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Ausgabe:

1941

Spalte:

214-215

Kategorie:

Systematische Theologie: Allgemeines

Autor/Hrsg.:

Perpeet, Wilhelm

Titel/Untertitel:

Kierkegaard und die Frage nach einer Aesthetik der Gegenwart 1941

Rezensent:

Rolffs, Ernst

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Theologische Literaturzeitung 1941 Nr. 7/8

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übergreifenden Problemkomplex nach dem Verhältnis
von religiöser Glaubensüberzeugung und rationaler Er-
kenntnis.

Die Behandlung der E i n ze 1 f r a g e n verdient
in methodischer Hinsicht insofern volle Anerkennung,
als sie mit großer Vorsicht in steter Zurückhaltung erfolgt
. Jede vorschnelle Schlußfolgerung und jede übereilte
Verallgemeinerung wird vermieden. Jede Teilfrage
wird auf sich selbst gestellt und auf ihren eigenen Umkreis
beschränkt. Immer wird auf spätere Ergänzungen
und etwaige Korrekturen verwiesen. Dies Verfahren hat
nun aber doch auch seine Kehrseite. Die Darlegung wird
äußerst kompliziert und unübersichtlich; sie führt den
Leser In die Gefahr, vor lauter Bäumen den Wald nicht
zu sehen. Aber das ist noch nicht das Schlimmste. Ungleich
schlimmer ist, daß M. seinerseits dadurch verführt
wird, gerade an entscheidenden Punkten die Unbefangenheit
und Unparteilichkeit aufzugeben und sich
so in schwerste Widersprüche zu verwickeln. Er stellt
sich in solchen Fällen im Voraus auf den spiritistischen
Standpunkt und argumentiert von diesem aus. Damit
vollzieht er eine glatte petitio principii, die der betreffenden
Argumentation jeden Wert nimmt. Ich verweise
z. B. auf S. 33, 68, 79, 104, 118, 212, 213, 214, 220,
229, 236, 241, 298, 305, 337, 351, 353, 354, 369.

Dies Bedenken verstärkt sich noch beträchtlich, wenn man auf den
konkreten Inhalt der betreffenden Ausführungen achtet. Es
handelt sich nämlich meist um Berichte, die in spiritistischen Sitzungen
durch ein „Medium" vermittelt wurden. Die ganze Aufmachung —
neben dem Sitzungszimmer ein durch einen Vorhang verhängtes Son-
derzirnmer („Kabinett"), Offnen und Schließen des Vorhanges, schwache
Beleuchtung — ist bedenklich. Daß jede Materialisation Verstorbener
zum Zweck ihrer Selbstbekundung eines Mediums bedarf,
gilt seltsamer Weise als selbstverständliche Voraussetzung. Doch
wird zugleich zugegeben, daß mindestens viele Medien gelegentlich
des Betruges überführt worden sind. Die Frage geht also dahin, ob
aus dem vorliegenden Wust von Irrtum und Schwindel ein echter Kerngehalt
mit hinreichender Sicherheit zu gewinnen ist. M., der diese
Frage bejaht, sucht seine Gegner mit folgender Überlegung zu entwaffnen
. Man müßte sonst dem Ooldwäscher zumuten, die Existenz
von echten Körnern des Edelmetalls zu leugnen, weil die Lauge, die er
siebt, größtenteils Schmutz enthält. Indeß diese Argumentation ist
nicht stichhaltig. Denn für den Ooldwäscher ergießt sich die Unterscheidung
ohne weiteres in empirisch-eindeutiger Weise; in der strittigen
Frage ist das gerade nicht der Fall.

Ein weiteres Bedenken erregt der Umstand, daß neben den Materialisationen
verstorbener Menschen auch solche verstorbener Tiere
berichtet werden, und zwar gleichzeitig und gleichartig mit menschlichen
Materialisationen. Hunde und Katzen werden am häufigsten
genannt, aber auch Eichhörnchen, große Vögel, gelegentlich ein
Löwe — und als Glanzstück dieser okkulten Menagerie sogar ein urzeitlicher
Affenmensch: er wird ausdrücklich als Pithecantropos bezeichnet
in Erinnerung an den vielumstrittenen Fund des Dr. Dubois auf
Java (S. 276 ff.), der als das bisher fehlende Zwischenglied in der
darw inistischen Ahnenreihe des homo sapiens angesehen wurde.

Ungefähr auf gleicher Ebene liegen die Berichte über die Kleidung
der erscheinenden Verstorbenen, die sie „drüben" ganz nach Analogie
der irdisch-menschlichen erhalten, nur ohne daß einzeln Maß
genommen wird, sowie über die dortige Umwelt. Wiesen und Wälder,
Dörfer und Städte werden von ihnen genannt, Häuser in allen Einzelheiten
beschrieben, z. B. mit Bädern und Musikzimmern (S. 338 ff.).

