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Ausgabe:

1941

Spalte:

209-212

Kategorie:

Systematische Theologie: Allgemeines

Autor/Hrsg.:

Sieber, Fritz

Titel/Untertitel:

Weltanschauung und Offenbarung beim jungen Fichte 1941

Rezensent:

Franz, Erich

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Theologische Literaturzeitung 1941 Nr. 7/8

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auch im Wandel der Geschichte eine sittliche Norm? ' und in der Kritik unechter religiöser Ersatzmittel, in der

kann nicht auch die jeweilige individuelle Gestalt, trotz j schlagkräftigen Abwehr alles „ Pfaffe ntuims" und jeder

ihrer Einmaligkeit und Begrenztheit als unbedingt ver- | Art von Theologie, welche zur vermeintlichen Ehre

standen werden? Das ist das sittliche Maßstabproblem der Religion die Rechte der Vernunft oder die Reinheit

der Geschichte oder die Frage des Verhältnisses des In- j der Moral antastet. Von Gott kann man sich nicht los-

dividuellen zum Allgemeinen, die heute in einer Ethik kaufen, der volle Preis muß bezahlt werden, der Einsatz

nicht übergangen werden darf. — Wenn bei Kant vom l der gesamten Persönlichkeit in Gesinnung und Tat. Darin

„guten Willen" die Rede ist, so meint der Verf. offenbar i stimmen Kant und Fichte überein. In der Terminologie

den empirischen Willen, also den Willen, der gewollt nehmen sie einen verschiedenen Ausgangspunkt. Fichte

wird. Freilich hat Kant selbst Anlaß zu diesem Miß- ! stellt von vorn herein die Frage nach der Möglichkeit

Verständnis geboten. Was er aber „eigentlich" meint, ist j geschichtlicher Offenbarung. Für Kant ebenso wie

der intelligible Wille oder Wesenswille, der Wille, wel- für Lessing bedeutet Offenbarung zunächst und in er-

chen die Person nicht wollen kann, sondern der die Per- ! ster Linie V e r n u n f t Offenbarung. Die geschichtliche

son selber ist. Dann aber tut sich das Rätsel der „Be- Offenbarung ist ein Umweg, der aber am Ende auch zu

kehrung" oder der Freiheit auf, in einer Weise, wie sie demselben Ziele führt. Oder in Kants Bilde: Das Ge-

der Verf. gar nicht berührt hat. — Die Darstellung des ' samtgebiet der Offenbarung wird von einem größeren

Verf. ist umfassend und strebt nach Vollständigkeit. Aber : Kreise umschlossen. In ihm grenzt ein kleinerer kon-

die verschiedenen Seiten scheinen mir nicht zu einer Ein- j zentrischer Kreis den Kern ab, die Vernunftoffenbarung,

heit verbunden, sie stehen nebeneinander. Wie ergibt sich j während der Rest, die Sphäre zwischen den beiden Krei-

denm aus Inhalt und Form und noch dazu aus dem j sen, den Ort der geschichtlichen Offenbarung darstellt.

Wechsel der Geschichte die Norm? So hat die Dar- Der Verfasser der Studie über die Erstlingsschrift

Stellung vorwiegend deskriptiven Charakter, aber ist es Fichtes möchte die hier vorliegenden Fragen und Lö-

die Aufgabe der Ethik nicht, normativ in irgend einer | sungsversuehe neu überprüfen, nicht aus geschichtlichem

Weise zu sein? Sie soll doch mit Hilfe der Wissenschaft
der Not des sittlichen Lebens abhelfen. — Was endlich
die Religion betrifft, so entnimmt sie den sittlichen
Kämpfer nicht nur erlösend der Problematik des Le

Interesse und um der Vergangenheit willen, somdern
uim in das religiöse Gespräch der Gegenwart einzugreifen
. Nach flüchtiger Durchsicht erscheint das Ergebnis
sehr bescheiden. Die Schlußsätze stellen fest, die auf-

hens — gewiß tut sie das auch — aber sie stellt ihn | geworfene Frage sei überhaupt „nicht wissenschaftlich

wieder in sie hinein, wenigstens ist es im Christentum so,
das in seiner reformatorischen Ausprägung erst deutlich
gemacht hat, was „Beruf" und damit religiös verstandene
Unbedingtheit des Sittlichen in der individuellen
Gestalt ist.

Ich habe eingehend darüber nachgedacht, worin der
Grund für diese notwendigen kritischen Bemerkungen
liegt. Ist es die Kürze der Darstellung? Oder ist nicht
schon der Ausgang von „Seelenschichten" verfehlt? Gewiß
ist das Sittliche aus Erfahrungen zu erheben, aber
ist der Ort der Erfahrung richtig gewählt? Das Sittliche
erschließt sich nicht aus Seelenbewegungen, sondern
aus der einen Erfahrung, daß der Mensch sich vor ein
Letztes, Unbedingtes gestellt sieht, demgegenüber er sich
verantwortlich weiß und das er nicht mißachten kann,
ohne sich selbst zu verlieren. Als solche ist sie ein
schlechthinniges unauflösliches Rätsel des menschlichen
Daseins. Daß es auf die Transzendenz verweist, hat der
Verf. selbst gesagt. Aber müßte dieses Problem nicht
yiel zentraler und entscheidender behandelt werden, auch
in einer philosophischen Ethik? Ich denke, das Gesagte
ist Grund genug, um das Buch zum Studium zu empfehlen
, weil es sowohl Anlaß zu gründlicher Auseinandersetzung
gibt, als auch viele einsichtige, von reifer Erfahrung
zeugende Erkenntnisse bietet.

