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Ausgabe:

1941

Spalte:

196-198

Kategorie:

Neues Testament

Autor/Hrsg.:

Schütz, Paul

Titel/Untertitel:

Das Evangelium 1941

Rezensent:

Seesemann, Heinrich

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Theologische Literaturzeitung 1941 Nr. 7/8

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hältnis sehen aber sowohl die synoptischen Evangelien
als vor allem auch das vierte Evangelium in Jesu Erscheinung
gesetzt und erblicken es in Jesu Tod versiegelt
und unverbrüchlich gemacht. Deshalb messen sie
de,ii Tode Jesu zuerst eine Bedeutung für Jesus und sein
Werk selbst zu und in dieser Bedeutung, die der Tod
Jesu für ihn selbst hat, liegt die umfassende Wirksamkeit
und Vollmacht begründet, die er als der Erhöhte, und
zwar als der auf grund seines Todes Erhöhte hat. Von
hier aus erklärt sich, daß sie im Tode Jesu wohl eine
Überwindung des Todes und das Gericht über den Satan
erblicken, aber nicht die Vergebung der Sünden an den
Tod Jesu, sondern an seine Erscheinung knüpfen. Mit
Ausnahme einer einzigen Stelle, nämlich Rom. 14,9,
kennt Paulus aber keine Aussagen über eine Bedeutung
des Todes Jesu für diesen selbst. Wir sehen dabei
von Phil. 2,6 ff. ab, weil wir in dieser Stelle mit E.
Lohmeyer einen vorpauliniseben Psalm erblicken.

So ergibt sich uns folgendes Bild. Die synoptischen
Evangelien sehen in Jesu Erscheinung den Einbruch des
Reiches Gottes, des neuen Äon. Sein Tod, um dessen
Notwendigkeit Jesus weiß, ist eine wesentliche Station
auf dem Weg der eschatotogischen Verwirklichung. Er
stellt für ihn den entscheidenden Durchgangspunkt der
Bewährung dar, weshalb ihm die Erhöhung folgt. Und
er bedeutet die Überwindung des Todes und das Zerbrechen
der Macht des Satans. In dieser Linie steht die
Apostelgeschichte mit ihren Aussagen, die Wiencke treffend
analysiert hat. Neben diese Linie tritt eine zweite,
die durch 1. Kor. 15,3, die Fassung des Abendmahles
bei Matthäus und durch die Apokalypse, die wegen ihres
palästinischen Verfassers als Quelle für den Gedankengehalt
der Urgemeinde gut herangezogen werden kann,
bezeichnet ist. In dieser Linie ist der Tod Jesu Sühnetod
für die Sünde. Die Herkunft dieser Linie dürfte
in dem jüdischen Gedanken zu suchen sein, daß der Tod
eigene Sünde sühnt, der Märtyrertod des Gerechten aber
die Sünde des Volkes. Alle bisherigen Zeugnisse gehen
von dem Gedanken der Erhöhungscbristologie aus. Aber
auch von der Präexistenzchristologie aus ist der Gedanke
entworfen worden, daß Jesu Tod eine Bedeutung
für ihn selbst hat und ihm seine neue umfassende
Bedeutung gibt, denn nun ist er nicht mehr in der Verborgenheit
, sondern seine Wirkung ist der glaubenden
Gemeinde offenbar, die in ihm die eschatologische Rettergestalt
sieht. Zeugnisse für diese Linie sind Phil. 2,
6—11; die entscheidenden Stücke der ersten Kapitel des
Hebräerbriefes, die uns eine alte hellenistische Christo-
logie aufzubewahren scheinen, und das vierte Evangelium.
Rückt man in diese Zusammenhänge, denen der Referent
an anderer Stelle nachzugehen hofft, den Paulus, so wird
man erkennen, daß er in der Konzentrierung des ganzen
Geschehens der Erscheinung Jesu auf seinen Tod alle Aussagen
merkwürdig verkürzt, daß er die Linie der Überwindung
des Satans hat, daß er aber viel stärker in jener
Linie der Urgemeinde steht, die mit dem Tod die Gedanken
von Schuld, Sünde, Sühne verbindet, wozu er
durch seine — pharisäische — Schätzung des Gesetzes
und des durch ihn verhängten Fluches kommt. Der Tod
Jesu ermöglicht ihm sein Urteil über die zeitliche und
beschränkte Bedeutung des Gesetzes und seiner Überwindung
durch den Tod Jesu. Keiner der neutestamentlichen
Schriftsteller hat so mit dem Sinn des Todes Jesu gerungen
wie Paulus, keiner hat aber auch den Tod Jesu so
vom der Gesamterscheinung Jesu abgeschnitten und damit
wichtige Linien fallen lassen wie Paulus.

