdiger (Nib. Str. 2154 f.).

Wichtig für die Erkenntnis des germanischen Menschen ist nun
sein Verhalten dem Schicksal gegenüber. Charakteristisch für den
I (nord-)germanischen Menschen ist die Anerkennung des Schicksals.
| Er nimmt das Schicksal auf sich als sein Schicksal. Er geht sozusagen
i eine mystische Einheit mit ihm ein. „Ich will mein Schicksal."
So bewahrt sich der germanische Mensch trotz aller Bindune seine
Freiheit des Willens.

Zum Schluß betrachtet Verf. noch die so unterschiedliche Beurteilung
, die der germanische Schicksalsglaube gefunden hat und sucht
j die Gründe hierfür aufzuzeigen.

Diese notwendigerweise etwas ausführliche Inhaltsangabe zeigt
| deutlich, welchen Nutzen man von diesem Buch haben kann. Zum
Schluß seien noch einige kritische Bemerkungen erlaubt:

Verf. geht m. E. etwas zu sehr von der Etymologie der Wörter
j aus und sucht von dorther den Sinn zu ergründen. Hierbei ist zu be-
i denken, daß die Schreiber des 13. Jhdts. unmöglich gewußt haben