Das jtocöTov i|iefifioq dieser ganzen Problematik ist die
Alternative zwischen spiritistischer Deutung der
betreffenden Phänomene und animistischer als derjenigen
, die sie auf körpergebundene Seeknkräfte zurückführt
. Diese Alternative ist irrig. Sie beruht auf
der willkürlichen Ausschaltung der religionspsychologischen
Betrachtung, die naturgemäß gerade
für den ganzen von M. behandelten Fragenkreis (für
die Frage nach dem Überleben des Todes) Berücksichtigung
beanspruchen darf. Dem religionspsychologischen
Denken erweist sich jene Alternative M.s als unzureichend
und irreführend. Es überwindet sie, indem es
in den betreffenden Phänomenen wohl Hinweise auf
den religiösen Ewigkeitsglauben sieht, diesen aber nicht
der empirisch-rationalen Beweisführung unterstellt, sondern
streng und bedingungslos seinen Charakter als
Glaubens Überzeugung im Sinne des neutesta-
mentlichen morafov festhält.

Übrigens belegt M. selbst wenigstens indirekt das
Recht dieser Stellungnahme. Denn er sieht sich gelegentlich
, und zwar gerade da, wo seine Darlegung am meisten
in die Tiefe führt, zu dem Zugeständnis gezwungen
, die beiden Theorien seiner Alternative schlössen
sich gegenseitig garnicht aus (S. 203 ff., S. 211). Dann
| ist also die Alternative abzulehnen.

Soviel zur Methodik der Einzelfragen.
Viel wichtiger wäre aber für das 'Thema M.s die
Methoden-Problematik bezüglich des Verhältnisses
von religiöser G 1 a u b e n s ü be r z e u g u n g und
rationaler Erkenntnis. In dieser Hinsicht ist
; erst recht der religionspsychologische Ansatz der Natur
der Sache zufolge unentbehrlich. Bei M. fehlt solche Berücksichtigung
vollständig. Das ist der schwerste Mangel
seines großen, durch die Darbietung des vielfach
schwer zugänglichen literarischen Materials trotz allem
verdienstvollen Werkes.

Wenn ich zur positiven Ergänzung dieses negativen
Befundes noch kurz erwähnen soll, wie sich nun für die
religionspsychologische Betrachtung die letztgenannte
Methodik und mit ihr die inhaltliche Entscheidung gestaltet
, so darf ich in konkreter Zuspitzung aut die
Kernfrage der neutestamentlichen Überlieferung, d. h.
die Frage der Auferstehung, mit dem Hinweis aut das
siebente Kapitel meines Buches „Wesen und Wahrheit
des Christentum" (J. C. Hinrichs) schließen: Der Christusglaube
der christlichen Religion.

Berlin Georg Wobbermin

Perpeet, Willi: Kierkegaard und die Frage nach einer
Ästhetik der Gegenwart. Halle (Saale): Max Niemeyer 1940.
(284 S.) gr. 8° = Philosophie und Geisteswissenschaften. Buchreihe
Bd. 8. RM 9—; geb. RM 11—.

Kierkegaard ist noch 100 Jahre nach seinem Tode
ein psychologisches und philosophisches Problem. Ein
phantasiebegabter Schriftsteller von hervorragender Gestaltungskraft
auch für feinste psychologische Probleme
— ich denke an das „Tagebuch des Verführers" —
gibt er als Philosoph seinen Auslegern noch immer fast
unlösbare Rätsel auf. Er ist der Begründer der Existenzphilosophie
und setzt sich durch sie in Gegensatz
zu Hegel, den er grimmig bekämpft. Nach Perpeet ist
indes dieser Gegensatz gar nicht so ausschließend, wie
es hiernach erscheinen könnte; vielmehr bestände K.s
philosophische Leistung gerade darin, „Hegel in seinen
sachlichen Ergebnissen übernommen, diese aber vom Lo-
gisch-Ontologischen ins Existenzial-Ontologische übersetzt
zu haben" (S.1021.). Er findet (S. 123), daß erst
Heidegger vermocht hätte, die elementare Problem Stellung
terminologisch adäquat aufzufangen, weshalb er
9ich in seiner Interpretation an ihn angeschlossen hätte.
Das bedeutet aber für jeden, der in Heideggers schwieriger
Terminologie — was hat man beispielsweise unter
„gewesender Zukunft" (S. 241) zu verstehen? — nicht
bewandert ist, eine Beleuchtung der Dunkelheit durch
die Finsternis. Man muß ihm deshalb dankbar sein,
daß er K. selbst ausgiebig zu Worte kommen läßt.

Es handelt sich für ihn zunächst darum festzustel-
j len, was K. unter „Ästhetischem" versteht. „Es meint
mehr als das auf Kunst und künstlerisches Verhalten
Bezügliche" (S. 20). Der Gegensatz dazu ist das „Christliche
". „Im Ästhetischen verhält sich der Mensch zum
uneigentlichen Sein, entgleitet er ins Nichts, ist krank
zum Tode. Im Christlichen ist er zum Sein: ,die Wirk-
i Mehkeit ist das Ewige, das Christliche'." (S. 17). Eine
Vorstufe des Christlichen bildet das Ethische. Da das
I Ästhetische „ein Christliches in negativer Konstruktion"
ist, so kommt es darauf am, das Christliche zu bestimmen
. Dieses ist personales Sein, das „aber nur akthaft
! realisierbar ist und keine gegenständliche Stabilität hat"
(S. 52). Realisiert wird es durch die Freiheit, in der der
j Geist seine Wirklichkeit hat, die erstmalig erfahren wird
| als Möglichkeit in der Angst. Freiheit ist Kontakt in der
' ichlichen Polspannung: Notwendigkeit-Möglichkeit; im
I Augenblick des Kontaktes ist Selbst d. i. Person. Es hat