Wir sahen, daß Paulus in seiner Deutung des Todes
Jesu durch sein jüdisches Erbe mitbestimmt ist.
Wiencke hatte das an einigen Stellen sehr deutlich gemacht
und unser Referat hatte wenigstens ein wesentliches
Beispiel herausgehoben. Diese Beobachtung führt
zu einem weiteren Anliegen: Man kann über den Tod
Jesu und seine Deutung nicht sprechen, ohne auf das Erleben
des Todes überhaupt einzugehen. Man muß einmal
gründlich fragen, wie eigentlich Juden, Griechen, Hellenisten
den Tod erlebt haben, um die Voraussetzungen

| zu fassen, von denen aus eine Deutung des Todes Jesu
erfolgt. Es will uns nämlich scheinen, daß die verschiedenen
Linien, die das Neue Testament in der Deutung
des Todes Jesu nebeneinander hat, auf verschiedene Formen
des Todeserlebens überhaupt zurückgehen. Es sei
nur am Rande bemerkt, daß diese Frage für die christliche
Verkündigung in der Gegenwart von ausschlaggebender
Bedeutung ist. Man kann nicht eine Deutung
des Todes Jesu vortragen, die in der Erlebnishaltung
dem Tode gegenüber keinen Grund hat, ja ihr vielleicht
sogar widerspricht, wie man auch zu seiner Veranschau-
lichung keine Bilder verwenden kann, die wohl für antike
Menschen anschaulich waren, aber für den gegenwärtigen
Menschen keine Anschaulichkeit besitzen. Noch
weniger kann man solche Bilder dogmatisch konservieren
, wenn man nicht damit überhaupt den Zugang zum
Inhalt der Verkündigung versperren will.

Fassen wir diese Erörterungen zusammen, so ergibt
sich: die umfassende Arbeit über den Sinn des Todes
Jesu im Neuen Testament steht noch aus. Sie ist nicht
möglich ohne eine gründliche Vorarbeit über das Todes-
J erleben überhaupt. Erst von ihr aus kann der Reichtum
des Neuen Testaments in seinen Aussagen über Jesu
Tod erfaßt werden und kann der Eigenart der paulini-
schen Deutung ihr Platz angewiesen werden, den sie
im Ganzen des Neuen Testaments hat. Wienekes Arbeit,
zu der noch manches Einzelne zu bemerken wäre, /.. B.
I was die Ausführungen über die Zusammenhänge des
Paulus mit der Apokalyptik betrifft, ist, ohne die eben
gestellte Forderung zu erfüllen, doch ein wichtiger Bei-
! trag auf dem Wege zur Erfüllung dieser Forderung,
I denn sie gibt uns eine zuverlässige Auskunft über die
Bedeutung des Todes Jesu bei Paulus selbst.

Dazu ist noch ein Letztes zu sagen: Wiencke betont,
j daß auf den Zusammenhang zwischen der Gerechtigkeit
I Gottes und dem Tode Jesu das jüdische Erbe des Paulus
I einwirkt. Er bestimmt den Unterschied dahin: „Das
Judentum, auf das Endgericht orientiert, kannte eine
■ gegenwärtige Rechtfertigung wie Paulus nicht. Für die
I jüdische Frömmigkeit wird die Gerechtigkeit nicht her-
I gestellt, sondern festgestellt. Paulus steint also eigent-
j lieh dem AT. näher als dem Judentum." (89 f.). Da-
| mit wird ein Ausgleich geschaffen in der im Judentum
dauernd ungelösten Frage nach dem Verhältnis der
I Strafgerechtigkeit und der Barmherzigkeit Gottes, wie
Wiencke richtig erkennt. Wir möchten in diesem Zusammenhang
auf zwei Dinge hinweisen, in denen darüber
| hinaus die Eigenart des Paulus gegenüber dein Judentum
besteht: die in Christi Tod geschehene Sühne ist
universal, sie gilt nicht nur der jüdischen Gemeinde,
sondern der ganzen Menschheit; und die in Jesus Christus
geschehene Sühne schafft einen einmaligen und
endgültigen Ausgleich zwischen der göttlichen Liebe und
der Strafgerechtigkeit Gottes, wobei letztere für die
I Gläubigen abgelöst wird. Das bedeutet aber: das Christliche
in Paulus vergegenwärtigt das eschatologische Ge-
| sehehen, sprengt die jüdische Prärogative und ordnet
die Liebe Gottes seiner strafenden Gerechtigkeit über.
Und damit wird Paulus auch in den wesentlichen Elementen
seiner Deutung des Todes Jesu ein Zeuge für
die Kraft der eigentlich christlichen Gedanken, die in
| Jesu Erscheinung sich verwirklichten.
| Jena W. Grund mann

Schütz, Paul: Das Evangeli um dem Menschen unserer Zeit
dargest. Berlin: H. von Hugo Verlag [1940]. (489 S.) 8°. RM 12.50.

Es ist ein ganz besonderes Werk, das hier zur An-
j zeige kommen soll, ein Werk, das ebenso wie das Buch
! desselben Verfassers „Warum ich noch ein Christ bin"
sicherlich viel gelesen und durchdacht werden wird. Und
das Werk ist des Lesens und Durclidenkens wert! Es
ist mit innerster Anteilnahme an der Sache, um die es
geht, geschrieben, und darf als Aufruf an die Christen-
! Weit, als Appell zur Selbstbesinnung auf die in Christus
] erschienene Fülle der Kraft des Heiligen Geistes be-