Marburg/Lahn Oeorg Wünsch

Sieber, Dr. Fritz: Weltanschauung und Offenbarung beim
jungen Fichte. Berlin: Vlg. d. Ev. Bundes 1940. (110 S.) 8° =
Protestant. Stud. H. 28. RM3—.

Die Religionsauffassung Kants und Fichtes, dessen
trstlingsarbeit „Versuch einer Kritik aller Offenbarung"

zu beantworten". Es handle sich nicht um eine „Pa"-
tentlösung", sondern um eine „vorbereitende Klärung".
„Unser Beitrag soll nur Anregung sein, sich vom Grund
aus und erneut auf das Problem der Begegnung von
Offenbarung und Weltanschauung zu besinnen". In der
Tat, die ganze Darstellung ist trotz alles aufgebotenen
Scharfsinnes unbefriedigend und in keiner Weise überzeugend
.

Zunächst eine kurze Inhaltsangabe der 9 Kapitel: Das erste,
unter dem seltsamen Titel „Der repräsentative Appell einer Weltanschauung
", erbringt — unter reichlichen Anführungen aus Rein-
holds ,,Briefen über die Kantische Philosophie" — den ebenso richtigen
wie überflüssigen Nachweis, daß Fichte als Repräsentant seiner Zeit,
des Zeitalters der Vernunft spricht. Es folgen Kapitel über den
Einfluß Kants, über das Echo von Fichtes Schrift, über Fragestellung
und Methode, praktische Vernunft und Anthropologie, bis das Ganze
mündet in das wichtige letzte Kapitel „Die Begegnung von Offenbarung
und Weltanschauung". Den Abschluß bildet ein gutes, philologisch
sauber gearbeitetes Literaturverzeichnis.

Denkt man sich Kant oder Fichte als Leser dieser kleinen
Schrift, so wären sie gewiß hoch erstaunt über den ihnen fremden,
modernen Vokabelschatz: Verharmlosen, Begegnung, Selbstvergewis-
serung, Privatisierung, diesbezüglich, letztgültig, zutiefst, relevant,
sich verlässigen, Zugriff, anvisieren, Duktus, undiseiplinierte Begrifflichkeit
, Mißverständnis, Scheinmanöver, psychologischer Trick, bewußte
Täuschung, Drosselung der Problematik, der kommensurabel
Bestrafte, Kuhhandel, in Beschlag legen, tangieren u. s. f. Selbst
uns Heutigen wird viel zugemutet. Was ist „mechanistischer Pantheismus
"? 104. Was bedeutet „Die Ehre ist das Lehen des
Lebens"? 91. Druckfehler? „Dieser andere, den wir das „Du"....
nennen wollen, ist nun nicht der Geschädigte, auf den das Forum
abhebt." 88. Was heißt das? Die Frage nach Gott erwacht
„nicht im gemütlichen Klubsessel"; man muß wissen, „daß nach dem
sauberen Brusttuch vor Gott gefragt ist ... . Dann ist die Offenbarung
keine Belebungsspritze für moralische Schwächlinge". 97.

bekanntlich der Hauptschrift des Meisters zeitlich ein we- Indes, was liegt an den Ausdrücken, seien sie alt
vorangeht, ist ein Ausschnitt und Ausdruck der | oder neu, geschmackvoll oder nicht? Es kommt auf die
großen, in sich geschlossenen Weltanschauung des Zeit- I Sache an, auf die Begriffe, auf die Gedanken. Die
alters der Vernunft. Der Vernunft in höherem Sinne, Grundthese der Schrift ist nun, Fichte habe sich durch
die nicht mit dem Verstand oder der „gesunden Ver- Bejahung der vernunftgemäßen Weltanschauung verfrüht
nunft" der vulgären Aufklärung verwechselt werden festgelegt und sich durch dies grundsätzliche Mißver-
darf. Sie bildet nicht nur die Grundlage für Denken . ständnis die Sicht der echten göttlichen Offenbarung
"n+h ^issen; auch sittliches Urteilen und Wollen sowie für immer verbaut. Er nehme jene Weltanschauung unästhetisches
Fühlen und Erleben sind von ihr durch- besehen als gültig an und frage hinterher, ob und wie
iki zu&ehörige Reliigionsphilosopbie darf hier , in diesem Rahmen von göttlicher Offenbaruing die Rede
als bekannt vorausgesetzt werden. Sie hat nicht Reich- i sein könne. Welche Stellung muß Fichte wohl einneh-
tum und fülle der Romantik, nicht die unkritische Unbe- : men, wenn ihn dieser Tadel nicht treffen sollte? Er
Kummertheit positiver Gläubigkeit; sie ist streng und 1 müßte erst eine „Begegnung" mit einer bestimmten,
fpR* iuCh der Moral. mit der si,e z- T- noch zusammen- , Offenbarung haben, statt nur von außen her und a
Hießt. Ihre Stärke liegt in dem hohen sittlichen Ernst 1 priori von Offenbarung überhaupt zu urteilen. Dann sei