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Ausgabe:

1941

Spalte:

185

Kategorie:

Religionswissenschaft

Autor/Hrsg.:

Nauhardt, Werner

Titel/Untertitel:

Das Bild der Herrschers in der griechischen Dichtung 1941

Rezensent:

Herter, Hans

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185

Theologische Literaturzeitung 1941 Nr. 7/8

186

Nauhardt, Werner: Das Bild des Herrschers in der griechischen
Dichtung. Berlin: Junker und Di'innhaupt 1940. (98 S.)
gr. 8" = Nene Deutsche Forschungen Bd. 255. RM 4.30.

Der Verfasser zeichnet in ansprechender, wenn auch vielfach, zu
wenig eingehender Weise die Entwicklung des Herrscherbildes in der
griechischen Dichtung bis in frühhcllenistische Zeit hinein. Das erste
Kapitel schildert das Königtum der Achaierzeit, wie es in Ibas und
auch Odyssee weithin festgehalten ist, und gipfelt in einer Konfrontation
von Homer und Hesiod: gottentstammt und gottbcauftragt wie er
ist, schaltet der König bei jenem durch keine gesetzliche Ordnung gebunden
kraft seiner Überlegenheit nach seinem Belieben, bei diesem
aber wird die Forderung der Gerechtigkeit an ihn gestellt, die nach
einer allgemeingültigen Norm die Beziehungen zwischen Herrscher
und Beherrschten regelt. Aber Hesiod braucht nicht der erste gewesen
zu sein, der diesen Anspruch erhob: die homerischen Rhapsoden könnten
davon schweigen, da sie die Verhältnisse im allgemeinen vom
Standpunkt der Herrenschicht ans ansehen. Ich halte es jedenfalls für
bedenklich, in den Versen II. XVI 387 f., so singulär sie auch sind,
einen nachhesiodeischen Einschub zu erkennen, und das umso mehr,
als die dort gegebene Begründung einer Wasserkatastrophe mit ungerechten
Richtersprüchen dem alten ,,S«//</flut"-Motiv entspricht (L.
Malten, Herrn. LXXIV 1939, 191. 204). Und wenn es Od. XIX
109 ff. von dem gottesfürchtigen und gerechten König heißt, daß seine
gute Führung Fruchtbarkeit in der Natur und Arete bei den Untertanen
bewirkt, so ist das in Ansehung der Fvom'ru vielleicht ein
.Jüngeres Bild", geht aber andererseits möglicherweise noch auf die
uralte Vorstellung vom göttlichen Orcnda des Königs zurück (O. Weinreich
, Menekrates Zeus, Stuttg. 1933, 84 f.); umgekehrt wird ja das
Unglück, das ein Volk trifft, dem Versagen dieses Orendas zugeschrieben
, eine Vorstellung, die bei Hesiod und offenbar schon an der
zitierten lliasstelle wieder ethisiert erscheint (vgl. weiter Xcnia Bon-
nensia 1929, 98). Von Interesse wäre wohl eine Auseinandersetzung
mit dem von K. Stegmann v. Pritzwald unternommenen Versuch gewesen
, die Herrschcrbczeichnungen verschiedenen und ungleich alten
Vorstellungskomplcxen zuzuordnen (Zur Geschichte der Herrscherbezeichnungen
von Homer bis Plato, Lpz. 1930).

