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Ausgabe:

1941

Spalte:

212-214

Kategorie:

Systematische Theologie: Allgemeines

Autor/Hrsg.:

Mattiesen, Emil

Titel/Untertitel:

Das persönliche Überleben des Todes 1941

Rezensent:

Wobbermin, Georg

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211

Theologische Literaturzeitung 1941 Nr. 7/8

'212

Gott nicht Postulat, sondern Postulans. Das klingt
nicht übel, bedeutet aber in diesem Zusammenhange
nichts anderes als: Man müßte jeden Vernunftmaßstab,
jede Möglichkeit der Scheidung von Echtem und Unechtem
aufgeben. Eine derartige Kritik richtet sich aber
nicht nur gegen den Studiosus J. G. Fichte, sondern
allgemein gegen den ganzen deutschen Idealismus, er
trifft überhaupt jede Art von Religionsphilosophie, die
es ablehnt, sich unverstandene Dinge als göttlkhe Offenbarung
aufreden zu lassen. Verführerisch klingt die
These des Verfassers: „Religiöse Phänome lassen sieh
nicht im Bereich innerweltlicher Phänomene erschöpfend
bestimmen", 40. Sie sind „nicht aus der Immanenz
bestimmbar". Sieht man aber näher zu, so blickt eine
sehr rohe Vorstellung von Gott hindurch, als befinde
er sich weltartig über der Welt. „S e i n" aber ist eine
andere Grundkategorie als „Gelten." Religiöse Phänome
, dem Sein nach innerweltliich, weisen dem Sinn
nach über alle relativen, weltlichen Maßstäbe hinaus.
Daher ist es auch eine unerlaubte Ausdrueksweise, wenn
der Verfasser vom Infragestellen eines Menschen
redet; infrage stellen kann man nur Geltendes, Behauptungen
oder Wahrheiten.

Von entscheidender Wichtigkeit für die Offenbarung
ist ihre Geschichtlichkeit. Der Verfasser möchte
dem Dilemma des Lessingsehen Kanons von den „zufälligen
" Geschichtswahrheiten entgehen und versucht das
durch ein geistreiches Spielen mit dem Worte „Zufall
".

Der Zufall ist „unverfügbar", er „muß zufallen", (??) „fordert
geschichtliche Offenheit". 98. Fichte fehlt der Offenbarung: gegenüber
eine „aufgeschlossene Problematik". Damit werden in gekünstelter
Weise die Begriffe Schuld, Vergebung und Ehre verbunden. „Der
.Zufall' verpflichtet um so mehr, als er unverfügbar ist. Nur Gott
— und nicht wir selbst — kann uns die Ehre geben, auf die wir
durch die Schuld angewiesen wurden." 99 f. Zwar behauptet der
Olaube, daß Oott sich in ganz einzigartiger Weise in Christus offenbart
habe. Das bedeutet aber nicht Geschichtlichkeit im Sinne
von „Es war einmal". „Denn wäre dem so, dann könnte man heute
nur in dem Sinn davon sprechen, als hätte Christus eine Idee der
Vergebung, ein sog. Ideal allgemeiner Versöhnlichkeit, eine weichliche
Vorstellung vom nachsichtigen Vatergott gebracht oder als
wäre durch dieses Faktum eine Generalamnestie mit dauernder Wir-
kunft für alle Zukunft erlassen worden. Hätte jener einmalige Zufall
nur diese Bedeutung für die späteren Generationen, dann wäre
das Christentum eine läppische oder eine sittlich verderbliche Veranstaltung
. Das ginge wider die Ehre, vor allem wider diejenige Ehre,
die Gott in Christus dem Menschen gibt. Die Ideen, die Christus
zweifellos als Mensch auch gehabt hat, seien sie auch noch so erhaben
gewesen, sind für den Glauben völlig belanglos und können
höchstens den Historiker interessieren (!). Es ist deshalb nicht wunderlich
, daß die Evangelien kaum Beiträge über die Anschauung Jesu
liefern". 100. Eine wunderliche Stelle, bei der Richtiges und Verkehrtes
durch einander geht. Richtig ist: Ich kann die Bibel —
wie überhaupt jedes Buch und jedes Erleben — in zweifach verschiedener
Weise verstehen, einmal objektiv, historisch-philologisch, und
dann in unmittelbarer Beziehung auf mich selbst in meiner bestimmten
Lage, sodaß es mich anspricht und für mich gegebenenfalls
ein „Wort Gottes" wird. Wenn aber die Begegnung mit der Bibel
und mit der Erscheinung Christi für mich überzeitlich bedeutsam
wird, so eben nur auf Grund jener „Ideen", von denen
es hier so herablassend heißt, daß sie „Christus zweifellos als Mensch
auch gehabt" habe. Als Mensch? Als was sonst? Eben in dem,
was hier „Ideen" genannt wird, liegt der ganze und volle Gehalt
des Christentums. Nur deshalb, weil sie uns ansprechen, uns freiwillige
Ehrfurcht und Zustimmung abzwingen, nur darum reden
wir hier von einer göttlichen Offenbarung. Hier ist der Kern, die Sache
selber, das Christentum selber, Christus selber, alles andre ist Zusatz
, ein Reden über Christus, ein Sichtummeln theologischer Dialektik
, auf welches Goethe lächelnd das Vulgata-Citat anwendet „Et
mundum tradidit disputationi eorum". Es zeigt sich auch hier wieder
die Verwechslung der Grundkategorien. Der zeitfreie Sachgehalt
wird ohne Not mit seiner zeitgebundenen geschichtlich-psychischen
Erscheinungsweise belastet und entsprechend abgewertet. Vgl. dazu
Fichtes klassische Ausführungen über Wert und Grenzen des hi-
sitorischen Faktors in der christlichen Offenbarung, Anweisung z. sei.
Leben, 6. Vorlesg. V 484 f.