" Die nächsten Kapitel verfolgen, wie Pindar an das Hcrrschertum
die Maßstäbe seiner Adelsethik legt und die drei attischen Tragiker es
aus dem Gesichtskreis ihrer heimischen Polis beurteilen (vgl. H. Bengl,
Staatstheoretische Probleme im Rahmen der attischen, vornehmlich
euripideischen Tragödie, Diss. Münch. 1929); nachdem der greise
Euripides aber in Makedonien die unmittelbaren Eindrücke einer
großen Monarchie empfangen und in seinen letzten Dramen sich bereits
hatte auswirken lassen, schaffen die alexandrinischen Dichter
schließlich in der Atmosphäre eines Weltreiches. Die bei Homer so
ausgeprägte Entsprechung des irdischen und des himmlischen Herrschers
betrachtet Nauhardt nur kurz und seinem Thema gemäß nicht
unter ihrem religionshistorischen Aspekt. Die krasse Zeichnung der
Herrschaft des Zeus als einer bindungslosen Tyrannis im aisehyleischen
„Gefesselten Prometheus" rechtfertigt er wie Frühere damit, daß im
(nicht erhaltenen) „Befreiten Prometheus" eine sittliche Wandlung
dieser Herrschaft erfolgt sei: so habe der Dichter geradezu eine
„grundsätzliche Rechtfertigung" der guten Monarchie gegeben, die
er ähnlich wie Pindar praktisch in der Herrschaft Hierons in Syrakus
anerkannt hatte; hier hätte es sich verlohnt, auf die von W. Schmid
geltend gemachten Bedenken einzugehen. Mit Recht betont der Verf.,
wie die alte Vorstellung von der göttlichen Herkunft und dem Gottes-
gnadentum des Königs, die sich als ein mehr oder weniger äußerliches
Traditionselement erhalten hatte, bei Theokrit und Kallimachos (und
schon in Euripides' „Archelaos") neues Leben gewinnt und der Vergottung
den Weg bereitet, die dem Herrscher nach dem Tode bevorstand
und bald auch schon im Leben zuteil werden sollte.

Bonn Hans Herler

ALTES TESTAMENT

Weiser, Prof. Artur: Einleitung in das Alte Testament. Stuttgart
: Kohlhammer 1939. (VIII, 319 S.) gr. 8° = Theol. Wissenschaft
. RM 8.40.
In diesem Werk legt uns der Vf. ein vorzügliches
Hilfsmittel für das Studium des Alten Testaments vor.
Gegenüber dem ausführlichen Lehrbuch von Eißfeldt
etwa auf die Hälfte des Raumes beschränkt vermag es
natürlich weniger in die Einzelheiten der wissenschaftlichen
Diskussion einzuführen und muß sich einer manchmal
nicht unigefährlichen Knappheit befleißigen, die sich
etwa in allzu summarischen Zusammenfassungen (z. B.
bei der Entstehungsfrage von Dtn. und P S. 100 u. 108 f.
oder der Einführung in das Zwölfprophetenbuch S.l 86 ff.)
oder änigmatisch gewordenen Sätzen äußert (Was soll

es z. B. heißen, daß die Wurzeln dieser (israelit.
Mose-)Überlieferungen den Brennpunkt der Traditionsgestaltung
bilden, in dem sich die verschiedensten
Ausstrahlungen der Traditionen kreuzen? S.
17; auch „das aus der Diskussionsrede hervorgegangene
Streitgespräch" S. 43 o. ist keine eindeutige Formulierung
). Im ganzen aber ist das Problem, auf engstem
Raum das Wesentliche zu bringen, vorbildlich gelöst und
dabei nicht nur eine die eomimunis opinio zusammenfassende
Stoffsammlung, sondern eine selbständig durchdachte
und fast überall die eigene Forschung verratende,
flüssig und ansprechend geschriebene Darstellung entstanden
.

Wie stark sich die Anschauungen in den alttest. Einleitungsfragen
seit etwa einem Mcnschenalter gewandelt haben, läßt sich etwa an
der Behandlung der Rcclrtsüherlicfcrung beobachten; darnach stellt die
grundlegende Bundesordnung als Vortrag göttlicher Willenskundgebung
bei den regelmäßig wiederkehrenden kultischen Zusammenkünften den
Ursprung der alttest. Rechtsbildung dar S. 44. Hier findet denn auch
die Frage nach der mosaischen Herkunft des Dekalogs eine bei aller
kritischen Zurückhaltung sehr positive Antwort (S. 93), während
der Überschätzung des sog. jahvistischen Dekalogs von Ex. 34 ein
Ende bereitet wird mit seiner Charakterisierung als sekundäres Konglomerat
verschiedenartiger Bestimmungen; so erhält auch das Bundesbuch
seine Stellung in der vorköuiglichen Zeit S. 94 f. (bei der Li-
teraturangabe hätte hier neben dem Büchlein von Merx das Werk von
D. H. Müller, Die Gesetze Hammurabis und ihr Verhältnis zu der
mosaischen Gesetzgebung 1903 nicht fehlen dürfen). Ebenso verrät
sich der heute wiedergewonnene Blick für den Zeugnischarakter auch
der geschichtlichen Schriften des Alten Testaments in dem Eingehen
auf das Kerygma (so wäre doch wohl besser zu sagen statt „theologische
Ideologie") der einzelnen Erzähler, wie auch bei den übrigen
Büchern gerade diese Seite ihrer Entstehung immer wieder ins Auge
gefaßt wird. Das Suchen nach neuen Wegen kommt etwa in § 13
„Das Problem der Entstehung der Pentateuchquellen" sehr schön zur
Geltung, wenn hier die Frage nach dem geistigen Ort dieser Traditionen
in der israelitischen Geschichte ins Zentrum gestellt wird und
in Weilerführung der Thesen von A. Klostermann und E. Sellin die
regelmäßig wiederkehrenden Kultfeiern als Wiege der religiösen Geschichtsbetrachtung
und wichtigster Faktor ihrer Entfaltung geschildert
werden, womit das Urteil begründet ist: „Die literarische Fixierung
ist nur e i n Glied in der Kette der Entwicklungen, die zur Entstehung
der Pentateuchquellen führte; und die Frage der Entstehung
der Pentateuchquellen wird nicht primär als ein Vorgang des literarischen
Schaffens, sondern des Lebens zu beurteilen sein". Das hat
natürlich seine Folgen auch für die Datierung der Quellen (J in der
davidisch-salomonischen Ära) und der in ihnen enthaltenen älteren
Stoffe (Jos. 24, Ex. 12, 2 ff. enthalten wichtige alte Nachrichten über
den kultischen Zusammenschluß der Stämme und die Historisierung der
Feste, Oen. 49 stammt aus der davidischen und z. T. aus älterer
Zeit, ebenso die Bileamsprüche von Nu. 24 und das Schilfmeerlied
Ex. 15 u. s. w.). Aus den gleichen Einsichten heraus lehnt der Vf. die
Auflösung der elohistischen Pentateuchquelle durch Volz und Rudolph
wohl mit Recht ab und hält auch die Zerlegung von P in fortlaufende
Quellen, wie sie v. Rad versucht hat, nicht für überzeugend, sondern
möchte hier lieber die Ergänzungshypothese zur Erklärung der Un-
einheitlicbkeit heranziehen. Dabei bewahrt ihn aber das Achten auf
die Wirkung der lebendigen Traditionsgestaltung davor, die Persönlichkeit
der großen Erzähler in jene Schriftstellerschulcn aufzulösen, auf
deren Sammlcrtätigkeit Gunkel die verschiedenen Schichten des Penta-
teuch zurückführen wollte. Der Geschichtswert der elohistischen Oberlieferung
hätte freilich noch stärker zu seinem Recht kommen können;
auch geht die Behandlung der Entstehung des Dtn.s vielleicht etwas
zu rasch über die unleugbaren Schwächen der bisherigen Hypothese
hinweg, um sich bei der Abfassung durch judäische Kultpropheten zu
beruhigen, während doch gerade hier die eigenartige neue Gesamtkonzeption
des Gottesverhältnisses die Frage nach einem führenden Oeist
als Vf. nahe legen sollte. Ist im Zusammenhang damit die Formulie-
lierung des dtn. Kerygma etwas dürftig geblieben, so gilt das erst
recht für die Würdigung der Priesterschrift S. 110 f.: Die „Rationalisierung
des religiösen Lebens und Denkens" ist doch eine zu oberflächliche
Formel für die geistige Bedeutung dieser Schrift (man
denke nur an die priesterliche Konzeption des Bundesgedankens!) und
muß in so einseitiger Anwendung zum Mißverstehen ihrer religiösen
Gesamteinstellung führen.

Auch wo der Vf. mehr referierend die bisherige Forschung würdigt
und ihre bleibenden Ergebnisse herauszuarbeiten sucht, weiß er
meist das wirklich vorwärts führende Neue aus der Fülle der Lösungsversuche
herauszugreifen und mit den früher gewonnenen Erkenntnissen
zu vereinigen. Als in dieser Hinsicht besonders gut gelungene
Partien seien die Ausführungen über Hosea und Hesekiel genannt
; treffend ist auch das Urteil in der viel umstrittenen Frage des
Tritojesaja. Gerne hätte man freilich das Problem von Hes. 40—48