Neben dem Begriff der Offenbarung steht als zweiter
Hauptbegriff der der „Weltanschauung". Dieser
Begriff ist der Fichtezeit unbekannt und weit jün-

i geren Datums. Das sieht man besonders klar an den
| Stellen, wo damals das Wort zwar benutzt wird, aber in
I anderer Bedeutung. Der Verfasser braucht den Ausdruck
| zu Beginn in der heute gängigen Bedeutung als umfassende
Lebensorientierung, deren denkende Verarbeitung
zur Philosophie führt. Philosophie verhält sich zu
Weltanschauung wie Theologie zu Offenbarung
. Diese vergleichende Gegenüberstellung verwandelt
sich aber dem Verfasser unter der Hand in
einen sachlichen Gegensatz, in den einer heiligen und
profanen Sphäre. Weltanschauung ist nun nicht mehr
neutraler Gattungsbegriff, sondern eine bestimmte Weltanschauung
eigner Prägung, eben die weltliche, immanente
, auf Vernunft gegründete. Darüber hinaus verknüpft
der Verfasser den Begriff noch mit einigen Stellen
, in denen Fichte, aber in völlig anderem Sinne,
von einer „Weltanschauung" Gottes redet. — Das
Schlußkapitel bringt längere Ausführungen über den
Begriff der Ehre, wie es scheint, im Anschluß an
Gogarten.

Wer Ehre hat, ist „ehrwürdig". Ehre „steht nicht zur Verfügung
". Was heißt das? Innerste Angelegenheit des Menschen sei
die „völkische Ehre". „Um der Ehre willen ist es entscheidend,
wie ich vor Gott stehe und wie Gott mir begegnet auf meine Ehre
hin". 94. Darum sagt angeblich auch der 4. Evangelist von
Christus: „Und wir sahen seine Ehre". Joh. 1,14. Gott ehrt
den Schuldigen durch Vergebung, und dieser wird seinerseits „seine
ganze Ehre dreinsetzen, sich dieser Gottesehre dankbar zu erweisen.
Das und nichts anderes ist Christenleben." 95. —

Außerordentlich störend wirkt in der Schrift der
vielfache Mißbrauch des volltönenden, aber leeren oder
mehrdeutigen Wortes „Problematik". Man begegnet
ihm auf Schritt und Tritt, bald in dieser, bald in
jener Bedeutung.

Die „aufgeschlossene Problematik", die „Macht der Pr.", die
„Drosselung der Pr.", usf. Fichte bemühe sich, „die theoretische
Problematik festzuhalten", im Gegensatz zu Kant, „der auf die moralische
Problematik zusteuerte". 101. Kant und Fichte „sehen das Problem
, aber nicht die Problematik". 96. „Offenbarung zu begreifen
erfordert eine Problematik, die für Begegnung aufgeschlossen
ist . . . Anders (?) ist das Mißverständnis unvermeidlich". 101.

Die Schrift ist ein theologisches Zeitdokument, aber
kein erfreuliches. Sie zeugt von ernstem Bemühen, und
ihre Abfassung erforderte sicher keine geringe Denkarbeit
. Aber sie fördert nicht und dient nicht der Klärung.
Sie ist daher auch kein „Dienst des Wissens am Volk"
(Schlußworte). In der gewaltigen Gegenwartskrise des
Christentums sollten die Theologen wahrhaftig andere
Töne anschlagen. Sie sollten von den großen und einfachen
Dingen des Glaubens einfach, klar und verständlich
sprechen und nicht, mit Jeremias zu reden, sich
künstliche Brunnen machen, die doch löchrig sind und
kein Wasser geben. — Man fragt sich, was eine Schrift
dieses Inhalts mit dem „Evangelischen Bunde" zu tun
hat.

Hamburg Erich Franz

Mattiesen, Dr. Emil: Das persönliche Überleben des Todes.

Eine Darstellung der Erfahrungsbeweise. Dritter Band. Berlin: W.
de Gruyter & Co. 1939. (XIX, 387 S.) gr. 8°. RM 9.80.

Die beiden ersten Bände dieses großen Werkes habe
ich im Jahrgang 1940, Nr. 5/6, S. 164ff. besprochen.
Der abschließende dritte Band behandelt, wie der Verfasser
selbst urteilt, die schwierigsten Teilgebiete des
ganzen Problemzusammenhanges; er soll eben damit
auch den Beweis für die Richtigkeit der spiritistischen
Lehre zum Abschluß bringen. Auf ihm liegt also
für die zusammenfassende Ges am tbeurtei-
lung das Schwergewicht. Ich gebe sie nach sorgfältigstem
Studium und gewissenhafter Prüfung aller
Einzelfragen. Um Mattiesen möglichst gerecht zu werden
, stelle ich den Gesichtspunkt wissenschaftlicher Methodik
in den Vordergrund. Denn ihm mißt M. selbst
die entscheidende Bedeutung bei.

Es handelt sich aber um eine doppelte Methodik:
erstlich um die der Einzelfragen, die jeweils zur Ver-
I h and hing stehen, sodann um die Methodik für den